Die wundersame Verwandlung alter Musiker in junge Götter: Soft Machine überzeugen im Kulturbahnhof Jena
Soft Machine? Gibt’s die noch? Jein – es gibt sie wieder. Wir erinnern uns: Die erste Aktivitätsperiode der Band endete 1979, als sich bereits kein Originalmitglied mehr in der Formation befand. Mehrere Reunion-Anläufe unter verschiedenen Namen verliefen jeweils nach kurzer Zeit wieder im Sande, und erst dem Soft Machine Legacy getauften Projekt war in diesem Jahrtausend ein längeres Leben beschieden, das nicht mal durch den Tod mehrerer Mitglieder gebremst werden konnte – es fand sich immer wieder eine Möglichkeit, die Lücken zu schließen, und schon in den Sechzigern und Siebzigern war keineswegs jeder Personalwechsel instrumentenseitig 1:1 erfolgt, so dass sich immer wieder neue Perspektiven eröffneten. Neue und zugleich alte Perspektiven aber boten sich auch jüngst anno 2015, als die aktuellen Mitglieder von Soft Machine Legacy beschlossen, das letzte Wort aus dem Bandnamen zu streichen und fortan wieder als Soft Machine zu firmieren. Komme niemand und hinterfrage die Rechtfertigung für diesen Schritt – drei der vier aktuellen Mitglieder sind Siebziger-Veteranen Soft Machines, und auch der Vierte im Bunde, Saxophonist Theo Travis, gehört schon lange genug zum Dunstkreis dieser Formation und spielte außerdem wie auch Gitarrist John Etheridge bei Gong, deren Mastermind Daevid Allen wiederum Gründungsmitglied von Soft Machine war und 1967 nur deswegen ausstieg bzw. aussteigen mußte, weil nach einer Frankreich-Tour das Visum des gebürtigen Australiers abgelaufen war und er nicht wieder nach England einreisen durfte – eine Geschichte aus dem „alten Europa“, wie man sie im zerbröselnden „ganz neuen Europa“ vielleicht öfter wieder hören wird, wenngleich es ohne diese Geschichte vielleicht nie zur Gründung von Gong gekommen wäre. Neben Travis und Etheridge gehören zur aktuellen Soft-Machine-Besetzung noch Bassist Roy Babbington und als am frühesten eingestiegenes heutiges Mitglied Drummer John Marshall, der seit 1971 dabei ist. Dieses Quartett nun hat 2018 ein neues Album namens Hidden Details herausgebracht, und weil hochkarätiger Jazzrock heutzutage eher ein Nischendasein führt, selbst dann, wenn man einen Namen als legendäre Band besitzt, spielt die Formation auf ihrer aktuellen Tour zum 50jährigen Gründungsjubiläum nicht etwa durchgängig in großen Hallen, sondern nicht selten in kleinen Clubs wie dem Kulturbahnhof in Jena, der bei diesem im Rahmen der Thüringer Jazzmeile stattfindenden Konzert allerdings sehr gut gefüllt ist. Der Rezensent ist erst einige Minuten nach der planmäßigen Anstoßzeit von 20.30 Uhr am Start und landet mitten im Hidden Details-Titeltrack, der den Opener der Show markiert und sich zumindest angehörs des miterlebten Teils problemlos mit dem alten Material messen kann. Das trifft nicht für alle neueren Tracks zu – „Voyage Beyond Seven“, noch als Soft Machine Legacy eingespielt, hinterläßt einen eher orientierungslosen Eindruck, während „Fourteen Hour Dream“ überzeugender ausfällt und das Frühwerk sowieso lautstark bejubelt wird, wobei sich mancher Experte im Publikum befindet, der beispielsweise Etheridge schon einmal in Jena gesehen hat, 23 Jahre zuvor, wenn auch in einem anderen musikalischen Kontext. Der freundliche Gitarrist übernimmt auch alle Ansagen, reißt reihenweise Scherze über seine Bandkollegen und präsentiert sich spieltechnisch ebenso wie seine drei Mitstreiter in Bestform. Das ist beim Alter der Musiker durchaus nicht selbstverständlich, und man kann förmlich Angst bekommen, wenn man den 75jährigen John Marshall gebückt durch die Halle schleichen sieht. Aber sobald er hinter seinem Drumkit sitzt, findet eine wundersame Verwandlung statt, der Schlagzeuger ist plötzlich nur noch halb so alt und spielt wie ein junger Gott auch schwerste Passagen, von denen es im komplexen Jazzrock der Band durchaus die eine oder andere gibt. Solieren darf er auch noch und stürzt alle anwesenden Nachwuchsdrummer wahlweise in Verzückung oder Verzweiflung – hören kann man ihn dank eines recht transparenten Soundgewandes ebensogut wie seine Mitstreiter, nur an wenigen Stellen wird einer mal etwas zu sehr zugedeckt, was aber zumeist schnell behoben werden kann. Quasi-Jungspund Travis wechselt übrigens zwischen Saxophon und Flöten hin und her, während in den frühen Besetzungen nicht selten (mindestens) zwei Planstellen besetzt waren. Soft Machine spielen zwei Sets zu je sechs Songs, was rein numerisch erstmal nicht viel anmutet, aber inclusive der Zugaben doch für knappe zwei Stunden Nettospielzeit reicht – die Nummern sind halt zumeist nicht gerade kurz und bleiben trotz fehlenden Gesanges auch weitgehend kurzweilig. Älteste Komposition im Set ist „Out-Bloody-Rageous“ vom 1971er Third-Album (die ersten sieben Scheiben wurden mehr oder weniger durchnumeriert), auf dem noch keins der heutigen Mitglieder dabei war, und ansonsten gibt es einen bunten Streifzug durch die Siebziger, der vom Publikum sehr wohlwollend aufgenommen wird – so wohlwollend, dass es nicht bei einer geplanten Zugabe bleibt, sondern das britische Quartett noch eine zweite auspackt: „Chloe And The Pirates“ vom Six-Album aus dem Jahr 1973 setzt den Schlußpunkt unter einen starken Gig einer Band, die noch lange nicht vorhat, sich zum alten Eisen legen zu lassen – und das ist in diesem Fall auch gut so. Roland Ludwig |
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