Vandermark – Wooley – Courvoisier – Rainey
Noise Of Our Time
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Ach, das erfreut mich! Der Free Jazz lebt ja doch noch! Sicher nicht mehr so, wie man ihn ab Ende der fünfziger Jahre hat kennenlernen können, auch hier fand eine Entwicklung statt. Mittlerweile dürfte wohl die dritte Generation von Musikern verantwortlich sein für das, was einst von Musikern wie John Coltrane, Eric Dolphy, Ornette Coleman, Sun Ra, Albert Ayler, Pharoah Sanders, Anthony Braxton, Roscoe Mitchell, Archie Shepp, Cecil Taylor, Alice Coltrane, Jeanne Lee, Sonny Sharrock und weiteren entwickelt und vorangetrieben wurde. Auffällig hierbei ist die hohe Präsenz farbiger Musiker, die im frühen Stadium des Genres die Weichen stellten.
Das ist heute weniger der Fall, so handelt es sich im Fall der Mitstreiter dieses Quartetts ausschließlich um bleichgesichtige Musiker. Allesamt verfügen sie einzeln bereits über einen hohen Grad von Individualität und Kreativität, den sie hier bündeln zu einem neuen Ganzen. Der Saxofonist ist Ken Vandermark aus Warwick, Rhode Island, Jahrgang 1964. An der Trompete agiert Nat Wooley aus Oregon (*1974), das Piano bedient die 1968 geborene Schweizerin Sylvie Courvoisier und der Schlagzeuger ist Tom Rainey, geboren 1957 in Los Angeles.
Alle sind international bereits prägend tätig gewesen in der Jazz/Free Jazz- und Avantgarde-Szene. 2016 trafen sie sich in einem Jazzclub und beschlossen, eine gemeinsame Platte aufzunehmen, ein Jahr später war man im Studio in New York. Es ist nicht der typische Free Jazz der Anfangstage, denn die Musik ist nicht völlig losgelöst von allen Strukturen. So dringen neben den spontan wirkenden Improvisationen stets auch kompositorische Anteile durch und dadurch, dass bis auf den Drummer die drei anderen für die Songs verantwortlich sind, finden sich auch ganz unterschiedliche Vorstellungen der Gestaltung der Musik wieder. Verspielt wirken die Kompositionen der Pianistin mit einem starken Augenmerk auf die freie Gestaltung ihres Spiels, Vandermark bringt eine gewisse Ruhe und geheimnisvoll wirkende Elemente ein und des Trompeters Stücke wirken für mich am geringsten strukturiert und relativ wild.
Allen Stücken gemein ist diese gewisse avantgardistisch wirkende Atmosphäre, hier spüre ich wenig vom oft spirituell wirkenden Free Jazz der Frühzeit inklusive seiner überbordenden und brodelnden Ausbrüche in die absolute Freiheit. Die Musik dieser Einspielung wirkt nüchterner, wenngleich nicht leidenschaftslos. Noise Of Our Time eben, neben scheinbarer Kühle entwickelt sich Frische, entstanden aus Elementen kollektiver Improvisationen, manchmal überraschend im Verlauf, manchmal auch vorhersehbar. Es ist wohl das Spannungsfeld dieser vier unterschiedlichen Musiker, die die Atmosphäre mitunter vibrieren lassen, am meisten für mich dann, wenn Vandermark losgelassen wird, ist er doch ohnehin einer der modernen Jazz-Saxofonisten, die noch über ein klares Profil verfügen und noch Akzente setzen. Sehr extravagant sind die Ergebnisse, nicht einfach zu konsumieren, aber stets spannend und von hohem Unterhaltungswert.
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 Checkpoint [Courvoisier] (5:03)
2 Track And Field [Vandermark] (6:39)
3 Sparks [Courvoisier] (3:44)
4 The Space Between The Teeth [Wooley] (6:12)
5 Tag [Vandermark] (4:32)
6 Songs Of Innocence [Wooley] (4:17)
7 VWCR [Courvoisier] (4:00)
8 Truth Through Mass Individuation [Wooley] (4:03)
9 Simple Cut [Vandermark] (5:41)
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Besetzung |
Ken Vandermark (saxophone, clarinet)
Nate Wooley (trumpet)
Sylvie Courvoisier (piano)
Tom Rainey (drums)
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