Musik an sich


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Willkommen in der Gruft: Bohren & Der Club Of Gore im Interview




Info
Gesprächspartner: Morten Gass (MG) Robin Rodenberg (RR) Christoph Clöser (CC)

Zeit: 11.11.2016

Ort: Offenbach am Main

Interview: Face 2 Face

Stil: Doom Jazz

Internet:
http://www.bohrenundderclubofgore.de

Dass Bohren & der Club of Gore einst eine Hardcore-Band war, daran erinnern neben dem Namen inzwischen eigentlich nur die schweren, langsamen, aber leicht verzerrten Bassklänge und die düstere Grundstimmung. Seit etwa 1992 wechselte die 1988 in Mülheim an der Ruhr gegründete Band radikal zu einer Verbindung aus Cool Jazz, Doom-Metal und Ambient. Hans-Jürgen Lenhart traf das Trio bei einem Konzert in Offenbach am Main, um die Musiker hinter den mysteriösen Klängen kennenzulernen.

Stilistische Begriffe wie „Horror Jazz“ geistern zu Bohren & der Club of Gore durch die Medienlandschaft. Doch derlei Zuordnungen mag die Band nicht. Nachdem sie sich einst aus der Heavy Metal- und Hardcore-Ecke verabschiedet hatte, möchte sie schließlich nie mehr in einer neuen Schublade landen. Das Trio besteht heute aus Morten Gass (Orgel, Mellotron, Fender Rhodes, Baritongitarre, Schlagzeug), Robin Rodenberg (Kontrabass, Schlagzeug) und Christoph Clöser (Saxophon, Fender Rhodes, Klavier, Vibraphon, Schlagzeug). Es gibt wohl kaum eine Band, die es mit Bohren im Sinne von Verlangsamung, Minimalismus und Mitternachtsstimmung aufnehmen kann. Die Töne wollen gänzlich ausklingen, das Saxophon wirkt völlig verloren in einsamer Nacht, ab und an ertönt ein Taktschlag. Hier gibt es keine Soli, keinen Gesang, kein Posing. So haben sie sich ihr eigenes Genre erspielt. Spektakulär unspektakulär auch ihr Bühnenauftritt: Alles ist dunkel, Nebelschwaden ziehen über die Bühne und durchs Publikum, von den Musikern ist kaum was zu sehen, dunkles Outfit sowieso und gerade mal so viel Beleuchtung, dass die Musiker ihre Instrumente sehen können. Zwei beleuchtete Schilder, davon eines mit Totenschädel, schimmern durch den nicht enden wollenden Bühnennebel. Ihre Alben heißen Midnight Radio oder Geisterfaust. Willkommen in der Gruft.
Doch ganz so ernst nimmt die Band ihre Düster-Performance nun auch wieder nicht. Im Gegenteil. Wenn Christoph Clöser die Stücke ansagt, fühlt man sich weniger an den Prince of Darkness als an den Ruhrpott-Komiker Jürgen von Manger und dessen Figur Adolf Tegtmeier erinnert. Da soll eine Nummer z. B. das Alter und seine Weisheit würdigen. Erst dann habe man eine gewisse Erkenntnisreife und die lautet dann: „Erst Zelt aufbauen, dann trinken.“ Und zur Zugabe meint Clöser genauso trocken: „Wir gehen jetzt nach vorne, verneigen uns, ihr heuchelt Begeisterung, klatscht, und dann spielen wir noch zwei Stücke.“ Zu viel düster ist ja auch nicht gut. Eben.




Euer Sound hat einen klaren Wiedererkennungswert. Wie vermeidet ihr, euch bei neuen Alben zu wiederholen?

CC: Das geschieht von alleine. Erst mal steht der Titel, der uns inspiriert. Daraus entwickelt sich die Musik. Einmal war es umgekehrt und bei Piano Nights wurde bewusst auf das Klavier zurück gegriffen.

Könnt ihr euch Leute vorstellen, für die eine derartig verlangsamte Musik schwer erträglich ist?

RR: Das war am Anfang so. Das war dann aber auch in der Zeit bedingt. Die Akzeptanz hat sich durch die Jahre entwickelt, weil wir so lange am Ball geblieben sind.

CC: Fakt ist, es gibt erstaunlich viele Leute, die das akzeptieren, was wir machen. Die meisten Leute auf Konzerten kommen nicht aus Neugierde wegen unseres Namens oder Rufs, sondern wissen genau, was wir machen. Langsame, ereignisarme Musik zu ertragen über die Dauer eines Konzertes, da gibt es überraschend viele, die das gut finden. Es ist eben einfach gute Musik. Es ist „amtlicher“ ernsthafter Kram.

Was fällt dir zu den folgenden Stichwörtern bezüglich Eurer Musik ein? Zum Beispiel „Mitternachtsmusik“?

MG: Bei diesen Begriffszuordnungen ist es halt so: Wir waren immer stets bemüht, nicht in einer Schublade zu landen, aus der man nicht mehr rauskommt. Das ist uns auch gelungen. Früher waren wir im Hardcore-Bereich unterwegs. Da gab es so ein Szenehäufchen, immer dieselben Typen. Und wir klangen immer austauschbarer. Andere Bands waren da zudem besser. Das hat uns genervt. Ganz am Anfang stand der Grundgedanke, extrem zu sein. Dann hat man sich ein Gegenextrem gesucht, das hat sich im Lauf der Jahre immer weiter verfeinert.

CC: Wenn man Musik machen will, kommt als logische Entwicklung der Punkt, wo man sich fragt: Warum mache ich das? Aber uns interessieren keine Zuordnungen, weil wir nie einen Masterplan hatten, möglichst viele zu erreichen. Am ehesten trifft es vielleicht, wie irgendwer mal geschrieben hat: „Die Blutkrätsche zwischen Slayer und Sade“. Das ist zwar Quark, klingt aber gut. So dachte ich das. Oder „Piano Doom“.

Manche ordnen euch dem „Dark Jazz“ zu.

CC: Na ja, das ist jedenfalls nicht auf unserem Mist gewachsen. Es gibt bei uns ja gar keine Improvisation. Das ist das Gute an unserer Musik. Wir machen verbindliche Musik. Insofern ist Dark Jazz ein falscher Begriff.

Und da gibt es noch die Vergleiche mit der Filmmusik der mystischen TV-Serie „Twin Peaks“ von David Lynch…

CC: Das ist schon erstaunlich, wie lange sich das hält. Auf Sunset Mission gibt es so zwei Stücke, die man dem zuordnen könnte, aber danach nicht mehr. Da kann man sich nicht zu äußern. „Geisterfaust“ hat z. B. eher mit dem Minimalisten Morton Feldman zu tun als mit „Twin Peaks“.

MG: Wir haben am Anfang Chris Isaak nachgespielt. Der ist ja auch in „Twin Peaks“ aufgetaucht. Vielleicht kommt das daher.

RR: Wir haben früher eher an Peter Thomas und Gert Böttcher gedacht, die ja Filmmusik schon sehr weit entwickelt haben.

(Tatsächlich gibt es im Bohren-Sound sehr ähnliche Stücke mit verhallten Saxophon-Klängen bei Peter Thomas wie z. B. "Love In Space" vom Soundtrack-Album "Raumpatrouille" – Anm. d. Autors)

Und dann ist da noch der schöne Begriff Entschleunigung.

CC: Unsere Musik ist jedenfalls kein Kommentar zur Schnelllebigkeit unserer Zeit.

RR: Und selbst wenn, dann waren wir wohl ein unfreiwilliger Vorreiter dieser Entwicklung.

Diskografie
1993: Luder, Samba und Tavernen
1994: Schwarzer Sabbat für Dean Martin (Split-Single mit Wald)
1994: Bohren & der Club of Gore (Single)
1994: Gore Motel
1995: Midnight Radio
2000: Sunset Mission
2002: Black Earth
2005: Geisterfaust
2008: Dolores
2010: Mitleid Lady (Single)
2011: Beileid (EP mit Mike Patton)
2014: Piano Nights
2016: Bohren for Beginners (Kompilation)
Wie fanden denn eure früheren Hardcore-Fans damals den radikalen Sound-Wechsel?

RR: Wir hatten so eine Phase zirka 1991-93 mit dem Album Gore Motel, auf dem sich der Bohren-Sound entwickelte. Die Leute kamen da am Anfang noch, aber dann gingen doch viele bis zum Ende des Konzerts.

CC: Aber heute gibt es immer noch erstaunlich viele von damals, die uns auf diese Übergangszeit ansprechen.

Ende 2015 verließ euch euer Schlagzeuger Thorsten Benning. Wie löst ihr das mit den Drums inzwischen?

RR: Jeder von uns spielt einen Teil des Schlagzeugs auf der Bühne. Insofern hat sich hörbar nichts geändert. Dazu haben wir uns auch Pedale bauen lassen. Wir laden uns nur mehr auf die Schulter. Insofern entwickeln wir uns zu Multiinstrumentalisten.



Hans-Jürgen Lenhart



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