Europe: Viel mehr als nur „The Final Countdown“…
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Europe veröffentlichen seit ihrem Comeback 2004 mit dem Album Start From The Dark kontinuierlich sehr gute CDs, die allgemein recht gute Kritiken bekommen. Auf dem Livesektor machen sich die umtriebigen Schweden jedoch in unseren Breitengraden eher rar. Der Auftritt im Circus Krone in München kann daher durchaus als Seltenheit bezeichnet werden. Ich habe im Vorfeld damit gerechnet, dass der Termin ziemlich schnell ausverkauft sein wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es sind noch etliche Sitze frei und einige wurden sogar mit einem schwarzen Tuch abgehängt.
Die Vorband DIRTY THRILLS polarisiert, wie ich es schon lange nicht mehr bei einer Vorband erlebt habe. Die Band wurde 2012 in England gegründet. Von der Musik her ist das Quartett relativ unspektakulär. Geboten wird eine Mischung aus Led Zeppelin, Black Sabbath und The Who mit einer gehörigen Psychedelic-Schlagseite. Somit sind sie eine unter vielen Bands, die sich derzeit am Classic Rock der 70er Jahre orientieren. Was die Combo in meinen Augen äußerst interessant macht, ist das durchgeknallte, abgefahrene Stage-Acting.
Gitarrist Jack Fawdry hat nur einen Schuh an und springt dabei wie ein Irrer über die Bühne. Bassist Aaron Plows macht überaus seltsame Bewegungen und Verrenkungen, die ich so noch nie bei einem Musiker gesehen habe. Und in der Mitte des Sets öffnet der Spargeltarzan mit Oberlippenbart und richtig altbackenem Outfit auch noch sein Hemd und lässt seine blanke Brust auf das Münchener Publikum los. Sänger Louis James ist nicht wirklich treffsicher, wobei ich das schon wieder lustig finde. Und Drummer Steve Corrigan hat definitiv einige The-Who-DVDs angeschaut. Er orientiert sich sehr stark an Keith Moon. Ich bin von dem Auftritt dieser kauzigen Truppe begeistert. Die Band hat mir so gut gefallen wie schon lange keine Vorband mehr. Der Großteil des Publikums ist hier eher geteilter Meinung. Wen’s interessiert: Auf der Homepage http://dirty-thrills.com könnt ihr euch selbst ein Bild davon machen.
EUROPE steigen mit einem mächtigen Intro ein, das den Titelsong der neuen Scheibe War Of Kings bedrohlich ankündigt. Der groovige Stampfer eröffnet den Abend und zeigt gleich die Marschrichtung an. Joey Tempest und seine Truppe sind schwer überzeugt von der neuen Scheibe und präsentieren diese Songs mit einem ehrlichen, aber nie übertriebenen Stolz. Insgesamt wird das neue Album mit sechs Songs bedacht, die allesamt glänzen und beim Publikum gut, aber nicht sehr gut ankommen.
Tempest zeigt sich von der ersten bis zur letzten Sekunde bis in die Haarspitzen motiviert. Ganz in der Tradition eines David Coverdale betreibt er als einer der wenigen seiner Zunft ein ausgeprägtes Stageacting mit seinem Mikroständer. Das sieht nicht nur cool aus, das passt auch perfekt zur Bühnenshow der Band. Am Schluss übertreibt er es aber und demoliert aus Versehen sein an sich sehr solides Arbeitsgerät. Er korrigiert dies, indem er feste dagegen tritt. Sieht man auch nicht alle Tage!
Die Schweden verheimlichen nicht, dass sie Kinder der 80er Jahre sind. Große Posen, ein eindrucksvolles Bühnenlicht und bombastischer Sound waren und sind Dinge, die damals überzeugt und noch immer nichts von ihrer Faszination verloren haben. Mit der Hammerballade „Carrie“, die ziemlich am Anfang des Sets auftaucht, nehmen sie direkt darauf Bezug. Europe lassen sich jedoch überhaupt nicht auf die 80er-Jahre-Schiene reduzieren. Allein wenn man die Setlist anschaut fällt auf, dass der Großteil der Songs aus dem Material stammt, das nach 2004 aufgenommen wurde. Von der Klasse-Scheibe Start From The Dark wird seltsamerweise nicht ein Song gespielt! Das finde ich ein bisschen schade, da für mich die Scheibe die beste der Comeback-Phase ist.
Das stößt nicht bei allen im Publikum auf breite Gegenliebe. Einige wenige verlassen das Konzert schon etwas früher, was ich absolut nicht verstehen kann. Warum sollten sie ein Revival-Programm auflegen? Die neuen Alben sind super und haben jetzt auch schon teilweise über 10 Jahre auf dem Buckel. Stimmungstechnisch ist erst ab dem letzten Drittel wirklich was los. Das liegt vermutlich daran, dass die meisten der Zuschauer hauptsächlich die alten Songs kennen und hören wollen.
Die Musiker gehören zu den besten ihres Fachs. Das Quintett zockt mit einer Präzision und Leidenschaft, die einfach ansteckt. Mic Michaeli lässt seine Hammond im Stile eines Jon Lord röhren, dass es eine wahre Freude ist. Überhaupt fällt auf, wie wichtig das Tasteninstrument im Gesamtsound der Schweden mittlerweile ist. Hört man sich Songs wie das geniale „Praise You“ an fällt auf, wie weit sich Europe mittlerweile auch an Bands wie Deep Purple orientieren. John Leven ist ein solider Bassist, der jedoch nicht besonders viel Gebrauch von der Breite der Bühne macht. Er bewegt sich nur ab und zu, liefert dabei jedoch eine sehr gute Leistung ab. Den überragenden Gitarristen John Norum ärgert es ein bisschen, dass bei den alten Songs mehr Stimmung herrscht, als bei den neuen. Er stachelt teilweise das Publikum an und will vor allem auch bei seinem Solo in dem Song „Vasastan“ etwas mehr Begeisterung. Das weckt manche aus ihrer Lethargie und mit „Girl From Lebanon“ kommt zusätzlich Fahrt auf. Das Drum-Solo von Ian Haugland geht in Ordnung, weil es nicht besonders lang dauert und er auch innerhalb von fünf Minuten zeigen kann, was er nach wie vor so drauf hat.
Als das Anfangsriff von „Rock The Night“ ertönt, steht der Circus Krone Kopf. Den Song kennt man, hier kann man mitgrölen und so soll es auch sein. Der Kracher „Days Of Rock n Roll“ fällt hier fast gar nicht ab. Danach ist der offizielle Teil leider schon beendet. Es kommt wie es kommen muss: Mit ihrem Überhit „The Final Countdown“ wird logischerweise der tolle Gig in München beendet. Noch einmal gehen Publikum und Band richtig aus sich heraus und lassen genau den Song vom Stapel, den manche vielleicht sogar schon gar nicht mehr hören können, weil er im Radio fast schon totgenudelt wurde. Er gehört in meinen Augen jedoch zu dieser Band wie „Smoke On The Water“ zu Deep Purple oder „This Flight Tonight“ zu Nazareth. Ohne den können sie nicht von der Bühne!
Nach 105 Minuten ist Schluss, Europe bekommen enthusiastischen Applaus des Publikums und verlassen sehr schnell die Bühne. Mir hat der Auftritt sehr gut gefallen, auch wenn mir Titel der Marke „Seven Doors Hotel“ und natürlich „Wings Of Tomorrow“ gefehlt haben. Europe zeigen sich selbstbewusst ohne Ende und spielen mittlerweile einfach die Songs, auf die sie eben gerade Lust haben. Kann man machen, man sollte jedoch vielleicht die Setlist ein bisschen besser durchmischen. Beweisen müssen sie schon lange niemandem mehr etwas und wer die Alben nach 2004 kennt muss einsehen, dass sie mittlerweile doch eine etwas andere Art von Musik machen. Mir gefällt diese ehrliche Musik jedoch wesentlich besser wie eine auf dem Reißbrett konzipierte Kopie alter Glanztaten. Ansonsten war dies ein feiner, hochklassiger Auftritt der handwerklich soliden Schweden!
Setlist:
1. War of Kings
2. Hole in My Pocket
3. Superstitious
4. Scream of Anger
5. Last Look at Eden
6. Carrie
7. The Second Day
8. Firebox
9. Sign of the Times
10. Praise You
11. The Beast
12. Vasastan
13. Girl From Lebanon
14. Ready or Not
15. Nothin' to Ya
16. Drum Solo
17. Let the Good Times Rock
18. Rock the Night
19. Days of Rock 'n' Roll
20. The Final Countdown
Stefan Graßl
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