Rameau, J.-Ph. (Haïm)
Hippolyte et Aricie
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Info |
Musikrichtung:
Barock Oper
VÖ: 24.10.2014
(Erato / Warner Classics / 2 DVD/ live 2012 / Best. Nr. 0825646229178)
Gesamtspielzeit: 174:00
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OPULENTE STATIK
Gleich zwei neue Produktionen von Jean-Philippe Rameaus spektakulärem Opernerstling Hippolyte et Aricie (1733) sind anlässlich seines 250. Todestages auf DVD erschienen:
Zunächst veröffentlichte Opus Arte (Naxos) einen Mitschnitt aus Glyndebourne mit dem fabelhaft aufspielenden Orchestra of the Age of Enligthment sowie dem Glyndbourne Chorus und einer erlesenen SolistInnen-Riege unter der Leitung von Altmeister William Christie. Die popbunte Inszenierung von Jonathan Kent verlagerte das mythologische Geschehen in einen überdimensionalen Kühlschrank: Im Inneren zwischen Milchtüten die unterkühlt-keusche Welt der Jagdgöttin Diana mit entseelten Hirschen und singenden und swingendem Gemüse, an der Rückseite auf dem glühenden Motor die Unterwelt mit Pluto samt seinen Dämonen, irgendwo dazwischen erscheint noch die Kleinbürgerhölle von Theseus, Phädra und Hippolyte, der seine Aricia liebt, aber von seiner eifersüchtigen Stiefmutter Phädra begehrt wird, was zu allerlei unterweltlich-monströs-zauberhaften Verwicklungen führt. Am Ende triumphiert die Liebe über die Intrige, nur Phädra wählt aus Verzweiflung den Freitod. Musikalisch ist das Ganze erstklassig; gegenüber Christies ausgezeicheter CD-Version aus dem Jahr 1995 erscheint Rameaus Spiel mit gewagten Harmonien, wilden Dissonanzen, mitreißenden Rhythmen und neuartigen Klangfarbenkombinationen noch einmal vertieft. Sängerisch wartet die Neuproduktion mit den derzeit besten Kräften auf (Stephane Degout übertrifft als Theseus Laurent Naouri auf der 1995er CD-Fassung; Lorraine Hunts Interpretation der Phädra bleibt dagegen unerreicht).
Szenisch aber geht dem Stück, immerhin eine echte französische barocke Tragédie lyrique, wegen der kruden regietheatralischen Zurichtung so ziemlich jede Atmosphäre ab. Man schließt irgendwann die Augen oder schaltet den Bildschirm aus.
Die zweite Produktion, die bei Erato (Warner Classic) erschienen ist, entstand von zwei Jahren in Paris, geht aber auf eine bereits 2009 erfolgreich in Toulouse aufgeführte Inszenierung von Ivan Alexandre zurück. Geleitet wird diese Version von William Christies ehemaliger Cembalistin Emmanuelle Haïm, die inzwischen selbst ein Ensemble gegründet hat: Le Concert d'Astrée. Mit Stephane Degout als Theseus und Sarah Connolly als Phädra sind die zwei heimlichen Hauptrollen identisch zur Glyndebourne-Produktion besetzt. Die zahlreichen übrigen Partien werden von Topi Lehtipuu als Hippolyte und Anne-Catherine Gillet als Aricie nicht minder erfolgreich angeführt (allein das quecksilbrige Tremolo in der Stimme von Gillet wirkt auf Dauer etwas penetrant).
Wo bei Christie ein im Vergleich trockenerer, kammermusikalischer Ton dominiert, setzt Haïm auf einen volleren, weiträumigen Klang; auch lässt sie sich bei den großen Mononlogen oder Arien z. B. des Theseus ein wenig mehr Zeit. So betont sie die epische, fast schon lyrisch-romantische Dimension von Rameaus Oper, ohne es freilich bei den dramatischen Höhepunkten oder zahlreichen Tanzeinlagen an artikulatorischer Prägnanz mangeln zu lassen.
Anders als Kent versucht Regisseur Ivan Alexandre keine ironische Brechung, sondern eine an historische Vorbildern angelehnte Rekonstruktion barocken Bühnenzaubers. Kostüme und Dekors orientieren sich am frühen 18. Jahrhundert, die Spezialeffekte nutzen die Möglichkeiten der barocken Theatermaschienen mit ihren schnellen Szenenwechseln, Flugmaschinen und Wolkenerscheinungen. Und selbst die eher schummrige Beleuchtung entspricht dem Licht der unzähligen Kerzen, die einst die Bühnen mit sanftem Schein erhellten. Jede Szene ist in edle und nostalgische Sepia-Farben getaucht. Die Auf- und Abtritte erfolgen streng zeremoniell, gesungen wird praktisch ausnahmslos nach Vorne, jede Bewegung und Geste ist klar, gemessen und auf größtmögliche Deutlichkeit hin angelegt. Das wirkt in der Nahsicht der Kameraperspektive manchmal unfreiwillig komisch, im Ganzen auch recht statuarisch. Das Mehr an Atmosphäre und Ernsthaftigkeit wird durch eine gewisse museale Langeweile erkauft.
So faszinierend diese Art von Rekonstruktions-Regie ist: Sie wird der Dynamik und zeitlosen Qualität der Musik nicht wirklich gerecht. Im Grunde zeigt sich, das Rameau die Konventionen des konservativen Barocktheaters gesprengt hat und dass die Musik eigentlich andere Bilder braucht, damit sie szenisch zur vollen Wirkung kommt. Man muss nur - anders als z. B. Kent es tut - die Geschichte wirklich respektieren und ihren märchenhaften Charakter akzeptieren (so, wie die modernen Märchen-Mythen von Batman, Star Wars und Harry Potter ernst zu nehmen sind) weil in der phantastischen Einkleidung grundlegende menschliche Erfahrungen und Schicksale erscheinen, die auch heute noch berühren können. Aber weder durch postmoderne Spielereien noch durch historisierende Stilisierung ist das angemessen darstellbar.
Georg Henkel
Trackliste |
Keine Extras
nur französische und englische Untertitel |
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Besetzung |
Sarah Connolly: Phädra
Stephane Degout: Theseus
Anne-Catherine Gillet: Aricie
Topi Lehtipuu: Hippolyte
u.a.
Orchster und Chor von Le Concert d'Astree
Leitung: Emmanuelle Haim
Ivan Alexandre: Regie
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