Händel, G. F. (Christie - Herzog)
Orlando
|
|
Info |
Musikrichtung:
Barock Oper
VÖ: 19.09.2008
(Arthaus Musik / Naxos / 2 DVD live 2007 / Best. Nr. NTSC 101 309)
Gesamtspielzeit: 155:00
|
|
|
EROTISCHE OBSESSIONEN
Was für ein Unterschied! William Christies 1996 beim Label Erato herausgekommene Produktion von G. F. Händels später Opera Seria Orlando nimmt sich im Vergleich mit seiner aktuellen, in Zürich aufgezeichneten DVD-Fassung wie eine Pastellversion des Werkes aus. Dort dominierten die an der französischen Barockoper geschulte Farbsinnlichkeit, überwiegend elegische, ruhig atmende Tempi und meist ergreifend zart formulierte Vokalpartien. Ausnahme blieb die Hauptfigur, der im Liebeswahn gefangene Ritter Orlando, der durch die vokalen Manierismen der Sängerin freilich etwas künstlich wirkte und darum im Ganzen kaum weniger puppenstubenhaft wirkte als das übrige Personal. Echter Furor hört sich anders an. Christies artifizieller und sinnenbetörender Ansatz ließ die mittelalterliche Szenerie, das von Kreuzfahrern befreite Jerusalem mit seinen Heroen und Prinzessinnen, noch entrückter erscheinen, als es modernen Hörern sowieso erscheinen muss.
Ganz anders der 2007 entstandene Live-Mitschnitt aus der Züricher Oper. Hier wird die Musik von einem dramatischen Impuls erfüllt, der die Gefühle der Personen und ihre spannungsvollen Verwicklungen unbedingt ernst nimmt. Der (raumbedingt recht trockene) Klang ist kantiger, viriler, kräftiger, ohne grob und überdeutlich zu werden. Christie verbindet die Tugenden seines Erstlings mit dem gewachsenen Gespür für das menschliche Drama, das Händel in der Musik komponiert hat.
Und so bekommt der Hörer eines der reichsten und schönsten Bühnenwerke Händels ausgesprochen temporeich auf dem Silbertablett serviert. Zumal der Dirigent ein sehr gutes Solistenquintett zur Verfügung hat. Mit ihrer androgynen, manchmal schon etwas gewollt (und dann angestrengt) maskulin wirkenden Contralto-Stimme beschert Marijana Mijanovic dem Hörer einen überzeugenden Anti-Helden, dessen Wahn nicht skurril, sondern durchaus tödlich ernst ist. Silbrig, dabei gekonnt zwischen koketter Zartheit und divenhaftem Furor changierend, klingt der Sopran von Martina Janková, die Orlandos Flamme Angelica die Stimme leiht. Im Kontrast dazu ausgezeichnet die etwas leichtere, aber selbstbewusste Stimme von Christina Clark, die die unglückliche Hirtin Dorinda singt. Mit Katharina Peetz steht ein vorzüglicher Medoro auf der Bühne. Abgerundet wird das Ensemble durch den wohlklingenden, markig auftrumpfenden Bass von Konstantin Wolf in der Rolle des Zauberers Zoroastro.
Die Szene verlegt das Geschehen aus dem 12. Jahrhundert auf einen Zauberberg à la Thomas Mann. Zwischen labyrinthisch verschobenen Wänden folgen die Personen ihren meist erotischen Obsessionen, gesteuert und therapiert vom allmächtigen Oberarzt Dr. Zoroastro und seinen stummen Assistentinnen. Es ist vielleicht auch der sehr direkten, personenzentrierten Inszenierung von Jens-Daniel Herzog zu verdanken, dass die Musik dabei weniger stilisiert als psychologisch wirkt. Herzog inszeniert den (Sub)Text des unveränderten Librettos und macht die im Barock unausgesprochenen Dinge sichtbar. Da wird gegrabscht und gefummelt, da fallen die Hüllen – ein bisschen wenigstens –, da raufen die Damen und da geht es schließlich richtig auf Leben und Tod. Das wirkt manchmal etwas zu direkt, ist aber wirkungsvoll. Starke Spannungen ergeben sich zwischen dem Gezeigten – z. B. dem blanken Zynismus, mit dem Angelica und Medoro die todunglückliche Dorinda trösten, die wie eine Kokotte mit einem Schmuckstück abgespeist wird – und der berührenden Schönheit und Wahrhaftigkeit der in der Musik ausgedrückten Gefühle. Hier möchte man als Zuschauer lieber Händel als der Regie glauben, vor allem, wenn es trotz der guten Sängerdarsteller etwas soap-artig wird.
Alles in allem ein starkes Stück Musik in einer packenden Deutung.
Georg Henkel
|
|
Besetzung |
Marijana Mijanovic: Orlando
Martina Janková: Angelica
Katharina Peetz: Medoro
Christina Clark: Dorinda
Konstantin Wolf: Zoroastro
Orchester La Scintilla
William Christie: Leitung
Jens-Daniel Herzog: Regie
|
|
|
|