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Die inszenierte Panik - Udo Lindenberg erzählt sein Leben




“Mein Leben als Inszenierung. So habe ich es gewollt.“ steht als Zitat auf dem Buchdeckel von Udo Lindenbergs Autobiographie Der Panikpräsident. Äußerst treffend, denn damit ist die Eigenart dieses Pioniers deutschsprachiger Rockmusik auf den Punkt gebracht; eine Eigenart, die Faszinosum und Ungreifbarkeit des Panikers zugleich beschreibt.

Die „warmen Worte“, die Wolfgang Niedecken zumindest den frühen BAP-LPs beigelegt hat, wären bei Lindenberg undenkbar gewesen. Niedecken nahm den Fan mit in sein eigenes Leben hinein, beschrieb Entstehungsgeschichten und biographische Verankerungen jedes einzelnen Songs. Sein Leben als Künstler wurde damit so transparent, dass man den Eindruck bekam, mit ihm Tür an Tür gelebt zu haben. Wolfgang wurde von LP zu LP mehr zum großen Bruder.

Ganz anders Lindenberg. Jeder Schritt, jedes Wort, jedes Interview ist sorgfältig geplantes Theater. Lindi trat auf, der Panik-Udo. Wer dahinter stand, das erfuhr niemand. Die wenigen Informationen, die es gab, Alkohol-Exzesse, das Wohnen im Hotel, ein Freundeskreis, der mehr wie eine Menagerie exotischer Existenzen anmutet, all das trug noch zu dem Mythos Lindenberg bei. Wer der Mann hinter der Fassade war, bekamen – wenn überhaupt – wohl nur ausgewählte Menschen mit.

“In einigen Vier-Augen-Gesprächen hatte ich das aufreibende Vergnügen, einen Udo Lindenberg kennen zu lernen, der sich für die atempausenkurze Dauer eines intensiven Gedankenaustausches unbeobachtet, unverfolgt, unverstellt fühlte, schrieb Heinz Rudolf Kunze vor 10 Jahren im Begleittext der Lindenberg-Tribut-CD Hut ab!. “Bei diesen wenigen warmen Gelegenheiten erlebte ich einen nachdenklichen, leisen Hauptdarsteller, eine entwaffnend verunsicherbare Person, die auf schwindelerregende, lebensgefährliche Weise mit der von ihr selbst kreierten Kunstperson zusammenfällt, sobald ein dritter den Raum betritt.“

Lässt sich der Mann mit Hut in dieser Autobiographie endlich hinter die Sonnenbrille schauen? Die Antwort lautet ja und nein – oder ja und vielleicht. Weit über 100 Seiten erzählt Udo Lindenberg über seinen Lebensweg bevor ab Seite 124 das Panikorchester erfunden wird. Davor breitet sich eine spannende Reise mit den Hauptstationen Dinkel, Aa und Elbe aus; wobei die beiden ersten Begriffe nicht für die Öko- und Fäkalphase in seinem Leben stehen, sondern die Ströme sind, an deren Ufern der kleine Matz in Gronau und später Münster zu dem Flüchtling in die Welt der Stars wurde – ganz bewusst und geplant, wie er ein ums andere Mal behauptet.

In dieser Phase – und in den ersten Panikjahren - lässt Lindenberg viel von sich erkennen. Ängste, Unsicherheiten und vor allem die tiefe Liebe zu den Eltern, Freunden und auch zu seiner Heimat in Gronau werden in einer Unverstelltheit offenbart, die den ganzen coolen Udo zur unscheinbaren Fassade verblassen lassen. Ganz nebenbei entsteht ein faszinierendes Bild des Nachkriegsdeutschlands – gezeichnet von einem, der entschieden dazu beigetragen hat, dass dessen Selbstdarstellung ernsthafte Risse bekommen sollte. Im Panikpräsidenten wird erkennbar, dass Udos lebenslanger Kampf gegen die Spießergesellschaft von einer starken Hassliebe geprägt war. Er stammte eben nicht aus dem Bildungsbürgertum, sondern war ein hellsichtiger Teil dieses Spießertums, von dem er sich entschieden, aber mit liebevoller Abwendung trennte, um ihm gleichzeitig mit sensiblen Karikaturen Denkmale zu setzten, die in der deutschen Literaturgeschichte ihres Gleichen suchen.

In der Darstellung des weiteren Verlaufs seiner Karriere ändert sich das Bild. Person und Inszenierung fallen wieder stärker zusammen. Liegt das daran, dass der Abstand noch zu gering ist? Oder besteht das Leben des Stars zunehmend aus seiner eigenen Inszenierung, so dass das „eigentliche“ Leben sich in das Star-Sein auflöst? Fast möchte man letzteres meinen.

Nachdem die Karriere mit der Dröhnland-Tour 1978 ihren ersten unüberbietbaren Höhepunkt erreicht hatte, begann Udo für viele Fans seinen Reiz zu verlieren, auch wenn die kommerziellen Highlights noch folgen sollten. Aber die musikalische Entwicklung schien mehr oder weniger ausgereizt. Udo wurde zur fortgesetzten Eigenkopie.
Das scheint für ihn selber nicht viel anders zu sein. Die Biographie beginnt andere Schwerpunkte zu setzen. Das Engagement für den Frieden in der Friedensbewegung und das deutsch-deutsche Thema werden zu den roten Fäden der Darstellung. Über die „nebenbei“ produzierten LPs verliert der Musiker kaum noch ein Wort.

Wenn er beim Bericht über diese späten Jahre selten noch einmal privat wird, wie bei der Aufarbeitung seiner Beziehung zu Nena, dann wird er allerdings sehr dicht und fast brutal ehrlich. Sein inszeniertes Leben bedeutet fast zwangsläufig eine Situation der Beziehungsunfähigkeit. Das weiß er, aber er erklärt sich bereit, die Konsequenzen seiner grundlegenden Lebensentscheidung zu tragen. Und plötzlich treten dem coolen Sänger verschämt die Tränen ins Auge. Das erste Mal seit der kleine Matz seinen kurzen Hosen entwachsen ist, möchte man ihm nicht mehr mit den halbvollen Whisky-Glas zuprosten, sondern ihn fest in die Arme schließen. Udo hat seine warmen Worte gefunden.



Udo Lindenberg

mit Kai Hermann

Panikpräsident

Die Autobiographie


2004, Random House Entertainment
ISBN 3-8090-3022-8
288 Seiten


Norbert von Fransecky



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