Händel, G. F. (Christie)
Serse
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Info |
Musikrichtung:
Barockoper
VÖ: 08.10.2004
Virgin Veritas / EMI 3 CD (AD live 2003) / Best. Nr. 7243 5 45711 2 1
Gesamtspielzeit: 164:56
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EIN HÄNDEL VOM CHAMPS-ÉLYSÉES
Soeben wurde er vom Magazin Opernwelt zum Dirigenten des Jahres gewählt: William Christie, der die Wiederentdeckung vor allem des französischen Barockrepertoires so entscheidend durch seine Konzerte, Aufnahmen und langjährige Lehrtätigkeit inspiriert hat. Inzwischen wird jede neue Produktion seines Ensembles Les Arts Florissants von den Fans ungeduldig erwartet. Also: Hier kommt der jüngste Wurf, mikrofonfrisch aus dem Théâtre des Champs-Élysées: Serse, ein spätes Opernwunder von Georg Friedrich Händel, der hier der klassischen Opera Seria durch szenische Verdichtung, formale Straffungen und komische Einlagen noch einmal neues Leben einhauchte.
OMBRA MAI FU!
Gleich die Eröffnungsarie des Serse wurde zu einem der größten Handelhits aller Zeiten, umflort von einer schon quasireligiösen Aura: Ombra mai fu singt der zwielichtige Herrscher Serse hier – und ergötzt sich dabei lediglich am Anblick einer edel gewachsenen Platane. Dieses Preislied auf die Schönheit der Natur lädt zur romantischen Übersteigerung geradezu ein – was meist im larmoyanten Pathos endet. Christies eher breit gelagerte Interpretation hat mich allerdings auch nicht recht überzeugt. Anne Sofie von Otter klingt einfach nicht seraphisch genug und bleibt im Ausdruck zu unverbindlich; das dunkel timbrierte Klangband des Orchesters wird hier durch zu viel Vibrato getrübt. Mein Favorit ist und bleibt die Version von Andreas Scholl auf seinem harmonia mundi-Recital.
TRAGIKOMÖDIE
Abgesehen davon hat mir die Aufnahme rund drei Stunden großes Vergnügen bereitet. von Otter findet nach anfänglicher Sprödigkeit stimmlich bald zu ihrer Form und nimmt z. B. die halsbrecherischen Läufe von Se bramate d’amar chi vi sdegna oder Crude furie degl’orridi abissi mit der gewohnten Geschmeidigkeit. So richtig tyrannisch wirkt ihr Serse dabei allerdings nicht, auch in größter Erregung wahrt er eine gewisse Distanz. Das ist vielleicht ein Tribut an Händels Mischform, bei der das Intrigentheater mit Buffo-Elementen angereichert wird, nimmt der Handlung aber auch etwas an innerer Spannung. Für aufgedrehte Spielfreude ist dagegen Antonio Abete mit seinem wandlungsfähigen Bass genau der richtige Mann. Ansonsten dominieren seriatypisch die hohen Stimmen. Auch der Bruder des Serse, Asarmene, war ursprünglich eine Kastratenpartie. Hier ist sie mit einem Contertenor besetzt; Lawrence Zazzo, der stimmlich etwas an Ralf Popken erinnert, gebietet über eine virile, expansive Stimme mit bemerkenswert kraftvoller Dynamik und fanfarenartigen Spitzentönen. Das Heroische liegt ihm mehr als das Lyrische und Zarte, vor allem in langsamen Partien gerät seine Stimme auch schon mal aus dem Fokus. Silvia Tro Santafé ist mit ihrem nicht unbedingt „schönen“, dafür kernigen, höhensicheren Contralto für die „Travestierolle“ der Amastre eine passende Besetzung. Man höre nur ihr hasserfüllt hervorgestoßenes m’uccida in der Arie Anima infida, tradita io sono! Überzeugend auch die sensible Darbietung von Elizabeth Norberg-Schulz in der Rolle der von Männern belagerten Romilda. Die Krone gebührt allerdings Sandrine Piau, die der koketten Nebenbuhlerin Atalanta mit funkelnder Stimme, Charme und atemberaubender Koloratursicherheit ein gehöriges Verführungspotential verleiht.
KURZWEILIG
Ein triller- und tempolastiges Sängerinnenfestival wie Alcina (Erato / Warnerclassics) bietet Serse nicht – zum Glück! Vielleicht liegt es auch an Händels häufigem Verzicht auf das Dacapo, dass Christie die Proportionen der Komposition deutlich besser in den Griff bekommt. Kontraste und Timing stimmen, die Zeit vergeht wie im Fluge. Puristen dürften sich allerdings wieder an manch unbarocker, gleichwohl eindrucksvoller Verzierung und auftrumpfenden Spitzentönen stören. Das Orchester ist relativ kräftig besetzt, was den akustischen Verhältnissen eines großen Opernhauses geschuldet ist. In Christies Studioproduktionen gibt es zwar mehr an ausgefeilter instrumentaler Politur zu bewundern (wie jüngst noch in Theodora (Warnerclassicss)), der breitere Strich im Serse kommt allerdings der Dramatik des Geschehens sehr zu Gute. Etwas enttäuschend ist der matte Live-Klang; die Nebengeräusche, obschon zahlreich, fallen akustisch dagegen kaum ins Gewicht. Dass eine deutsche Übersetzung des Librettos fehlt, ist wohl ein Fehler – die dafür vorgesehene Spalte ist einfach leer geblieben. Dafür kann man sich an den farbigen Szenefotos von der Aufführung erfreuen.
Georg Henkel
Trackliste |
CD I – Akt 1 66:01 CD II – Akt 2 59:08 CD III – Akt 3 39:47 |
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Besetzung |
Anne Sofie von Otter (Serse) Elizabeth Norberg-Schulz (Romilda) Sandrine Piau (Atalanta) Silvi tro Santafé (Amastre) Lawrence Zazzo (Arsamene) Giovanni Furlanetto (Ariodate) Antonio Abete (Elviro)
Chor und Orchester „Les Arts Florissants“
Ltg. William Christie
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