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Klangzeitfestival Münster 2004 - Unendliche Weiten



Das Klangzeitfestival „HörenSagen“ hat vom 29. Oktober bis 07. November 2004 die denkbar größte Vielfalt von musiktheatralischen Konzepten auf die Bühnen, in die Hallen, Säle, ins Kirchenschiff und selbst noch ins Schwimmbad der Stadt Münster gebracht.
Das postmoderne Allover der Genres, Formen und Stile, das sich ohne Berührungsängste zwischen U- und E, zwischen Performance, Installation und Multimedia-Show, zwischen Stimme, Synthesizer und traditionellem Instrumentarium bewegte, beantwortete freilich die Frage: „Was ist Musiktheater heute?“ nicht. Vielmehr wurde sie vom Festival selbst neu gestellt: „Ist das alles Musiktheater? Und wenn nicht, was ist es dann?“

Bei eher ambiente-orientierten Klanginszenierungen, die sich meist zu späterer Stunde im Rahmen von cuba-cultur ereigneten, ähnelte das Musiktheater mehr einem „interaktiven“ Labor der Klänge: Publikum und Musiker waren hier schon räumlich viel stärker aufeinander bezogen, als bei den klassischen Aufführungsformaten im Stadttheater oder Theater im Pumpenhaus.

Helmut Oehring/Foto: H. Stiemert

Der Eröffnungsabend am 29. 10. im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen setzte mit zwei unterschiedlichen Kompositionen sozusagen das multimediale Vorzeichen vor die Festival-Klammer: Helmut Oehrings Im Dickicht der Zeichen und Sidney Corbetts Die sieben Tore platzierten (in jeweils unterschiedlicher Zusammensetzung) ein computerunterstütztes Instrumentalensemble, Sänger/innen, Sprecher, Pantomimen und Videoprojektion auf der Bühne. Beide Komponisten produzierten auf ihre Weise „Zeichendickichte“ mit einer Symbolsprache des „Exakt-Ungefähren“, die in Beliebigkeit umzuschlagen drohte. Der Programmtext zu Oehring brachte dies unfreiwillig auf den Punkt: „Es ist dies eine Betroffenheit, die das ästhetische Erlebnis als zugleich emotionales Erlebnis in einen aktuellen gesellschaftlichen Kontext stellt oder genauer, eine Brücke zwischen subjektiver Befindlichkeit und dem Leben in der heutigen Gesellschaft schlägt.“ - Für welche Kunst gilt das eigentlich nicht? Und muss das so umständlich formuliert werden?

Sidney Corbett/Foto: Klangzeitfestival

Während man bei Oehring eine vage Auseinandersetzung mit Leistungsdruck, Fitnesswahn, Kulturmüdigkeit u. ä. assoziieren konnte, stand bei Corbett das Thema „Todesstrafe“ ausdrücklich im Zentrum des Werkes. Als „narratives Musiktheater“ blieb das Stück allerdings ebenfalls blass, obschon die dynamische und expressive Palette breiter war als Im Dickicht der Zeichen. Vielleicht aber kämpfen derartige Aufführungen auch nur gegen die Macht der Klischees an: Oehrings Produktion kann man in seiner Kombination diverser Neue-Musik-und-Medien-Versatzstücke auch als ironischen Kommentar zu derlei „Theater“ erleben, bei Corbett mag sich gerade in der ätherischen, verführerischen Reinheit mancher Gesangslinien ein hintergründiges „Tor zur Hölle“ öffnen …

Fatima Miranda/Foto: Klangzeitfestival

Eindrucksvoll geriet dagegen am Tag darauf das Konzert der Spaniern Fátima Miranda. Und dies, obwohl die Technik in der zweiten Hälfte des Abends versagte: Die DVD mit dem vokalen Playback-Material, mit dem sich die Sängerin selbst begleitete, ließ sich nicht mehr abspielen. Und so kam das Publikum, dass noch kurz zuvor von einer hermetisch abgeschlossenen Inszenierung aus Stimmen, Bildern und Licht gebannt worden war, in den Genuss erfrischend spontaner Improvisationen (lediglich durch die elektrische Verstärkung von Mirandas Stimme blieb ein Rest Unwirklichkeit).
Mirandas Stimme ist ein Wunder – mitunter mochte man kaum noch glauben, dass es sich um ein menschliches (geschweige den weibliches!) Organ und nicht doch um ein computerbearbeitetes Sample handelte, was da summte, säuselte, heulte, wisperte, flötete, tönte, (vollendet) krächzte und – im wahrsten Sinne – melodisch rotzte. Dank der Kombination von unterschiedlichsten Gesangstechniken machte Miranda selbst den Melodien der Buckelwale Konkurrenz. Das kompositorische Prinzip war dabei in allen Fällen relativ simpel: Variation und Reihung. Ein zunächst einfaches Ausgangsmaterial wurde immer virtuoseren Veränderungen und Erweiterungen unterworfen. Zwar drängte sich auch schon mal der Eindruck auf, lediglich der technischen Vorführung eines phantastischen Instruments zu lauschen. Weil Miranda die selbstgesetzten Grenzen aber immer wieder durchbrach, Ekstase in Exaltation und Pathos in Ironie umschlagen ließ, lief das Programm selten Gefahr, nur noch um sich selbst zu kreisen. Zumal, wie gesagt, die Technik irgendwann pausierte: handgemachtes Musiktheater, „Low Tech“ (O-Ton Miranda), das in seiner Unmittelbarkeit aber dramatisch wirksamer war, als manches High Tech-Spektakel.

Georg Henkel


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