Martha, Carol und Melissa: Manfred Mann’s Earth Band in Chemnitz
Manfred Mann und seine Earth Band zeichnen für einen der absoluten All-Time-Favourites des Rezensenten verantwortlich – wie sie aus dem unscheinbaren Dylan-Song „Father Of Day, Father Of Night“ ein zehnminütiges Rock-Epos der Sonderklasse gebastelt haben, das nötigt ihm noch immer höchsten Respekt ab. Trotzdem hat es sich irgendwie nie ergeben, dass er die Formation mal auf der Bühne erlebt, bis zu ebenjenem Abend in Chemnitz, dem letzten einer drei Gigs umfassenden „Wochenendtour“ in Deutschland. Der Große Saal der Chemnitzer Stadthalle ist unten gut gefüllt, die Ränge bleiben allerdings leer, und so dürfte unterm Strich ungefähr die Hälfte der Plätze belegt sein. Pünktlich 19 Uhr kommt ein augenscheinlich noch recht junger Mensch auf die Bühne, begrüßt das Publikum und hängt sich danach eine Keytar, also eines dieser tragbaren Keyboards, um. Sollte mit Manfred, der immerhin kurz vor seinem 84. Geburtstag steht, irgendwas nicht stimmen? Immerhin sind die Keyboards ja eigentlich sein „Revier“. Aber kurze Zeit später kommt auch Manfred nach vorn, verschanzt sich hinter seiner Keyboardburg, und das Programm geht mit dem kernig-groovigen Rocker „Captain Bobby Stout“ los, von Anfang an übrigens mit ziemlich klarem Sound in angenehmer Lautstärke. Kuriosum: Ausgerechnet die Keytar von James Stewart, wie der Neuzugang heißt, wird im Gesamtsound über weite Strecken untergebuttert – man hört sie nur in einigen zurückhaltenderen Passagen und stellt fest, dass die Aufgabe hauptsächlich darin besteht, Streicherflächen und andere Elemente einzuwerfen, die der bewußt antiquierte Keyboardpark Manfreds nicht oder nur mit großem Aufwand live erzeugen könnte. Die Keytar kommt auch nicht in jedem Song zum Einsatz, sondern nur in einer Handvoll, und James verläßt die Bühne und mutiert zum Stagehand, wenn er nicht als Musiker gebraucht wird. Die anderen fünf stellen die seit etlichen Jahren stabile Stammbesetzung der Earth Band dar, wobei etwa Gitarrist Mick Rogers auch schon seit den Siebzigern und seit der Wiedergründung 1992 dabei ist. Zusammen mit Bassist Steve Kinch sorgt er für die Backingvocals, die Leadvocals dagegen sind überwiegend das Fach des seit 2011 an Bord befindlichen Robert Hart, der im Opener auch noch eine zusätzliche Akustikgitarre spielt, sich dieser aber schon vor dem Ende des Songs entledigt. Dass Manfred es nicht nötig hat, sein Ego in den Vordergrund zu stellen, beweist schon der rein äußerliche Umstand, dass nicht etwa er das erste Solo des Abends spielt, sondern Mick, wenngleich natürlich auch er noch genügend Gelegenheiten beim Schopfe ergreift, um seine Tastenkünste zu zeigen, die er aber stets songdienlich einbringt. Bleibt Drummer John Lingwood, der deutlich jünger wirkt als 73 und der mit einer derartigen jugendlichen Frische und einem bedarfsweise kräftigen Punch spielt, dass er als Hauptverantwortlicher für den nicht selten kernig-vorwärtsstrebenden Charakter benannt werden muß oder darf. Idealtypisch findet man dieses Bild in „Don’t Kill It, Carol“ an Setposition 2: Steve spielt einleitend ein Baßsolo, und über einen lehrbuchreifen Spannungsaufbau kommt es zu einem großen speedigen Ausbruch. Im Mittelteil übernimmt Manfred kurz die Leadvocals, auffälliger ist aber trotzdem Micks fettes Bombastsolo, das abermals eine prächtige Exzelsior-Spannung aufbaut und dazu führt, dass Robert am Ende hoch zu kreischen beginnt. „Martha’s Madman“ steht dem nicht nach, baut die Stilmittel aber weiter au, indem Robert und Mick im Intro ein ganz weit entfernt wirkendes Duett inszenieren, ehe sich ein Slowgroover entwickelt, in den John allerdings einige proggige Rhythmusverschiebungen einwirft. Die Kombination aus treibender Bridge und hymnischem, wenn auch durchaus nicht eingängigem Refrain wirkt ebenfalls, Manfred spielt große Soli, die Keytar hört man endlich mal, und alles mündet wieder in ein speediges Exzelsior. Die Ballade „Stronger Than Me“, eine kurz vor der Jahrtausendwende entstandene Nummer von Melissa Etheridge und letztlich der jüngste Beitrag in der Setlist, erinnert ein bißchen an Lennons „Imagine“ und führt Robert in sehr expressive Gefilde, wobei er dazu neigt, die Töne ein bißchen zu „umspielen“, ehe er dann doch auf ihnen landet. Das hört man auch im folgenden „You Angel You“, das Akustikrock der eher kernigen Sorte bietet. Tja, und dann intoniert Manfred ein Intro, das Themen von „Father Of Day, Father Of Night“ verarbeitet, letztlich aber erstmal in ein Duett aus Keyboards und Gitarre mündet. Der linke Nachbar des Rezensenten wirft ein Songerkennungsprogramm an, aber das erkennt das markante Gitarrenthema genausowenig wie alle folgenden Songs, bei denen gleichartige Versuche gestartet werden – KI ist halt auch noch nicht so richtig ausgereift. Letztlich mündet das Duett doch in „Father Of Day, Father Of Night“, und zwar in einer gleich mehrfach ungewöhnlichen Interpretation. Zum einen arbeitet Mick lange mit einer Akustikgitarre, ehe er später im Hauptsolo doch noch zur Elektrischen greift. Zum zweiten singt hier nicht Robert, sondern ebenfalls Mick die Leadvocals (was er freilich in den Siebzigern vor dem Einstieg Chris Thompsons auch schon getan hatte – die Aufgabe ist also nicht ganz ungewohnt für ihn), und zum dritten verteilt er die Silben rhythmisch auf recht ungewöhnliche Weise, so ganz anders als sein Nachfolger Thompson damals (dessen Fassung man irgendwie immer noch als erste im Ohr sitzen hat), so dass man sich in seine Interpretation erst ein wenig hineinhören muß, zumal auch der Bombastfaktor lange Zeit überschaubar bleibt, aber trotzdem ein recht expressiver Charakter hervortritt – und im hinteren Teil kommen dann auch die Freunde umfassenden Klangbombasts noch auf ihre Kosten. Eine ungewöhnliche Fassung des Songs – zugleich aber ein Zeichen, dass die Earth Band zwar im Repertoire historisch ausgerichtet ist, aber die Songs trotzdem zumindest in gewissem Maße „neu erfinden“ kann. In der Ballade „For You“ wechseln sich zurückhaltendere und zupackendere Momente ab, und das Publikum singt fleißig mit und bekommt somit gleich die Aufgabe, „Blinded By The Light“ rhythmisch einzuklatschen. Robert und James rocken hier Rücken an Rücken, ehe James allerdings an die Hauptkeyboards wechselt, weil Manfred sich für eine Rezitation inclusive Hundegebellimitation nach vorn begibt. Ansonsten regiert hier genauso spielfreudiger und vielseitiger Siebziger-Rock wie im Setcloser „Davy’s On The Road Again“, wo das Auditorium schon im Intro fleißig mitsingt und sich über flottes, aber gleichzeitig grooviges Vorankommen auf der Straße freuen darf, wobei Manfred ins Keyboardsolo Passagen einflicht, die ein bißchen an Beethovens Götterfunken-Thema erinnern. Der Große Saal der Stadthalle in Chemnitz ist an diesem Abend komplett bestuhlt geblieben (2012 bei Uriah Heep und Nazareth hatte man die vorderen elf Reihen abgebaut und nur die hinteren belassen), und nachdem das Publikum bisher durchgängig gesessen hat, springen nun fast alle auf, spenden reichlich Applaus und bleiben für die Zugaben dann auch stehen. „Do Wah Diddy Diddy“ führt dabei zurück in die Sechziger, lange Zeit hauptsächlich von Mick geprägt, der hier auch singt, unterstützt freilich vom Publikum. Der Song atmet naturgemäß die stärkste Portion klassischen Rock’n’Roll, und Mick versucht sogar mit den Zähnen zu spielen wie einst Jimi Hendrix. Außerdem wird ein anderer Sechziger-Hit Manfreds eingejammt, nämlich „Pretty Flamingo“. Ein Drumsolo von John leitet schließlich in „Mighty Quinn“ über, zunächst ebenfalls mit langem Instrumentalintro, ehe Mick wieder singt, diesmal talkboxartig – Robert übernimmt aber bald und holt ein letztes Mal alles aus seiner auch nicht mehr ganz jugendlichen, aber schon noch belastbaren und gestaltungsfähigen Stimme heraus. Die Instrumentalisten dürfen ein letztes Mal zaubern, und das Publikum singt den Refrain sogar nach dem unwiderruflichen Ende des Songs wie des Konzertes weiter, bis als Outro vom Band „What A Wonderful World“ eingespielt wird. So bleiben unterm Strich 100 Minuten ehrliche Bühnenarbeit vom Feinsten, die eindrucksvoll demonstriert, dass Alter kein Argument ist, nicht zu rocken. Setlist: Captain Bobby Stout Don’t Kill It, Carol Martha’s Madman Stronger Than Me You Angel You Father Of Day, Father Of Night For You Blinded By The Light Davy’s On The Road Again -- Do Wah Diddy Diddy/Pretty Flamingo Mighty Quinn Roland Ludwig |
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