Beethoven, L. v. (Chiaroscuro Quartett)

Streichquartette Nr.


Info
Musikrichtung: Klassik / Streichquartette Nr. 10 & 13

VÖ: 04.10.2023

(BIS / Klassik Center Kassel / SACD hybrid / 2022 / BIS-2668)

Gesamtspielzeit: 71:26



AUF FINGERSPITZEN

Das Chiaroscuro-Quartett setzt seine Beethoven-Expedition fort, die zuletzt viel Aufsehen erregt hatten. Denn die vier Musiker:innen spielen auf darmbesaiteten alten Instrumenten und mit entsprechenden Bögen. Darauf kultivieren Alina Ibragimova, Paolo Hernán Benedi, Emilie Hörnlund und Claire Thirion einen ganz eigenen Klang, oder vielmehr, ein komplexes Klangspektrum, der den Musikheroen Beethoven in einem unerhört zartdramatischen Licht präsentiert.

Nach den frühreifen sechs Quartetten op. 18 folgen nun zwei spätere Werke Beethovens: Das wegen seiner Pizzicati-Figuren im ersten Satz sogenannte „Harfen“-Quartett op. 74 (Nr. 10) - ein ausgesprochen lyrisches Werk, mit dem Beethoven seine mittlere Phase beschließt. Dann das späte op. 130 (Nr. 13), das nicht nur aufgrund seines ursprünglichen spektakulären „Große-Fuge“-Final-Satzes zu den Achttausendern der Gattung gehört. Wobei Beethoven diesen Satz auf Anraten von Freunden und Verleger abgetrennt und durch einen leichtgewichtigeren Schluss ersetzt hat – dieser revidierten Fassung ist auch das Chiaroscuro-Quartett gefolgt und hat sich die „Große Fuge“ für eine spätere Gelegenheit aufgehoben.

Der amerikanische Komponist Morton Feldman, ein Meister vielfacher Pianissimi und ruhig atmender Kläge, betonte stets seine kritische Distanz zum klassischen Kollegen, schätzte allerdings durchaus die Streichquartette. Der Ansatz des Chiaroscuro Quartetts dürfte ihn entzückt haben, ist er seinem eigenen Umgang mit der Gattung Quartett gar nicht so fern: Das webt und schwebt oft in der unteren Hälfte der Lautstärkenskala, durchmisst die subtil gestuften dynamischen Bereiche und Valeurs, vibratoarm und ohne Nachdruck, aber eben doch nicht ohne Kontraste, Klarheit und Leidenschaft. Das kraftvoll Eruptive wie andrängend Aggressive, dass man gemeinhin mit Beethoven verbinden mag, tritt zurück hinter eine ungewohnte Sensibilität und Delikatesse, ja Weichheit und auch Fragilität, die berührt, in ihrer Konsequenz aber auch irritieren kann. Das Chiaroscuro Quartett demonstriert wieder einmal, dass die Wahl historischer Mittel und die Rekonstruktion (letztlich fiktiver) vergangener Klangbilder ausgesprochen moderne Wirkungen zeitigen kann.

Während die ersten Sätze des „Harfen“-Quartetts die bemerkenswerten Licht-Schatten-spielerischen Qualitäten des Ensembles demonstrieren, darf der Presto-Satz passagenweise dunkelwild dahinfegen, wahrt aber auch die Atmosphäre eines Feenreigen à la Mendelssohn. Das Finale wirkt ebenfalls wie miniaturisiert, der launig-listige Ton Beethovens, der ja durchaus von kraftvollen Entgegensetzungen lebt, blitzt nur gelegentlich auf.

Die sehr diverse Musik von Opus 130 bietet den Interpret:innen viel Gelegenheit, die vielschichtigen Texturen entsprechend auszugestalten, dabei den Ton noch weiter zu differenzieren. Ein Beethoven, der wahrlich aus den Fingerspitzen gespielt wird! Bei aller einnehmenden Verbindlichkeit und Detailfreude: In wie weit dabei z. B. beim ausgreifenden Eröffnungssatz der Kontrast von Ironie, Tragik und Erhabenheit nivelliert wird zugunsten eines vor allem nach innen gekehrten Spiels, bleibt eine Frage, die sich im Laufe dieses Quartetts immer wieder stellt. Die Verfeinerung fördert zwar vielfältige neue Nuancen und Farben zu Tage, aber stets im gesetzten Rahmen. Wird dieser dann bis an die Grenzen ausgereizt, wie beim wilden Allegro-Finale von Opus 130, wirkt die Musik aber auch schon mal etwas spitz und „aufgeregt“.

Sofern man diese Setzungen aber akzeptiert, wird man aber einen ganz ungewöhnlich, reichen Beethoven entdecken können, der zum vertieften Hören einlädt.



Georg Henkel



Trackliste
Streichquartette Nr.10 & 13
Besetzung

Chiaroscuro Quartett
Alina Ibragimova & Paolo Hernán Benedi, Violinen
Emilie Hörnlund, Viola
Claire Thirion, Cello


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