Thunderstruck on a July Morning: Chris Slade Timeline im Jenaer Kulturbahnhof
Anno 2019 hatte Simon Wright zusammen mit einer italienischen AC/DC-Tributeband im Jenaer Kulturbahnhof gastiert. Anno 2022 spielt am gleichen Ort nun Chris Slade mit seiner Timeline getauften Soloband, der bekanntlich anno 1990 Wright in den Diensten der Gebrüder Young „beerbt“ hatte. Wenn anno 2025 keiner der Drummer aus der AC/DC-Embryonalphase auf Tour sein sollte, bleibt also von der Logik her nichts anderes übrig, als Phil Rudd heranzuholen, sofern sich auch der eine „Hobbyband“ gönnt ... Im Gegensatz zu Wright, dessen weitere Betätigungsfelder mit Ausnahme von Dio eher nur Insidern bekannt geworden sind, hat Slade eine ganze Reihe großer Namen in seiner Vita stehen, auch schon vor seinem Einstieg bei AC/DC. Erste Erfahrungen sammelte er in den 1960ern mit seinem alten Buddie Tom Jones, verbrachte ein Jahrzehnt bei Manfred Mann’s Earth Band, spielte das (nach Norberts Meinung allerdings reichlich schwache) Uriah-Heep-Album Conquest ein, musizierte mit Paul Rodgers und Jimmy Page bei den trotz zweier Alben nie so richtig aus dem Knick gekommenen The Firm und schaffte sich innerhalb von vier Tagen das Programm von Gary Moores „After The War“-Tour drauf, nachdem Moore sechs Tage vor Tourstart Cozy Powell gefeuert hatte. Auf dieser Tour erweckte der Schlagwerker das Interesse der Youngs, die ihn schließlich zu AC/DC holten, wo Slade das The Razors Edge-Meilensteinalbum, die Big Gun-Single und das dazwischenliegende Livealbum eintrommelte, bevor er dem Rückkehrer Phil Rudd weichen mußte. Sein bekanntestes Post-AC/DC-Betätigungsfeld wurden Asia, aber auch hier fiel er letztlich einer Reunion, in diesem Falle sogar der Originalbesetzung, zum Opfer und mußte seinen Hocker für Carl Palmer (und zwischendurch noch kurz für Jay Schellen) räumen. Anno 2012 stellte er schließlich seine eigene Band namens Chris Slade Timeline zusammen und spielt mit dieser just for fun in kleinen Clubs Songs aus seiner mittlerweile mehr als ein halbes Jahrhundert umspannenden Karriere. Die aktuelle Tour hat mit dem zehnjährigen Bandjubiläum dann auch gleich noch einen strukturellen Anlaß, und der Jena-Gig ist der letzte der aktuellen Etappe der Tour. Auf der Bühne steht letztlich meistens ein Sextett: Slade hat die weise Entscheidung getroffen, zwei Leadsänger zu verpflichten, denn wer AC/DC-kompatibel kreischen kann, muß nicht automatisch auch für Material von Manfred Mann’s Earth Band die passende Stimme abrufen können. So ergibt sich letztlich die Arbeitsteilung, dass Paul die AC/DC-Nummern singt und Steve alles andere, wobei letztgenannter in den AC/DC-Nummern allerdings auf der Bühne bleibt und Backings singt, während sein Kompagnon während der von Steve leadgesungenen Songs „Freizeit“ hat und durchs Publikum stromert. Backings kommen zudem aber außer vom Bassisten auch noch von allen anderen Bandmitgliedern, also inclusive Slade selbst, und mit Michael ist ein Jungspund am Start, der in den AC/DC-Nummern die Rhythmusgitarre spielt, während er in den anderen Songs je nach Bedarf ebenfalls in die Saiten greift oder aber die Keyboards bedient. Da auch Steve mitunter noch eine Gitarre beisteuert, entsteht ein oft recht voller Sound – aber im Kulturbahnhof gibt es ja fähige Menschen am Mischpult: Thomas braucht drei Songs, um den etwas distanziert wirkenden Sound in ein großes Ganzes zu verwandeln, und von da an gibt es bis kurz vor Ende des regulären Sets am Klanggewand nahezu nichts auszusetzen, sieht man davon ab, dass es noch etwas länger als drei Songs dauert, bis auch Steves Leadvocals mit der gewünschten Durchsetzungsfähigkeit aus den Boxen kommen. Spannende Frage ist aber primär, welche Stationen seiner Karriere Slade in der Setlist Revue passieren läßt. Dass viel AC/DC-Material dabei ist, verwundert nicht weiter, wobei er auch solches aufbietet, das er original zwar live gespielt, aber nicht im Studio eingetrommelt hat – gleich als Opener kommt „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“ und erst danach „Big Gun“, also eine seiner Studioarbeiten. Bei der Earth Band stellt sich die Frage in dieser Form nicht, da deren unverzichtbare Klassiker sowieso alle aus seiner aktiven Zeit stammen. Der allergrößte Treffer steht dabei schon an Setposition 5: Was Mann damals aus Dylans eher unauffälligem „Father Of Day, Father Of Night“ gezaubert hat, bringt auch heute noch die Kinnlade jedes qualitätsbewußten Siebziger-Rock-Freaks zum Herunterklappen, und auch an diesem Abend stellt diese Nummer wohl nicht nur für den Rezensenten das Highlight des Sets dar – knapp dahinter allerdings eine Überraschung: In Anbetracht der Tatsache, dass das einzige Heep-Album Slades keinen wirklichen Klassiker enthält, spielt die Band statt dessen einen der Klassiker, die der Drummer auf Tour naturgemäß darzubieten hatte, nämlich „July Morning“, und wäre die große finale Gitarrenlinie noch etwas schärfer aus dem hier schon leicht schwammig werdenden Soundgewand hervorgetreten, man wäre nicht umhingekommen, beide Songs auf ein und dasselbe Level zu stellen. Im Falle von Gary Moore hätte sich der Rezensent durchaus gefreut, eine der After The War-Nummern zu hören (da ist starkes Material drauf, allen voran der Titeltrack), aber Slade kredenzt uns statt dessen „Parisienne Walkways“ und deklariert das auch gleich noch als Tribut an Phil Lynott. Mit The Firm wiederum hat der Schlagwerker, wenn die Überlieferung stimmt, live weder Material von Bad Company noch solches von Led Zeppelin gespielt, dennoch hören wir an diesem Abend „Kashmir“ in einer gleichfalls sehr starken Version, das The Firm dann weiland offenbar nur mal im Proberaum gezockt haben. Aber es gibt noch weitere Überraschungen, z.B. eine Eigenkomposition Slades namens „Back With A Vengeance“ (im Netz gelegentlich auch nur „Vengeance“ betitelt), die kurioserweise wie ein Mix aus AC/DC, der Earth Band und einer Portion Metal tönt, teils mit drei Gitarren dargeboten wird und zumindest vom einmaligen Höreindruck her in der Liveversion richtig viel Hörspaß macht – leider lassen sich die Publikumsresonanzen nur bedingt einschätzen, da das Songende direkt in die Glocken von „Hells Bells“ morpht und man daher nicht so richtig weiß, wann man applaudieren soll. Was der Rezensent nicht auf dem Schirm hatte, ist, dass Slade 1984 auf einer Solotour von David Gilmour trommelte – mit „Comfortably Numb“, das auf jener Tour im Zugabenteil gespielt worden war, hätte er an diesem Abend nun wirklich nicht gerechnet. Ab dieser Nummer wird leider der Sound immer lauter und immer schwammiger, teils auch dröhniger, zumindest in der Mitte des Saals, wo sich der Rezensent aufhält, so dass er nach dem den regulären Set abschließenden „Thunderstruck“ und der ersten Zugabe „The Razors Edge“ (das dort eingeschmuggelte Keyboardsolo kann man akustisch leider kaum wahrnehmen) nach hinten in die Reihe vor das Mischpult verschwindet, wo „Highway To Hell“ tatsächlich einen Deut weniger schwammig daherkommt, allerdings immer noch weit von der in guten Teilen des Gigs herrschenden Klarheit entfernt. Mit diesem Song ist dann auch klar, dass kein Asia-Material im Set steht, was ein wenig verwundert, da selbige Combo ja auch einen hohen szeneinternen Stellenwert hat und zudem Steve den Vorlagen von John Wetton oder John Payne vokalistisch problemlos gewachsen sein sollte, wenn man seine Leistungen in diversen anderen Songs als Maßstab nimmt. Überhaupt hat Slade hier durchaus Könner um sich geschart: Steve mit seiner episch-klaren Stimme, den kurioserweise wie eine Kreuzung aus Udo Dirkschneider und Stefan Kaufmann aussehenden Paul mit seinem kompetenten Gekreisch, James mit seinen vielfältigen Fähigkeiten an der Leadgitarre, Andy mit seinem grundsoliden Baßfundament und schließlich Michael, der der Doppelbelastung problemlos gewachsen ist, so gut, dass Slade ihn in seiner Bandmitgliedervorstellung scherzhafterweise gleich zweimal nennt, einmal als Gitarrist und einmal als Keyboarder. Überhaupt sitzt nicht nur dem Drummer in seinen Ansagen der Schalk im Nacken, sondern auch die Bandmitglieder verwickeln ihn bisweilen in lustige Dialoge, etwa über die Qualitäten des Schwarzenegger-Films „Last Action Hero“ (von dessen Soundtrack „Big Gun“ eigentlich stammt), so dass der Eindruck entsteht, hier sei eine Gang alter Freunde auf einem Vergnügungstrip, was von der Wahrheit wahrscheinlich gar nicht so weit entfernt ist. Dass da spieltechnisch auch mal was knapp neben der Ideallinie landet (auch beim fast 76-jährigen Slade selbst) – geschenkt: Alle haben Spaß, auch der große Teil des leider in übersichtlicher Kopfzahl erschienenen Publikums, und zwei Stunden gute Musik vergehen wie im Fluge. Und wenn das nächste Mal dann vielleicht auch „Time Again“, „Rock And Roll Dream“ oder meinetwegen auch „Heat Of The Moment“ im Set auftauchen ... Setlist: Dirty Deeds Done Dirt Cheap Big Gun Joybringer High Voltage Father Of Day, Father Of Night Sin City Parisienne Walkways Back In Black Back With A Vengeance Hells Bells Blinded By The Light You Shook Me All Night Long July Morning Comfortably Numb Kashmir Thunderstruck -- The Razors Edge Highway To Hell Roland Ludwig |
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