Motor Kabowski
Achterbahn im Paradies
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Motor Steinach, Motor Ascota Karl-Marx-Stadt, Motor Nordhausen, Motor Altenburg – Namen, die dem DDR-Fußballfreund sicherlich noch geläufig sind, handelte es sich doch um Betriebssportgemeinschaften, die zeitweise auch in den beiden höchsten Spielklassen des DDR-Fußballs reüssieren konnten, wenngleich es nie zu den ganz großen Erfolgen reichte (das schaffte von den Betriebssportgemeinschaften nur Sachsenring Zwickau, die im Europapokal der Pokalsieger 1975/76 schwere Brocken wie den AC Florenz oder Celtic Glasgow aus dem Weg räumten, ehe sie im Halbfinale am späteren Cupsieger RSC Anderlecht scheiterten). Motor Kabowski fehlen zur Fußballmannschaft acht oder gar neun Mitglieder (je nachdem, ob Bassist Martin Ziegler offiziell als Mitglied zählt oder nicht), und in die Topligen der deutschen Rockwelt aufsteigen werden sie vermutlich auch nicht – hier kommt ein Underground-Herzensprojekt, das zwar sicher auch nichts dagegen hätte, wenn die Verkäufe des Debütalbums Achterbahn im Paradies so hoch lägen, dass man deutlich schwarze Zahlen schreiben könnte, aber realistisch genug sein dürfte, dass die Chancen dafür ungefähr so hoch sind wie die, dass Motor Altenburg (unter diesem Namen noch immer bzw. wieder existent) in zehn Jahren Champions League spielt. Außerdem gibt es die CD-Version des Albums sowieso nur in limitierter Auflage (als Cardboard-Sleeve).
Dabei agiert das Duo oder Trio im Grundsatz durchaus nicht so schräg, dass man ihm etwa keinen größeren Follower-Kreis zuschreiben könnte. Interessant sein dürfte der Zehntracker vor allem für Menschen, die sich Ton Steine Scherben ohne Politattitüde und als Kompaktversion vorstellen könnten. Vor allem der Gesang von Chefdenker Ronny Richter erinnert sowohl in der Färbung als auch in der schnoddrigen Phrasierung ein ums andere Mal an die Frühzeiten von Rio Reiser, ohne diesen freilich kopieren zu wollen. Aber auch musikalisch gibt es die eine oder andere Parallele, wobei sich Motor Kabowski allerdings viel basischer gebärden, sowohl arrangementseitig – die zehn Songs schaffen die Halbstundenmarke nur knapp – als auch in puncto Instrumentierung, die ausschließlich aus Baß, Gitarre und Drums besteht, auf Keyboards, Effekte und Zutaten wie Flötensoli also gänzlich verzichtet. Man sollte freilich trotzdem ein gewisses musikalisches Spektrum mögen, um mit dem Material des Trios klarzukommen. „Dekadenz“ etwa atmet einen sehr punkigen Geist, während „Wenn du gehst“ breit ausladenden Bluesrock auffährt, „Schöne neue bunte Welt“ ein paar Funkanleihen sowie ein Baßsolo einbastelt und das Riff von „Immer wieder mal“ dem Hörer in einer ähnlichen Form von Ritchie Blackmore bekannt ist, aus „Man On The Silver Mountain“, um genau zu sein. „Blaues Auto“ baut dann auch noch ein paar Indierock-Elemente ein, „180“ bietet eine Art Postgrunge, das Riff von „Sexy Lady“ hätte auch Mick Jones auf einer der ersten Foreigner-Platten unterbringen können, und „Nadeln im Kopf“ (hier kommt die Albumtitelzeile vor) wäre mit seinem spacigen Touch weder bei Hawkwind noch bei diversen Krautrockern deplaziert. Das klingt von der Schilderung her jetzt alles sehr divers, aber Motor Kabowski schaffen es doch, den Eindruck zu vermeiden, dass man hier einen Sampler hört, wozu zum einen Richters Stimme, zum anderen aber auch die trotz aller Unterschiede im Detail fast immer ähnlich gefärbte Gitarrenarbeit beiträgt.
Genau jener Gesang dürfte aber auch der Faktor sein, an den sich viele Hörer am schwersten gewöhnen können, da etwa das Halten von Melodien zugunsten des expressiven Ausdrucks oftmals in den Hintergrund rückt und so etwas wie eingängige Refrains auch weitestgehend abwesend bleiben – trotz der deutschen Sprache erfordert diese Komponente also einige Erschließungsarbeit, was Anhängern der frühen Scherben, die eben nicht auf die politischen Texte fixiert sind (solche findet man bei Motor Kabowski nicht, zumindest nicht in dieser direkten Ausdrucksweise – „180“ etwa setzt sich durchaus mit gesellschaftspolitischen Thematiken auseinander, verzichtet aber auf Parolen wie „Keine Macht für niemand“), möglicherweise leichter fällt als anderen Fankreisen. Auch Die Ärzte schimmern hier und da mal durch, aber immer wieder setzt Richter solchen Anwandlungen ein Blackmore-Riff entgegen und morpht in „Dekadenz“ sogar in Richtung Black Sabbath (mit anderem Sound allerdings). Nur schade, dass letztgenannter Einfall ganz am Ende des Songs steht und selbiger kurze Zeit später sang- und klanglos ausgeblendet wird, die Idee also verpufft. Auch manch anderen Einfall würde man sich durchaus noch etwas ausführlicher und intensiver betrachtet wünschen. In puncto songwriterischer Konsequenz lassen sich Alleinkomponist Richter und Co-Arrangeur/Drummer Niels Alsted für den Zweitling also noch ein paar Reserven offen, aber ein guter Anfang ist gemacht, und live könnte das ostthüringische Trio durchaus auch einiges an Hörspaß machen. Das kultige Schwarz-Weiß-Artwork von Alsteds Tochter Pauline, die zum Zeitpunkt der Erschaffung desselben noch im einstelligen Alter gewesen sein dürfte, unterstreicht den Charakter von Achterbahn im Paradies als liebevolles Underground-Produkt, und alleine über die Ausprägung des Pegasus an der Seite des Sofas könnten Kunsttheoretiker vermutlich stundenlang referieren.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Schöne neue bunte Welt | 2:57 |
2 | Dekadenz | 3:08 |
3 | Immer wieder mal | 2:56 |
4 | Wenn du gehst | 4:41 |
5 | Blaues Auto | 4:02 |
6 | 180 | 3:39 |
7 | Sexy Lady | 2:05 |
8 | Nadeln im Kopf | 3:59 |
9 | Jean Michell | 2:40 |
10 | Irrenhaus | 2:39 |
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Besetzung |
Ronny Richter (Voc, Git)
Martin Ziegler (B)
Niels Alsted (Dr)
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