Händel, G. F. (Emelyanychev, M.)
Theodora
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Info |
Musikrichtung:
Barock Oratorium
VÖ: 28.10.2022
(Erato / Warner Classics / 3 CD / live / DDD / 2021 / Best. Nr. Erato 5054197177910)
Gesamtspielzeit: 179:18
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SEELENDRAMA
Bereits bei der mit Tempo und Spannung ausmusizierten Ouvertüre lässt Dirigent Maxim Emelyanychev keinen Zweifel daran, dass er Händels Oratorium „Theodora“ bei aller Innerlichkeit als dramatisches Werk versteht – ein Seelen-Drama, sicherlich, aber eines, dass den inneren Prozessen und Spannungen der Charaktere leidenschaftlichen Ausdruck verleiht. Was kontemplatives Innehalten und Momente der Ergriffenheit nicht ausschließt. So entwickelt sich die Geschichte um die frühchristliche Märtyrerin Theodora, den ihr zugetanen römischen Soldaten Didymus und den grausamen Statthalter Valens ebenso zwingend wie mitreißend.
Das Orchester „Il pomo d'oro“ musiziert elektrisierend und vermeidet jene weihevolle Flächigkeit, die sich insbesondere bei den sakralen Werken Händels schnell einmal breit macht. Das Weniger an Atmosphäre wir durch ein Mehr an Differenzierung wett gemacht: Dieser späte Händel offenbart viele neue affektive und rhetorische Nuancen, vor allem in den sehr gestisch durchgeformten Begleitungen Arien.
Nicht minder eindrücklich der Chor, der zwar nur mit 4x4 Stimmen besetzt ist, seinen wichtigen Part aber mit einem geradezu madrigalesken Gestaltungsreichtum darbietet. Man hört in jedem Moment, dass Tenor und Chorführer Guiseppe Maletto dem Ensemble „La Compagnia del Madrigale“ vorsteht. So vielschichtig erlebt man Händels Chormusik leider nicht oft.
Bei den Solisten ist das Bild bei insgesamt hohem Niveau nicht ganz so einheitlich: Lisette Oropesa hat eine schöne und technisch sehr versierte Stimme, differenziert diese aber nicht genug. Ihr durchgehendes Vibrato nivelliert die Ausdrucksfacetten; die Stimme müsste, um die Hingabe, Verwundbarkeit und Todesnöte der Theodora herauszusingen, sich gleichsam „nackter“ machen.
Wie man selbst einem eigentlich ganz undramatischen, vielleicht sogar etwas zu „frommen“ Charakter zu einer großen, berührenden Figur machen kann, zeigt hingegen Joyce DiDonato als Irene, Führerin der Christen. Von entsagungsvoll klaren bis zu kraftvoll resonierenden Tönen, vom gehauchten Piano bis zum energischen Forte setzt sie eine ungemein breite Palette an vokalen Möglichkeiten ein – immer ganz nah am Text, dabei ungekünstelt trotz der bewussten Grenzgänge.
Paul-Antoine Benos-Dijan ist ein empathischer, leidenschaftlicher Didymus – auch er singt, bei nicht immer ganz egaler Ton- und Farbgebung, mit einem merklichen Vibrato, das aber weniger vokaltechnisch als expressiv wirkt. Man nimmt ihm den Konvertiten und selbstlos Liebenden ab.
Überzeugend ist als Septimius Tenor Michael Spyres, der sich in emotionalen Wechselbädern – als loyaler Römer, persönlicher Freund von Didymus und Idealist – engagiert und die mitunter heiklen virtuosen Anforderungen seiner Partie souverän meistert. Bartion John Chest zeichnet die finsteren Seiten des Statthalters Valens mit Verve und einer gewissen arroganten Noblesse, die diesen bei aller Bosheit attraktiv macht.
Im Ganzen eine tief ausgehörte, packende und eindringliche Deutung von Händels wohl bestem und auch am sorgfältigsten gearbeitetem Oratorium – man versteht, wieso der Komponist es für eine seiner besten Arbeiten hielt.
Georg Henkel
Besetzung |
Joyce DiDonato, Lisette Oropesa, Michael Spyres, Paul-Antoine Benos-Dijan, John Chest
Il pomo d'oro
Maxim Emelyanychev, Cemablo & Leitung
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