Eddie Van Halen (26.01.1955 bis 06.10.2020)
Foto: Carl Lender Gelegentlich investierte das Amiga-Label, DDR-Monopolist im Bereich der Pop- und Rockschallplatten, einige Devisen, um Lizenzen von Künstlern aus dem NSW, dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, einzukaufen und den DDR-Fans somit eine legale Möglichkeit zu geben, Tonträger ihrer favorisierten Bands zu erwerben, die sie aus Radio und Fernsehen ja bestens kannten. Auf diese Weise gelangte anno 1987 auch das im Jahr zuvor im „Westen“ bei Warner bzw. WEA veröffentlichte Van-Halen-Album 5150 in die Plattenläden der DDR und ein Exemplar davon in den hiesigen Plattenschrank des Bruders des Noch-nicht-Rezensenten, dessen Inhalt auch der weiland noch nicht allzulange im zweistelligen Alter angekommene Noch-nicht-Rezensent gelegentlich mithörte. Den auf der Rückseite der erwähnten LP abgedruckten Informationstext (neudeutsch: Liner Notes) von Rainer Bratfisch kannte er bald gut genug, um sich über 30 Jahre später noch an einzelne Phrasen daraus zu erinnern (etwa die Info, dass der zu jenem Album neu hinzugestoßene Sammy Hager früher mal Boxer war, oder den lustigen Fakt, dass von den Van-Halen-Brüdern Alex einst als Gitarrist und Eddie als Drummer angefangen hatte, bis sie übereinkamen, die Instrumente zu tauschen), und auch die neun Songs – die gleichen wie auf den originalen Westpressungen, was bei Amiga-Lizenzpressungen nicht immer der Fall war – bildeten einen kleinen Baustein in der musikalischen Sozialisierung des heutigen Rezensenten, die sich alsbald in Richtung der härteren Rockmusik ausprägte. Nach der politischen Wende fand relativ früh Van Halens Nachfolgealbum OU812 hierher, nun in den eigenen Plattenschrank des Noch-nicht-Rezensenten – da dieser Schrank weiland noch nicht so dicht gefüllt war, führte das zu häufigerem Verweilen der einzelnen Platten auf dem Abspielgerät, wobei im Falle der genannten Van-Halen-Scheibe allerdings auch die musikalische Qualität ein häufigeres Hören rechtfertigte: Songs wie das Epos „Cabo Wabo“ gehörten damals und gehören noch heute zum Besten, was sich der US-Hardrock aus den Rippen geleiert hat, und brachten und bringen ein Stück US-Westküsten-Sonne ins oftmals nicht ganz so sonnige Deutschland. Hagar hatte sich als erstklassiger Sänger erwiesen, auch zwei seiner Soloplatten zogen hier ein (VOA und die selbstbetitelte, erst nach seinem Van-Halen-Einstieg erschienene Scheibe), sein Hit „I Can’t Drive 55“ setzte sich bis heute im Ohr fest, und irgendwann landete auch eine erste Van-Halen-LP aus der Ära mit David Lee Roth als Vokalist hier in der Kollektion: Diver Down, die freilich mit Covernummern wie „(Oh) Pretty Woman“ eher für Verwirrung sorgte und irgendwie wenig mit den zwischenzeitlich auch hier eingezogenen Roth-Solowerken wie Eat ’Em And Smile oder Skyscraper zu tun hatte. Dagegen konnte das Van-Halen-Livewerk Right Here, Right Now den Immer-noch-nicht-Rezensenten fast durchgehend überzeugen – dass gute Teile davon nachträglich im Studio entstanden waren, wußte er damals noch nicht. Irgendwie kam es in der Folgezeit dann aber kaum noch zu intensiverer Beschäftigung mit dem Van-Halen-Werk, so dass heute im durchgehörten Teil der Kollektion ungefähr die Hälfte der regulären Scheiben vorhanden ist und die eine oder andere noch auf dem Noch-Ungehört-Stapel verharrt.
Trotzdem ist dem Rezensenten die musikgeschichtliche Bedeutung sowohl der Band Van Halen als auch ihres Gitarristen Edward Lodewijk „Eddie“ Van Halen natürlich bewußt. Zwar war der Bandkopf nicht der Erste, der das Tapping in der Rockmusik einführte (Steve Hackett etwa tat so etwas bei Genesis schon etliche Jahre früher), aber der gebürtige Niederländer, der mit seiner Familie schon als Kind in die USA auswanderte, hob diese Technik auf ein neues Level und sorgte nachhaltig für ihre Popularisierung, wozu auch seine reichliche Dekorierung mit Auszeichnungen in der Gitarren-Fachwelt beitrug – Vorgänge, die sich durchaus als Aufwärtsspirale deuten lassen. Auch an Selbstbewußtsein mangelte es ihm nicht: Das in puncto Tapping stilprägende knapp zweiminütige Instrumental „Eruption“ steht auf dem selbstbetitelten Debütalbum nicht etwa irgendwo an einem LP-Seiten-Ende versteckt, sondern auf der A-Seite an Position 2, gleich hinter dem Opener „Runnin‘ With The Devil“. Über die Bedeutung von Eddies Ideen für die Weiterentwicklung der Instrumentenbautechnik maßt sich der Rezensent indes keine Schilderungen an – er ist im Gegensatz zu diversen Redaktionskollegen des Saitenspiels nicht mächtig und daher nicht genug Fachmann auf diesem Gebiet, so dass er sich hier auf die Abbildung eines Gitarrenmodells im Museum of Pop Culture in Seattle beschränkt. Welchen Anteil Eddie am Van-Halen-Songwriting hatte, läßt sich zumindest auf dem Papier nicht beziffern, da in vielen Fällen alle vier Bandmitglieder als Autoren angegeben waren (das war übrigens auch auf der erwähnten DDR-Pressung von 5150 so) – aber dass er als Gitarrist (und Teilzeit-Keyboarder) die Songs maßgeblich prägte, steht außer Frage, zumal viel Arbeit in seinem eigenen Studio stattfand, dem er bereits vor Erscheinen des Albums den Namen „5150“ gegeben hatte, ein Zahlenkürzel, das im Codierungssystem der US-Polizei für einen entflohenen Psychopathen steht, was sich prächtig auf die Situation des ausgestiegenen Roth adaptieren ließ. Dass es Eddie Van Halen schaffte, die Band zusammenzuhalten und mit dem neuen Sänger sogar noch erfolgreicher zu werden als zuvor, stellt einen positiven Treppenwitz der Musikgeschichte dar. Zu einem Menschen, mit dem es sich bisweilen schwer arbeiten ließ (und der zu einer Zielscheibe für die Boulevardpresse wurde), soll er sich freilich auch entwickelt haben, nicht zuletzt bedingt durch seinen phasenweise übermäßigen Alkoholkonsum, der in Entziehungskuren mündete und seiner Verfassung nicht eben gut tat, letzteres in Tateinheit mit intensivem Rauchen und dem seit 2000/2001 auftretenden Krebs. Am 6.10.2020 ist Eddie Van Halen seiner Krankheit erlegen, übrigens keine zwei Wochen nach dem Tod von Mark Stone, der in der ersten Inkarnation von Van Halen Baß gespielt hatte.
Van Halen gehörten zu den Bands, die prinzipiell ins Beutespektrum des Mittlerweile-Rezensenten passen (und von denen er einige Werke, siehe besagtes OU812, gar richtig stark findet), die er aber nie live gesehen hat. Zu befürchten steht, dass sich dieser Zustand auch nicht mehr ändern wird. In den Neunzigern spielte das Quartett noch gelegentlich auf deutschem Boden, im neuen Jahrtausend allerdings kein einziges Mal mehr. Ob die Band weitermachen wird (und sich damit vielleicht doch noch eine Chance ergäbe), bleibt abzuwarten: Natürlich ersetzt man einen Gitarristen wie Eddie nicht mal eben so einfach – aber sein Sohn Wolfgang, der seit 2007 als Bassist dabei ist, hatte einstmals neben diversen anderen Instrumenten auch Gitarre gespielt, bevor er die sechs gegen die vier Saiten vertauschte. Falls er sich entschlösse, wieder zur Gitarre zu wechseln, wäre nicht auszuschließen, dass wir noch einmal eine neue Inkarnation von Van Halen erleben dürfen, was zumindest der Rezensent als einen nicht uninteressanten Versuch ansähe. Aber das ist zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes noch Zukunftsmusik. Danke, Eddie, für ein interessantes Kapitel Musikgeschichte. Roland Ludwig |
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