Inklusion beim jährlichen Konzert des CJD-Jugendorchesters in der Philharmonie




Info
Künstler: CJD-Jugendorchester

Zeit: 21.10.2018

Ort: Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie

Veranstalter: CJD

Fotograf: CJD

Internet:
http://www.cjd.de

Die Konzertserie alleine ist schon etwas Besonderes. Das CJD, das Christliche Jugenddorfwerk Deutschlands e.V., muss offensichtlich gute Connections haben. Einmal im Jahr darf die Organisation den Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie nutzen, um dort ein symphonisches Konzert abzuhalten, das der Höhepunkt eines einjährigen Projektes ist, in dem junge Menschen aus CJD-Einrichtungen und darüber hinaus eben dieses Konzert einstudieren.

In diesem Jahr setzte die Organisation, die sich auch als „die Chancengeber“ bezeichnet, noch einen drauf. Bei dem ersten Stück, der Ouvertüre zu Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“, war eine etwa zehnköpfige Gruppe von „Trommlerinnen und Trommler[n] mit Behinderungserfahrung“ (eine offensichtlich politisch noch korrektere Bezeichnung als „Menschen mit Handicaps“) des CJD Erfurt beteiligt.

Natürlich lässt sich der Auftritt dieser Trommelband nicht mit den Maßstäben einer normalen Konzertkritik messen. Die Ausdrucksmöglichkeiten der TrommlerInnen waren begrenzt. Aber sie waren eindeutig „drin“. Ihre Trommelschläge saßen – angeleitet von zwei Extra-„Dirigenten“ – nicht nur an den richtigen Stellen, sie waren auch in der Lage ihre Instrumente mal mit vollem Elan und mal verhaltener einzusetzen. Beeindruckend! Der Kontrast zwischen den dynamischen und den ruhigeren Parts der Ouvertüre trat so noch deutlicher zu Tage, wie bei einem regulären Arrangement.

Nach Mozart hatte das Publikum gute fünf Minuten Zeit, den Abbau der Trommeln und den Neuaufbau mit Stühlen und Notenpulten für ein nun verstärktes Bläserensemble zu beobachten – und das ging so fliesend Hand in Hand, als hätten die Helfer dies extra einstudiert. Es folgte mit „Die Moldau“ eines der vielleicht schönsten und harmonischten Stücke der klassischen Musikliteratur – und ja, wenn man es hören wollte, dann konnte man hören, dass hier nicht die Hausherren der Philharmonie am Werk waren, sondern ein Schülerensemble. Insbesondere da, wo die Musik Fahrt aufnahm, saß nicht jeder Ton ganz genau da, wo er zu sitzen hatte. Aber passt das nicht vielleicht ganz gut zum Thema des Stückes? Da wo der schöne Strom über wilde Steine springt oder durch Schluchten tobt, kann sich doch schon einmal der eine oder andere in eine unerwartete Richtung springende Kiesel ins Bild einfügen.
Die eine Hälfte der Trommelgruppe

Die jungen MusikerInnen zeigten jedenfalls eine hohe emotionale Präsenz. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach zeigt sich bei vielen hochperfekten klassischen Ensembles häufig eine Sterilität, die das Leben killt, wie bei manch einer überproduzierten Pop-Show. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Christof Harr bis auf das „Konzert für Flöte und Orchester h-moll“ von Francois-Joseph Fétis, das die erste Konzerthälfte beschloss, alle Stücke ohne Partitur dirigierte. Mir ist schon wiederholt aufgefallen, dass die Unmittelbarkeit der Wirkung von Musik größer ist, wenn die Orchester – was in der Klassik selten ist – nicht vom Blatt spielen.

Bei dem erwähnten Konzert von Fétis gab es dann einen weiteren Gast. Die Solo-Querflöte wurde von Karen Geisler gespielt, einer Musikerin ganz am Anfang ihrer Karriere, denn die dürfte ihr bevorstehen. Sie hat erst in diesem Jahr ihr Abitur gemacht und startet mit dem gerade beginnenden Wintersemester ihr Schulmusikstudium in Rostock.

Nach der Pause stand noch die „Rheinische Symphonie“ von Robert Schumann auf dem Programm. Vor der Pause war das CJD-Jugendorchester erstaunlich gut bei der Sache. Aber nach der Pause war es als hätte man eine Bremse gelöst. Die ca. 50 Musiker und Musikerinnen glitten und flüsterten, rasten und donnerten durch die Symphonie, dass es eine Freude war.
Bläserinnen des CJD-Jugendorchesters

Wer in dieses Konzert mit dem Bewusstsein gegangen ist, es gnädig zu beurteilen, weil es doch halt noch Schüler und Schülerinnen sind, die da spielen, konnte dieses Bewusstsein gut in der Tasche lassen. Es wurde, um begeistert zu sein, nicht gebraucht.

Als nach dem Abgang von Christof Harr plötzlich neu eine weitere Querflöte und eine Tuba auftraten, war klar, dass es eine Zugaben geben würde. Und jetzt wurde das Haus im wahrsten Sinne des Wortes gerockt – mit einem furiosen „Radetzky-Marsch“.

Das Konzert war übrigens, wie Oliver Stier vom Vorstand des CJD in der Pause bestätigte, keine CJD-interne Veranstaltung. Das konnte bei der Anmoderation, bei der aufgezählt wurde, wer aus dem Stiftungsrat, der Mitarbeiterschaft oder aus Erfurt im Saal sei, kurz so erscheinen. Das Konzert war im freien Verkauf – und so wird man sich sicher im kommenden Jahr auch wieder Karten für das Konzert sichern können, auch wenn man keine Verbindungen zum CJD hat.


Norbert von Fransecky



 << 
Zurück zur Artikelübersicht
 >>