Jan Sievers
Neue Heimat
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Bereits 2004 las ich schon einen Bericht, der den Begriff „Neue Neue Deutsche Welle“ benutzte.
Oder auch von „Pop der neuen deutschen Befindlichkeit“ wurde berichtet. Silbermond, Juli, Revolverheld, Johannes Oerding, das waren die Neutöner dieser Bewegung.
Gehört der am 11.August 1977 in Trier geborene Jan Sievers nun auch dazu?
Meist mag ich diese neue Welle persönlich überhaupt nicht, weil für mich fast alles gleich klingt und wirkt. Manche Texte wirken so oberflächlich „bedeutend“, die Musik ist oft hölzern, ohne Groove, austauschbar und einfach langweilig, steif und ohne echtes Gefühl. So manches pseudo-intellektuelle, inhaltsschwangere Dramatik, angebliche Wichtigkeit und Deutungstiefe, ja, die Welt ist schlecht, wir sind „Gutmenschen“ und werden alles verändern, und wenn es auch nur in einer Zweierbeziehung ist.
Oft habe ich dabei das Gefühl, dass sich das Meiste dieser Welle, wenn man es wirklich einmal reduziert, letztlich im Bereich des guten alten deutschen Schlagers bewegt. Und dann werden die Texte oft noch so genuschelt vorgetragen, dass man Mühe hat, ihnen zu folgen.
Gottlob gibt es Ausnahmen wie zum Beispiel Michy Reincke, trotz seiner auch gewöhnungsbedürftigen Stimme. Diesen möchte ich an dieser Stelle zitieren: »Ich bedaure den Mangel an Erlebnistiefe in einem Großteil der abgebildeten deutschen Popmusik.«
Sievers hat sich für seine neue Platte, nach „Abgeliebt“ aus 2010, reichlich Zeit gelassen, denn aufgenommen wurden die Titel zwischen Frühjahr 2012 und Frühjahr 2016.
Der Musiker startete im Alter von 14 mit dem Schreiben erster eigener Songs. Ein 2001 fertiggestelltes erstes Album wurde nie veröffentlicht, wegen Pleite der Plattenfirma. 2005 gab es eine eigene Band (Blindtext) mit einer musikalischen Mixtur aus Pop und Indie-Rock. Und irgendwann kam der Sprung in die Selbständigkeit.
Diese neue Platte wurde im Rahmen eines Crowdfunding-Projektes finanziert, es sollen etwa über 20.000 Euro zusammengekommen sein. Diese Summe brauchte man schon, weil Sievers darauf bestand, unter anderem mit einem echten Streichorchester zusammenzuarbeiten. Und genau das hat sich auch ausgezahlt, denn diese Streicher, das Kaiserquartett, sind das „Tüpfelchen auf dem I“.
Die Streicher wirken wie eine Art Weichspüler, sie bringen eine Art „Seidigkeit“ in die Atmosphäre, sie werten die Songs in der Tat sehr auf. So wirkt „Mach neu“ wie „Sievers trifft auf Vivaldi“. Und das recht kraftvolle „Spreng meine Brücken“ wird somit vollmundiger und geschmeidiger, angesichts des recht druckvollen Drumsounds angenehm. Und so geht es jedem Song, der rhythmisch manchmal ein wenig zu wuchtig erscheint.
Und dann kommt das als Single vorausgeschickte „Polaroid“, hinsichtlich seiner Ausstrahlung war es sicher ein guter Entschluss, diesen Titel für die Charts anzubieten. Denn er verfügt über das Potential, das einen Song als Hit auszeichnet, eine schöne eingängige Melodie, ein hängen bleibender Refrain, ja, ich halte das für sehr gelungen!
Und so wechseln sich romantische Klänge („Neben dir liegen“) ab mit konzertant erscheinenden Stücken („Geschichte“) und keyboardlastigen Songs („Keine Zeit, mich zu beeilen“), so dass grundsätzlich eine abwechslungsreiche Platte entstanden ist, für Jede/n sollte etwas dabei sein, für mich ist es „Polaroid“.
Gut, letztlich ist es auch so, dass man einen persönlichen Zugang finden muss, sich identifizieren kann mit dem, was vorgetragen wird. Mein Kritikpunkt ist der Einsatz des Schlagzeugs bzw. dessen programmierte Sounds, denn es kracht und rumpelt meist zu stark und versteift die Musik, nimmt ihr das grundsätzlich sehr angenehm Lockere. Vielleicht sollte das bei der nächsten Platte geändert werden.
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 Aufbruch (Intro)
2 Spreng meine Brücken
3 Mach neu
4 Oben
5 Polaroid
6 Nah an perfekt
7 Dein Fels
8 Geschichte
9 Breaking News
10 Weck mich auf
11 Keine Zeit, mich zu beeilen
12 Neben dir liegen
13 Cola und Popcorn
14 Amerika
15 Neue Heimat (Outro)
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Besetzung |
Jan Sievers (vocals, choir)
Katharina Vogel (choir, add. lead vocals --#3)
Michael Trautmann (choir)
Julia Bergen (choir)
Wolf Frass (lässiger Sprecher - #14)
Tim Laws (add. drums & string programming)
Stefan Häfelinger (add. drums & string programming)
Stephan Pietz (piano, keyboards, choir, add. drums & string programming)
Arne Straube (piano, keyboards)
Lauden Bonk (bass, piano, keyboards)
Ansgar Böhme (bass, choir)
Florian Dahn (drums)
Martin Bentz (cello)
Kaiser Quartett (strings)
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