Musik an sich


Reviews
Guédron, P. - Carroubel, P.-F. u. a. (Dumestre, V.)

Cœur. Airs de cour français de la fin du XVIe siècle


Info
Musikrichtung: Renaissace - Barock Ensemble

VÖ: 02.10.2015

(Alpha / CD / DDD / 2015 / Best. Nr. Alpha 213)

Gesamtspielzeit: 64:16



EXQUISITE "KLEINMEISTER"

So sinnlich wie das Covermotiv, so sinnlich ist die Musik dieser Zusammenstellung von altfranzösischer Musik aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert: Vincent Dumestre und Le Poème Harmonique haben auf ihrer Platte Cœur eine erlesene Kollektion von vokal-instrumentalen Stücken aus der Übergangszeit zwischen Renaissance und Barock zusammengestellt. Der Hörer wird Zeuge von der Geburt einen neuen Gattung, dem Air de Cœur, das im 17. Jhd. die musischen Salons nicht nur in Paris eroberte.

Das "höfische Lied" hat durchaus etwas von einem modernen "Song" und bezog seine Inspirationen zu einem Gutteil aus der Volksmusik. Wir hören eine Art aristrokatischen "Folk" à la français - eingängig, ergreifend und poetisch. Mitunter auch derb und komödiantisch. An die Stelle der komplex verschlungenen vokalen Mehrstimmigkeit der Renaissance-Chancons trat ein oft choralartig verdichteter homophonerer Stil, der sich bis zur generalbaßbegleiteten Einstimmigkeit zurücknehmen konnte. Davon profitiert die Textverständlichkeit, ja überhaupt die Möglichkeit einer unmittelbareren, dramtischen Ausdeutung der dichterischen Vorlage. Die neue Einfachheit des Air de Cœur ist freilich auf seine Weise nicht weniger kunstvoll und reizvoll wie die des gelehrten Renaissancestils, gerade weil hier Kunst- und Volksmusik auf geniale Weise verschmolzen werden und die traditionellen Mittel in den Dienst eines neuen Ausdruckswillen gestellt werden.

Le Poème Harmonique hat die reifen Früchte dieser Eintwicklung bereits auf mehreren Alben kredenzt, darunter Werke von Étienne Moulinié, Antoine Boesset und Pierre Guédron. Letzerer ist auch auf dem neuen Album vertreten, daneben finden sich aber auch eine ganze Reihe von unbekannten "Kleinmeistern" der Vorgängergeneration, die freilich in der exquisiten Interpretation des Ensembles zu "Großmeistern" werden.
Zum Vokalquartett kommen Violine, Flöte, Gamben, Cembalo und diverse Zupfinstrumente, die eine betörenden instrumentalen Klangteppich weben. Wieder beeindruckt der elegante und transparente, dabei zugleich volle, blühende Klang der SängerInnen. Wobei diese auch solistisch hervortreten, sogar innerhalb der "Tuttis", wo v. a. die Verzierungen, die die Sopranistin Claire Lefilliâtre wie Silberfäden in die Musik einwebt, den kostbaren Charakter der Stücke unterstreichen und den Hörgenuss noch einmal steigern. Diese Musik hat im Vergleich mit den zeitgleich entstehenden Madrigalen eines Monteverdi eine ganz eigene Farbe. Sie ist weniger chromatisch und "avantgardistisch", aber dennoch von differenzierter Ausdruckskraft und einer (sehr französischen) Raffinesse. In dem Solo Ô combien est heureuse von Adrian Le Roy klingt mitunter schon das Chancon des 20. Jhd. an.

Mit diesem "Präludium" zu den späteren Meistern des Air de Cœur ist Vincent Dumestre und seinen Künstlern ein weiterer großer Wurf gelungen.



Georg Henkel



Trackliste
Musik von Lorenzini, Didier Le Bland, Fabrice-Marin Caiétain, Girard De Beaulieu, Guillaume Costeley, Jean Boyer, Pierre Guédron, Pierre-Francisque Carroubel
Besetzung

Claire Lefilliatre, Bruno le Levreur, Serge Goubioud, Marc Mauillon

Le Poeme Harmonique

Vincent Dumestre, Leitung


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>