The Gathering: Wir wollten Musik machen, die so sehr wie möglich von Herzen kommt.
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Man durfte gespannt sein, ob die holländische Band THE GATHERING den Verlust ihrer langjährigen Sängerin und von Bandaushängeschild Anneke van Giersbergen kompensieren kann. Den Beweis trat man 2009 mit The West Pole an. Aber ganz die Alten war man noch nicht. Zwar war der Sound verhältnismäßig aufmüpfig rau, aber ganz selbstsicher klangt das noch nicht ganz. Nicht zuletzt waren neben der norwegischen Neu-Vokalistin Silje Wergeland auf zwei Songs weitere Sängerinnen zu hören (Marcela Bovio und Anna van der Hoogen). Aber diese Zeit ist vorbei! Disclosure zeigt eine gestärkte und fokussierte Band, wie man es sich nur wünschen kann. 54 Minuten lang ziehen THE GATHERING sämtliche (Atmosphären-)Register und bieten eine spannende Reise. Da dem so ist, nutzte MAS nur zu gerne die Chance, um mit Keyboarder Frank Boeijen einen Plausch zum neuen Werk zu halten.
Frank, zwischen Disclosure und dem Vorgänger The West Pole liegen drei Jahre. Ihr seid in der Zeit auch nicht soviel getourt. Ich kann mir vorstellen, dass es da derzeit als Musiker nicht leicht ist zu überleben, da die Erlöse aus Plattenverkäufen stagnieren.
Es ist heute in der Tat schwieriger. Man weiß ja, wie die Dinge in der Musikindustrie derzeit laufen. Glücklicherweise haben wir unser eigenes Label und einige Vertriebe die immer noch an uns glauben. Es ist schwer aus dem Wust der Bands, die ihre Alben an den Mann bringen wollen, heutzutage heraus zu stechen. Aber wir denken sehr positiv. Ich glaube wenn die Musik noch immer gut ist und man hart dafür arbeitet, kann man nach wie vor damit überleben.
The West Pole klang als hättet ihr nach dem Ausstieg von Sängerin Anneke van Giersbergen nach einer neuen Identität gesucht, während Disclosure eine zusammengewachsene Band präsentiert.
Dieses Mal haben wir uns einfach mehr Zeit genommen, um die Songs gemeinsam zu schreiben. Als Silje 2008 zu uns kam, hatten wir bereits viele Lieder fertig. Dieses Mal haben wir mit nichts angefangen und sie war vom Beginn des Schreibprozesses an involviert. Manchmal haben wir eine Songidee nur auf Klavier und Gitarre runtergebrochen, um vom Fleck weg an der Gesangslinie zu arbeiten. So kann man Songstrukturen besser ausarbeiten und man erreicht am Ende, dass sich der Gesang besser ins Ganze einfügt.
Ist es nicht schwerer geworden als Band zu arbeiten und Aktivitäten zu planen, nachdem Silje in Norwegen lebt und mittlerweile auch Mutter geworden ist?
Ich muss ehrlich zugeben, dass es logistisch gesehen nicht gerade der einfachste Weg ist. Aber schließlich gibt es das Internet. Wir kommunizieren viel über Skype und Videochats. Wir freuen uns sehr für sie, dass sie Mutter geworden ist. Aber das ist nichts, was die Band oder die musikalische Karriere beeinflussen würde.
Hast Du heute noch Kontakt zu Anneke und verfolgst ihre musikalischen Tätigkeiten?
Ich habe ein paar Songs ihres neuen Albums gehört. Aber nur sehr flüchtig. Sie hat eine sehr spezielle Stimme und deshalb wird sie gesanglich immer eine Ikone bleiben. Ich mag vielleicht nicht alle ihrer Lieder, aber sie ist eine besondere Künstlerin und ich bin neugierig, was sie in Zukunft noch alles erschaffen wird. Sie lebt nicht mehr in unserer Heimatstadt Nijmegen, weshalb wir uns auseinander gelebt haben, da wir uns kaum noch sehen oder miteinander reden.
Du hast bereits im Vorfeld gesagt, dass Disclosure (dt. Enthüllung, Offenlegung) euer persönlichstes Album ist - musikalisch und textlich. Der Albumtitel weist bereits in dieses Richtung. Um was geht es in den Songs?
Die Texte sind in der Tat ziemlich persönlich. Sie wurden alle von Silje geschrieben und basieren auf wahren Begebenheiten und beschäftigen sich mit Erfahrungen, die Siljes in verschiedenen Beziehungen gesammelt hat. Die Texte sind sehr ehrlich und aufrichtig. Ich denke die Hörer können sich damit identifizieren, denn sie drehen sich um Dinge, mit denen wir uns alle irgendwann im Leben auseinander setzen müssen. Was die Musik betrifft: Wir wollten Musik machen, die so sehr wie möglich von Herzen kommt. Natürlich tun wir das sonst auch, aber dieses Mal wollten wir in jeglicher Hinsicht keine Kompromisse eingehen. Wir haben uns keine Gedanken über die Laufzeiten der Stücke gemacht oder wie sie am Ende klingen mögen. Wir haben einfach gespielt.
Wie wurden die Songs denn ausgearbeitet? Die Texte stammen von Silje, das hast Du bereits erwähnt. Stammt die Musik dann vom Rest der Band oder wie funktioniert der kreative Prozess bei The Gathering mittlerweile?
Wir fühlen immer eine Art kreative Atmosphäre. Aber manchmal fügen sich die Dinge fast magisch zusammen und tolle Sachen passieren. Das kann zu Hause sein, während ich neue Ideen auf dem Computer aufnehme oder - und das ist noch besser - wenn wir gemeinsam im Proberaum an Songs arbeiten. Wir planen es nicht wirklich Songs oder ein ganzes Album zu schreiben. Ich glaube das ist nicht möglich. Kreative Ideen zu entwickeln ist etwas das dir „passiert“. Es ist schwer zu kontrollieren. Aber wenn es geschieht, ist es ein gutes Gefühl und es setzt Dinge in Bewegung, die in einem guten Song oder auch in einem guten Album enden.
Wie lang habt ihr denn von den ersten Ideen bis zum endgültigen Produkt gearbeitet?
Am Ende waren es an die zweieinhalb Jahre. Zwischendurch waren wir aber auch live unterwegs.
Habt ihr die Songs in Gänze vorher ausgearbeitet, bevor es an die Aufnahmen ging oder ist die Band auch manchmal etwas spontan im Studio?
Das kommt darauf an. „Heroes for ghosts“ und „I can see form miles“ wurde zum Beispiel live im Studio aufgenommen und es wurde dabei auch ein wenig improvisiert. Aber wir mögen es auch die Songs auf dem Notizblock in unserem Heimstudio bis zum Ende zu entwickeln. „Paralized“ und „Gemini II“ gehören zum Beispiel hierzu.
Du sagtest gerade Homestudio. Wurde hier auch das komplette Album aufgenommen oder habt ihr euch teilweise in ein professionelles Studio eingemietet?
Wir haben ein kleines portables Heimstudio, mit dem wir in unserem Proberaum arbeiteten. Wie ich gerade erwähnt habe, haben wir diverse Sachen live aufgenommen. Wir haben aber auch ein paar Basics in einem richtig guten High-End-Studio eingespielt und Teile davon verwendet. Diverse Schlagzeug-, Gitarren und Piano-Tracks zum Beispiel. Aber das meiste der kreativen Arbeit wurde in unserem kleinen Heimstudio vollbracht.
Ich mag die Trompete, die ihr auf ein paar Nummern verwendet. Es fügt dem Ganzen einen angenehm organischen Sound hinzu. Habt ihr schon mal daran gedacht Noel Hofman, der das eingespielt hat, auch mal auf die Bühne einzuladen?
Noel ist ein guter Freund von uns. Wir haben ihn da einfach ein bisschen zu unseren Songs jammen lassen. Ich denke auch, dass es ein schöner Klang ist, den man in der heutigen Musik nicht mehr allzu oft zu hören bekommt. Das passt zu der melancholischen Atmosphäre, die wir erzeugen. Ich hoffe, dass er mit uns mal auf die Bühne kann. Das wäre großartig!
Das Album klingt recht abwechslungsreich und ist voller verschiedenen Stimmungen - von den leicht poppigen „Paper waves“ und „Missing seasons“ bis zu den großen Epen „Heroes for ghosts“ und „Meltdown“, die mich ein wenig an Postrock-Bands wie Godspeed You! Black Emperor oder Mogwai erinnern. Präsentiert das auch den musikalischen Geschmack und die Einflüsse der Bandmitglieder?
Ja. Wir hören alle viel verschiedene Musik. Postrock-Bands sind ein riesiger Einfluss für uns. Wir lieben Godspeed You! Black Emperor, mögen aber auch viel elektronischen Stoff wie Radiohead, Kraftwerk, Fever Ray oder Apparat. Wir lieben Bands und Musiker, die den Mut haben neue Sounds zu erschaffen und über den Tellerrand hinaus zu schauen.
Kürzlich seit ihr für ein paar Konzerte in der Besetzung von 1992 aufgetreten, die das Debüt Always… eingespielt hat. Wie es kam es dazu, war es eine Art Jubiläumssache?
Wir wurden gefragt, ob wir nicht Lust hätten in derselben Besetzung wie vor 20 Jahren aufzutreten. Zusammen mit den beiden Bands Acrostichon und Pentacle. Es war ein Benefizkonzert im Club W2 in Den Bosch. Also haben wir einfach mal jeden aus der Always…-Ära gebeten die alten Songs mit uns zu proben. Der Auftritt lief ziemlich gut und wir hatten viel Spaß. Es haben auch andere in Holland von dieser Reunion mitbekommen und die wollten uns für ein paar weitere Konzerte buchen. Wir haben dann noch zwei weitere Festivals und vier Clubshows diesen September gespielt, lassen es damit aber jetzt gut sein.
Fühlst Du Dich mit der alten Musik noch immer verbunden oder ist es schon ein recht nostalgischer Blick zurück auf die alten „Metaltage“?
Es ist toll diese Musik wieder mit unseren alten Freunden zu spielen! Es fühlt sich an, als würde man in eine Zeitmaschine steigen, wenn wir das alte Zeug spielen. Ich war damals 16 Jahre alt, als wir die Sachen geschrieben haben. Es ist lustig und interessant zu hören, wie wir damals komponierten. Ich habe das als aufregende Zeiten in Erinnerung - wie es eben sein sollte, wenn man 16, 17 Jahre alt ist. Es war die Hochzeit des Death Metals und wir haben natürlich viele dieser Bands gehört. Aber wir wurden immer mehr von Gruppen angezogen, die es im Metalgenre wagen zu experimentieren.
Dieses erwähnte 20-jährige Jubiläum ist eine gute Gelegenheit, ein wenig auf die Geschichte von The Gathering zurück zu schauen. Vielleicht könntest Du eure Alben kurz mit einem Satz kommentieren.
- Always… (1992): Jung und wild - und noch nicht selbstbewusst, aber rein!
- Almost a dance (1993): Findungsphase.
- Mandylion (1995): Ein großer Schritt nach vorne in Sachen Songwriting.
- Nighttime birds (1997): Immer noch im Prozess des besseren Songwritings, aber zweifelnd am Sound.
- How to measure a planet (1998): Ein totaler Weckruf, wie wir als Band klingen können.
- if_then_else (2000): Noch besseres Songwriting und auf der Suche, wie man über den Tellerrand hinaus schaut.
- Black light district (2002): Ein kreatives Experiment.
- Souvenirs (2003): Die Suche nach Grenzen
- Sleepy buildings / A sound relief (2004/2005): Eine tolle Möglichkeit unsere Songs auch mal anders zu betrachten.
- Home (2006): Wahrscheinlich das Album, für das wir die gemischtesten Gefühle hegen. Wegen des Tods von Hans’ und Renes Vater, der eine riesige Hilfe bei der Entwicklung der Band war - und dann auch wegen des Ausstiegs von Anneke.
- A noise severe (2007): Eine schöne Live-Momentaufnahme aus einem unserer liebsten Länder - Chile.
- The west pole (2009): Ein frischer Start und eine neue Suche nach unserer Heimat.
Dann noch ein Letztes: The Gathering waren immer für ihren Willen zum Experimentieren und für die Suche nach neuen Territorien bekannt. Könnte die Band weiter existieren, sollte die Neugier nach neuen Dingen versiegen oder ist es dann an der Zeit auf Wiedersehen zu sagen?
Wir haben immer versucht uns zu verbessern. Ich kann mich daran erinnern, dass viele Leute damals die Platte „How to measure a planet“ nicht verstanden haben. Für uns war es ein großer Schritt nach vorne, wie man Musik machen kann. Ich denke, die Leute wollen nicht, dass sich eine Band zu sehr verändert und ich verstehe das total. Aber für uns ist es wichtig unseren Sound und die Möglichkeiten des Songwritings zu entwickeln. Ansonsten wird es langweilig ein Album zu machen. Wir brauchen die Herausforderung jedes Mal etwas Neues zu machen. Ich glaube das Verlangen zu erschaffen wird nie verschwinden, also denke ich, dass wir letztlich Musik machen werden, bis wir umfallen!
Mario Karl
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