Musik an sich


Reviews
Rebel. J.-F. – Vivaldi, A. (Garaio Esnaola)

4 Elements / Seasons


Info
Musikrichtung: Barock Tanztheater

VÖ: 14.08.2009

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi DVD / 2008 / Best. Nr. HMD 9909026)

Gesamtspielzeit: 78:00



MULTIMEDIALE TRANSFORMATIONEN

Das spanische Alround-Talent Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola, die Sologeigerin Midori Seiler und die Akademie für Alte Musik haben sich zusammengetan, um zwei ungleiche „Schwesterwerke“ des Barock auf ungewöhnliche Weise zu interpretieren: Jean-Féry Rebels erstaunlich modern wirkende (Tanz)Suite Les Elements und Antonio Vivaldis 'Le quattro stagioni', die nun wahrlich zu den unverwüstlichen Dauerbrennern des Repertoires gehören.
Ungewöhnlich ist nicht nur, dass aus diesen barocken Meisterstücken ein Tanztheater-Doppel kreiert wurde, sondern auch, dass die Musiker darin selbst mitwirken.

Rebels nicht nur im clustergesättigten 1. Satz „Le chaos“ revolutionäre Musik ist von physischer Kraft und elementarer Wucht. Garaio Esnaola entfesselt hier mit seinem Körper unter Einsatz weniger Requisiten ebenfalls solche Elementarkräfte. Es geht um Schöpfung, Werden, Vergehen, Leben und Tod. Selbst wenn mancher Einfall vor allem zu Beginn etwas angestrengt pathetisch und illustrativ wirkt – erwartungsgemäß „vereinigt“ sich der Tänzer passend zur Musik mit Feuer, Wasser, Luft und Erde – so gelingen doch starke Ausdrucksmomente. Die leibhaftigen „Erdkontakte“ mit Einreiben und Wälzen gehören eher zur ersten, etwas bemüht wirkenden Kategorie, während z. B. der „Tanz auf dem Wasser“ sich als weitere poetisch-verspielte Ebene neben der Musik gut behaupten kann.

Im 2. Teil mit den Vier Jahreszeiten ist dann auch das Instrumentalensemble, das bei Les Elements eher assistiert, durchweg als Mitakteur gefordert. Vor allem Midori Seiler ist zu bewundern, gelingt es ihr doch, trotz der stellenweise starken körperlichen Beanspruchung und nötigen Selbstentäußerung, den virtuosen Part der 1. Violine weitgehend ungetrübt darzubieten. Aber auch die übrigen Musikerdarsteller geben sich ganz in die Szene hinein. Für jede Jahreszeit haben sich Garaio Esnaola und die Mitglieder der Akademie neue Bilder und Bühnenaktionen überlegt. Im Sommer entrollen sich zwischen den Mündern der „küssenden“ Spieler/innen ganz sinnlich meterlange rote Bänder, im Herbst fallen die Äpfel von den Köpfen und das Laub raschelt aus Seilers Kostüm; Schneestürme toben im Winter, wo weiße Tücher und Laken nach und nach alle Musiker zudecken. Vieles hat Kraft und auch einigen Humor. Erstaunlich, wie gut sich das Ensemble auf diese Herausforderungen einstellt und so ganz nebenbei Vivaldis Klassiker sogar noch den einen oder anderen unverbraucht wirkenden Spezialeffekt abtrotzen kann (z. B. die sehr präsenten Schüsse bei der Jagdgesellschaft im Herbst. Da wird die Theorbe zur großkalibrigen Waffe!).

Ein spannendes Experiment, das den Zuschauer-Hörer auch sattsam bekannte Klänge in multimedialen Transformationen erleben lässt. Für Rebels immer noch unbekannte Musik wird eine Lanze gebrochen, während Vivaldi tatsächlich noch einmal neu wirkt.



Georg Henkel



Trackliste
78:00
Extras: Interviews
Besetzung

Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola: Choreographie & Tanz
Midori Seiler: Solovioline (Vivaldi)
Georg Kallweit: Konzertmeister (Rebel)
Clemens-Maria Nuszbaumer: Konzertmeister (Vivaldi)

Akademie für Alte Musik

Ilke Seifert: Regie & Dramaturgie


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