Musik an sich


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Machaut - Pycard – Solage - Anonymus (Page)

The Study of Love. Französische Lieder und Motetten des 14. Jahrhunderts


Info
Musikrichtung: Mittelalter vokal

VÖ: 19.09.2008

(Hyperion / Codaex / CD DDD 1992 / Best. Nr. CDH55295)

Gesamtspielzeit: 60:11

Internet:

http://www.gothicvoices.co.uk/



NEUE MUSIK DER GOTIK

Mit der Produktion The Study of Love hat das Ensemble Gothic Voices Anfang der 1990er Jahre seine Trilogie mit englischer und französischer Musik der Ars Nova abgeschlossen. Hyperion hat diese Aufnahme zusammen mit The Medieval Romantics und Lancaster and Valois in der preiswerten Helios-Edition neu herausgebracht.
Die Aufnahmen haben keinen Staub angesetzt. Neben der exzellenten Klangtechnik besticht die lebendige Musikalität der Ausführenden, die sich der komplexen und eigenwilligen Musik mit viel Struktur- und Klangsinn nähern, ohne daraus betuliche Studien aus dem musikhistorischen Schatzkästlein zu machen. Im Gegenteil!

Die Kunst, individuell und ausdrucksvoll geführte Stimmen zu einem organischen Ensemble-Klang zusammenzuführen, ist seit jeher ein Kennzeichen von Gothic Voices gewesen. Von dieser Kunst profitieren die kleinen satztechnischen Wunderwerke des hohen Mittelalters ungemein. Ideal ist in ihnen die Verbindung von abstrakter Konstruktion auf der Basis rhythmischer und melodischer Formeln und poetischen Ausdrucks verwirklicht. Wir können nicht mehr einfach die Gefühlswelt des Mittelalters in uns wachrufen und kaum nachvollziehen, wie diese Musik auf die Zeitgenossen der Komponisten gewirkt hat. Aber die Zartheit von Guillaume de Machauts sehnsuchtsvoller, zweitextiger Motette Dame, je suis cilz / Fins cuers ergreift auch das Herz des modernen Hörers unmittelbar. Und auch in seinen einstimmigen Liedern gibt es einen unmittelbaren Zauber, über den nur die großen Meister gebieten.

Neben solchen ausdrucksstarken Höhepunkten, von denen die Platte nicht wenige bietet, gibt es aber auch wieder einige Beispiele extravaganten Komponierens zu hören: Machauts dreistimmige (und –textige) Motette Trop plus / Biauté paree / Je ne suis erklingt in aufregender rhythmischer Pointierung, so dass die kunstvoll austarierten Kollisionen der einzelnen Stimmen plastisch hervortreten. Man assoziiert dabei sofort die ineinandergeschachtelten, selbstähnlichen Bauformen der Spätgotik. Oder, ganz postmodern, den Tanz einer vielarmigen indischen Gottheit.
Nicht weniger frappierend das vierstimmige Gloria von Pycard. Dieses Stück kannte ich bislang von einer Einspielung des Hilliard Ensembles (The Old Hall Manuscript / EMI), wo es mehr als doppelt so schnell gesungen wird. Dort klingt es wie von Orff, Stravinsky oder einem Minimal-Musiker ersonnen. Hier, in der der temporeduzierten Version von Gothic Voices, wird die raffinierte, mehrdeutige „Taktung“ der Stimmen viel deutlicher. Alles fließt, ohne einen Gran Trennschärfe zu verlieren.
Zum Glück haben die Komponisten sich damals nicht an die theoretischen Vorgaben gehalten. Ein von Dissonanzen gewürztes, harmonisch volltönendes Stück wie das abschließende vierstimmige Lied Le Basile von Solage wirkt in seiner Freiheit ganz modern.
Die anonymen Stücke stehen dahinter wenig zurück. Bei dem von der mittelalterlichen Harfe „begleiteten Solo“ Combien qu j’aye betonen Rogers Covey-Crumb und Andrew Lawrence-King die Anmut und Melancholie der Musik. Gerade für solche Kleinodien unbekannter Herkunft sind derart klug zusammengestellte Sammelprogramme oft die einzige Chance, dem Archivdasein entrissen zu werden.



Georg Henkel



Besetzung

Gothic Voices

Andrew Lawrence-King: Mittelalterliche Harfe

Christopher Page: Leitung


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