Musik an sich


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Diverse mittelalterliche Komponisten (Lyons)

Ludus Danielis. Ein liturgisches Drama aus dem Mittelalter (Manuskript der Kathedrale von Beauvais)


Info
Musikrichtung: Mittelalter Ensemble

VÖ: 15.08.2008

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD 2007 / Best. Nr. HMU 907479)

Gesamtspielzeit: 69:00



BIBELOPER

Der Prophet Daniel hat im Alten Testament einiges auszuhalten. Weil er den Mächtigen seiner Zeit ein paar unbequeme Wahrheiten zu viel verkündet, findet er sich am Ende in der Löwengrube wieder. Doch Gott lässt seinen Boten nicht Stich: Ein Engel hält die wilden Bestien mit dem Schwert im Schach, ein anderer sorgt für einen Imbiss.
Diese und andere biblische Szenen geben den Plot für das geistliche Drama Ludus Danielis, das Daniel-Spiel ab. Es entwickelte sich Anfang des 13. Jahrhunderts an der Kathedrale von Beauvais über viele Jahre unter Mitwirkung zahlreicher anonymer Verfasser und Musiker zu einem besonders farbenprächtigen Spektakel.
Aufgeführt wurde es in der Weihnachtsfestzeit, genauer um den 1. Januar herum, unter besonderer Einbeziehung der Jung-Kleriker und Chorknaben. Denn in den Tagen nach Heiligabend trieb es vor allem der Nachwuchs besonders wild. Zum berüchtigten Fest der Narren stellte man die hergebrachte Ordnung auf den Kopf. Es gab es sogar einen Kinderbischof und insbesondere die Subdiakone ließen, auf gut Deutsch, die Sau raus. Das Daniel-Spiel war offenbar ein Versuch, die unheiligen Exzesse in frömmere Bahnen zu lenken.

Eine moderne Aufführung des Daniel-Spiels hat etwas von der Rekonstruktion eines verblassten Gemäldes an sich. Man kann noch die groben Umrisse und erkennen, aber was die Details, Farben, Licht- und Schattenverhältnisse angeht, sind die Mitwirkenden auf viel Sachkenntnis und Phantasie angewiesen. Zudem hat dieses Bild mehr etwas von einer Collage an sich. Gemessene Gregorianik mischt sich mit derber Volksmusik, die Feinsinnigkeit von Trouvère-Liedern trifft auf kraftvolle Tanzrhythmen, virtuose Einstimmigkeit paart sich mit feierlich-strenger Mehrstimmigkeit. Doch weil diese Zutaten passgenau auf den dramatischen Gang der Handlung abgestimmt wurden, ergibt sich aus dem Stilmix insgesamt ein erstaunlich geschlossenes Ganzes.

Das englische Dufay-Collective hat sich bei seiner Version dieses Mittelalter-Hits für eine gemischte Besetzung der Singstimmen entschieden, so dass die weiblichen Hauptrollen von Frauen gesungen werden. Ansonsten setzt man auf historische Correctness: Im Chor bestimmen die tiefen, rauen Männer- und die klaren, schlanken Knabenstimmen das Klangbild. Der Solo-Gesang orientiert sich mit seinem rhythmisch freien Vortrag eher an der gesprochenen Rede, die Chöre werden dagegen rhythmisiert wiedergegeben.
Beim bunten Instrumentarium fallen die stimmigen Einsätze des Glockenspiels – das aus gestimmten hängenden Glocken besteht – auf. Und wenn am Ende die Truppe aus der virtuellen Kathedrale von Bauvais hinauszieht (in Wirklichkeit wurde in der bewährten Londoner Kirche St. Jude’s-on-the-Hill aufgenommen) – erklingt vom Zuspielband das prächtige Festgeläut aus den Glockentürmen des historischen Schauplatzes.
Bestimmte Instrumente wurden aufgrund ihrer Symbolkraft einzelnen Personen zugewiesen: dem Daniel die vornehme himmlische Harfe, dem überheblichen König Belschazzar die dudelnde weltliche Fidel. Instrumentale Zwischenspiele, Harmonisierungen und – unverzichtbar! – Improvisationen und Orientalismen bei den Verzierungen der Singstimmen bringen weitere Farben in die Aufführung hinein. Wenn es darum geht, „Spezialeffekte“ wie das Erscheinen der geheimnisvollen Gottes-Schrift an der Wand zu illustrieren, lässt man das Instrumentarium auch schon mal im Dialekt der Neuen Musik sprechen.

Bei den Mittelalter-Profis des Dufay-Collective dürfte das Ergebnis um einiges ausgefeilter, „ästhetischer“ ausgefallen sein als eine Originalaufführung im 13. Jahrhundert. (Pseudo?-)Mittelalterliche Derbheiten wird man nicht finden. Verglichen z. B. mit der (z. Zt. nicht erhältlichen) Einspielung von Andrew-Lawrence King und dem Harp Consort (dhm) klingt das Stück verspielter. King und seine Leute setzen auf die kräftigen Instrumental-Farben der Schalmeien, dramatischen Solo-Gesang und wuchtige Chorblöcke. Dadurch wirkt das Daniel-Spiel bei ihnen archaischer.
Beim Dufay-Collective meint man dagegen, eine Vorahnung der Renaissance und vielleicht sogar der späteren Oper zu vernehmen. So nimmt diese neue, detailfreudige und klangsensible Version des Ludus Danielis von den ersten, noch tastenden Einschwingklängen des instrumentalen Vorspiels bis hin zum klangvollen finalen Te Deum für sich ein. Die schön illustrierte und gut betextete Edition rundet die Interpretation vorbildlich ab.



Georg Henkel



Besetzung

The Dufay-Collective

Choristers of the Southwell Minster

Williym Lyons: Leitung


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