Von Elise zur Bitch: Uwaga! und das Kammerorchester der Robert-Schumann-Philharmonie im Chemnitzer Eisenbahnmuseum
Info |
Künstler: Uwaga! & Kammerorchester der Robert-Schumann-Philharmonie
Zeit: 15.09.2023
Ort: Chemnitz, Schauplatz Eisenbahn
Fotograf: Nikolaj Lund
Internet: http://www.uwagaquartett.de
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Für kleiner besetzte Konzerte verläßt die Robert-Schumann-Philharmonie gelegentlich ihre angestammten Chemnitzer Spielorte, also die Stadthalle und das Opernhaus, und bringt Musik auch an ungewöhnlichen Orten zum Klingen, so auch an diesem Abend, als sich eine alte Eisenbahnhalle im Sächsischen Eisenbahnmuseum in eine Konzerthalle verwandelt und sich, soviel sei vorweggenommen, als akustisch prima für das Gebotene (in diesem Fall technisch Abgenommene) erweist. Auch die Optik mit einer der ältesten Lokomotiven von Richard Hartmann im Hintergrund, unterschiedlich farblich angestrahlt, hat durchaus Charme, was den etwas eigenartigen Geruch in der Halle (der, so berichten die rechts neben dem Rezensenten Sitzenden, allerdings zu anderen Veranstaltungen auch schon deutlich stärker gewesen sei) kompensiert.
Was Johannes Klumpp an diesem Abend dirigiert, ist eine ausschließlich aus Streichern bestehende Kammerorchesterbesetzung der Robert-Schumann-Philharmonie, die als Begleitung der Band Uwaga! firmiert. Besagtes Wort ist polnisch und heißt „Vorsicht!“, damit klarmachend, dass die sonst durchaus relativ eng miteinander verwandten slawischen Sprachen hier deutlich voneinander abweichen. Auf die musikalische Komponente hat dieser Aspekt wenig Einfluß: Uwaga! setzen sich wenig Grenzen und erfüllen den Crossover-Anspruch ohne Bedenken, während sich das Programm dieses Abends unter der Headline „Beethoven Express“ wiederfindet und „Originale und Fälschungen von und über Ludwig van Beethoven“ verspricht, dabei aber, wie sich letztlich herausstellt, gar nicht so vordergründig humoristisch daherkommt, wie man das vielleicht hätte vermuten können. Nein, die Arrangeure (zwei Bandmitglieder) nehmen Beethoven als Basis und bewegen sich von ihm in alle möglichen und unmöglichen Richtungen, die man mit zwei Violinen (ggf. eine durch eine Bratsche ersetzt), einem Kontrabaß und einem Akkordeon unter Zuhilfenahme des Streichorchesters umsetzen kann. 2007 gegründet, haben Uwaga! mittlerweile reichlich Erfahrung gewonnen, was da geht und was nicht.
Das Programm hebt mit „Für Elise“ an, das eine der möglichen Herangehensweisen prototypisch vorexerziert: Das Quartett agiert jazzig und baut ein paar balkanfolkloristische Elemente ein, wobei die Instrumente (selbst das Akkordeon) phasenweise auch perkussiv genutzt werden und Christoph König seine Violine bisweilen auch wie eine Ukulele schlägt. Das Orchester hat hier eher Begleit- und Teppichausrollfunktion, tritt aber auch markant verzahnt auf, wenn ein Tutti mit zwei Zupfern aus dem Kontrabaß von Jakob Kühnemann zusammenbricht, der vorher auch gekonnt über einen Teppich von Miroslav Nisics Akkordeon soliert hatte. Und wenn das Arrangement hier in einen Dreiertakt überwechselt, geschieht das mit der allergrößten Selbstverständlichkeit. Mit ebensolcher Selbstverständlichkeit hat die Formation auch gleich mal das gedruckte Programm verändert: Mozarts „Türkischer Marsch“, der Exot, wird durch „Attention“ von Charlie Puth ersetzt, einen anderen Exoten, also jetztzeitigen Pop (von 2017, um genau zu sein), der nur von den Quartettmitgliedern umgesetzt wird, und zwar in der Art eines Klavierquartetts, aber eben mit Akkordeon und eigenartigen Streicherelementen, bevor das Ganze strukturell poppiger wird, mit stark herausgearbeiteter Leadmelodie natürlich, wie das im Genre üblich ist. Auch die Cavatina aus dem 13. Streichquartett, nun wieder von Beethoven, kommt in den Außenteilen in sehr stimmungsvoller Klaviertrio-Manier (sogar von allen Uwaga!-Streichern mit Bogeneinsatz, was an diesem Abend eher selten vorkommt), bevor das Ganze in einen groovigen Orchesterjazzmittelteil übergeht. Der langsame Satz aus der 7. Sinfonie wird schrägerweise in einen schnellen umgewandelt, indem das Orchester fast stakkatoartiges treibendes Riffing auffährt und erst weit im Verlauf des Stückes zu lockereren Grooves wechselt, aber sich auch solistisch mit Uwaga! verzahnt, indem sich deren Violinist Maurice Maurer und der Konzertmeister gegenseitig die Themenbälle zuwerfen. Wilde Unisoni machen den schmackhaften Eintopf letztlich komplett.
Die zweite Hälfte hebt mit der „Ode an die Freude“ an – es singt niemand, aber das Grundthema wird natürlich umfangreich verarbeitet, durchaus auch mit außereuropäischen Elementen, denn wie Klumpp in einer seiner kundigen wie unterhaltsamen Moderationen treffend bemerkt hat, heißt es ja nicht etwa nur „Alle Europäer werden Brüder“. Die Rhythmusfiguren, in denen die Orchestermusiker zeitweise mitzuklatschen haben, würden auch eine intensivere Analyse lohnen, und schließlich mündet das Ganze in großem Orchesterjazz. Die Pathétique wiederum steht gleich doppelt auf dem Plan, nämlich ihre ersten beiden Sätze, der erste fast noch klassisch anhebend (und auch immer wieder dorthin zurückkehrend), aber bald mit einer ungewöhnlichen Zutat verknüpft, nämlich „Smack My Bitch Up“ von The Prodigy, von Maurer launig begründet, er habe verschiedene Stichworte in Zusammenhang mit Beethoven gegoogelt, unter anderem „Wunderkind“ oder eben das englische Pendant „Prodigy“. Das Gebräu dürfte Puristen nachhaltig verstört haben, aber solche sind an diesem Abend vermutlich sowieso gar nicht erst gekommen, und alle anderen freuen sich, dass die Beatverschiebung auf 2 und 4 erstaunlich gut funktioniert: Das Stück endet in flottem Bombast und sorgt für den bisher lautesten Jubel. Der zweite Satz dagegen, gemäß Ansage „die schönste Schnulze der Musikgeschichte“, funktioniert nur dann, wenn ihn alle Beteiligten wirklich konsequent als Schnulze interpretieren, während der Versuch, ironische und/oder stilfremde Elemente einzubinden, hier scheitert und auch Königs letzter Versuch, ins Pianissimo-Outro noch das „Götterfunken -Thema einzubinden, nur bemüht wirkt. Zum Glück reißt der 1. Satz der Mondscheinsonate die Kastanien wieder aus dem Feuer, indem der latente Groove bald zu realem wird und das Stück die stärkste Verzahnung von Band und Orchester an diesem Abend auffährt. Der Schlußbombast gerät trotz eines wie ein Stehaufmännchen herumspringenden Dirigenten nicht ganz so wirkungsvoll wie der vor der Pause, aber für lauten Jubel reicht’s allemal, und der ist in der Gesamtbetrachtung natürlich auch verdient – der Einfallsreichtum beeindruckt, und an der spieltechnischen Komponente gibt es, soweit das für den Hörer nachvollziehbar ist, auch praktisch nichts auszusetzen. Zugaben müssen folglich sein: Vivaldis „Sommer“ bleibt lange klassisch strukturiert, bis er von der Band aufgebrochen wird, was an die Vorgehensweise klassischer Siebziger-Rock-Helden erinnert, wobei König hier abermals Beethoven-Themen ins Solo einschmuggelt, was diesmal richtig gut funktioniert, und dann kommt noch ein von Uwaga! arrangiertes Traditional namens „Hora Transilvania“, nach einem langen Akkordeonsolo Nesics in vielschichtigen Balkan-Speedfolk mit Orchesteruntermalung umschlägt, in dem das Orchester auch zweimal kollektiv „Hey!“ rufen darf, Klumpp erneut wie ein Stehaufmännchen herumspringt und die Spielfreude alle ansteckt, so dass Standing Ovations die Folge sind, ehe klar wird, dass nach etwa anderthalb Stunden Nettospielzeit keine weitere Zugabe mehr folgt. „Der Sound war ja wirklich gut“, bemerkt ein Besucher aus der Reihe hinter dem Rezensenten, und letzterer kann besagten Satz ohne Wenn und Aber unterschreiben. Und obwohl wie beschrieben nicht alle Ideen funktioniert haben, ist die Zahl derjenigen, die hoch zu punkten wissen, doch deutlich größer als die Zahl der Problemfälle – das Ziel darf also als erreicht betrachtet werden. Und wären Uwaga! nicht auch mal was für die Februar-Konzerte der Robert-Schumann-Philharmonie, in denen bekanntlich immer etwas abseitigeres Repertoire gepflegt wird?
Roland Ludwig
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