Das Leben ist lebenswert: Hubert von Goisern zur Kulturarena in Jena
Alle paar Jahre steht Hubert von Goisern auf dem Programm des sommerlichen Kulturarena-Festivals in Jena: 2002 war er da, 2009 und 2015 auch und nun 2023 wieder. Das erstgenannte Konzert hat der Rezensent noch nicht miterlebt, die beiden anderen aber schon, und beide entpuppten sich als herausragende Erlebnisse ganz eigenständiger Bauart, wie der Interessent in den zugehörigen Reviews auf crossover-netzwerk.de nachlesen kann. Die Spannung ist also groß, was man vom 2023er Konzert an einem wettertechnisch zweifelhaften, aber dann doch trocken bleibenden, wenn auch relativ kühlen Augustabend erwarten darf. Zunächst fällt die doch recht reichhaltig bestückte Bühne auf: Aus Publikumssicht links steht nämlich eine ganze Armada von Schlag- und anderen Instrumenten zusätzlich zu den regulären Drum- und Keyboardburgen im Bühnenhintergrund. Sollte etwa ...? Ja, stellt sich nach dem Opener „Stabile Alm“ heraus: Den hatte Hubert von Goisern nämlich noch im Basisquintett mit Gitarrist Severin Trogbacher, Keyboarder Alessandro Trebo, Bassist Helmut Schartlmüller und Drummer Alex Pohn bestritten, aber zu „A Tag wie heut“ kommt tatsächlich Maria Moling aka Maria de Val auf die Bühne und bleibt auch bis zum Gigende knapp zwei Stunden später auf selbiger. Damit schlägt der Goiserer wie schon auf dem aktuellen Album Zeiten und Zeichen eine Brücke zurück ins erste Jahrzehnt des aktuellen Jahrtausends, in die Zeiten der Flußschiffahrtsprojekte, bei denen die junge Ladinerin zusammen mit ihren Cousinen Elisabeth und Marlene Schuen auch schon mit von der Partie war – und den 2009er Gig in Jena hat sie auch mit bestritten. Dieses Sextett, das ab Song 2 auf der Bühne steht, ist auch das Basissextett des Albums, und wie man es von Hubert von Goisern gewohnt ist, nimmt dessen Material einen relativ großen Anteil der Setlist ein. Erschienen mitten in der Pandemie anno 2020, hat es schließlich auch lange genug gedauert, bis die Songs endlich auch auf die Bretter, die die Welt bedeuten, gelangen konnten. Und das Material strotzt nur so vor Überraschungen, die man dem Goiserer in dieser Form nicht zugetraut hatte und die sich doch irgendwie perfekt in den Kosmos von ihm und seiner Band einfügen. „A Tag wie heut“ zählt noch nicht zur Überraschungskategorie, sondern ist solider Alpinrock mit Maria in diesem Falle an der Rhythmusgitarre – aber an Position 3 steht „El Ektro“ und bietet tatsächlich auch solchen, live gespielt natürlich und in der Goisern-Fassung derart faszinierend, dass man auch als Mensch, der um Elektro-Klänge sonst eher einen Bogen macht, anerkennend mit dem Kopf nickt und sich über die eine oder andere scheinbare Kraftwerk-Reminiszenz freut. Noch ein Beispiel gefällig? „Freunde“ macht den Goiserer zum Rapper, und das könnte ganz schnell ins Beinkleid gehen, wenn man damit sonst keine Erfahrung hat, zumal er auf dem Album nicht selber gerappt hatte, sondern ein Gast namens DAME diese Passagen übernahm. Aber auch diese Aufgabe meistert der Vokalist an diesem Abend in Jena, als hätte er seit einem halben Jahrhundert nichts anderes getan – und die Einbindung des Samples „Freunde, das Leben ist lebenswert“ gelingt organisch und doch überraschend, was dem Gesamtbild des Songs definitiv hilft, denn es handelt sich textlich um schwere Kost, nämlich das Schicksal von Fritz „Beda“ Löhner, des Librettisten vieler Erfolgsoperetten von Franz Lehár, der aber im Gegensatz zum Komponisten nach 1933 seine Karriere begraben mußte und 1942 in Auschwitz ermordet wurde, ohne dass von Lehár größere Anstrengungen bekannt sind, sich für ihn einzusetzen (und obwohl die beiden einige der Lieblingsoperetten des Führers geschaffen hatten). Und wie es der Goiserer schafft, im Finale zu fragen, wie wir uns an Lehárs Stelle verhalten hätten, und trotz aller Kritik den Stab über dem Komponisten nicht bricht, das zeichnet den Altersweisen aus, der sich seinen kritischen Blick auf die Welt bewahrt hat, aber dabei weder verbittert noch eindimensional denkt. Passenderweise steht auch „Brauner Reiter“ im Set, das mit ultrafinsterem Riffing und leichtem Gothic-Metal-Timbre aktuelle politische Tendenzen beschreibt. Dass die CDU in Thüringen ein Gesetz nur mit Hilfe der AfD durchbringt (was anhand der politischen Zusammensetzung des Landtags vorher jedem klar war, dessen IQ über Zimmertemperatur liegt) und der CDU-Fraktionsvorsitzende hinterher scheinheilig behauptet, er könne ja nichts dafür, wenn die Falschen dem Gesetz zustimmen, ist zum Zeitpunkt des Konzerts noch Zukunftsmusik, aber den ersten AfD-Landrat Deutschlands durfte sich schon vorher ein thüringischer Kreis zuschreiben lassen, und man fühlt sich zum Rezensionszeitpunkt immer stärker an 1930 erinnert, als der Braune Reiter auch zuerst in Thüringen in Regierungsverantwortung kam. Landsleute des Goiserers, nämlich die Kreativköpfe der EAV, hatten das schon in den Achtzigern in passende Worte gefaßt, als sie in „Total verunsichert“ feststellten, es sei kurios, „dass die Leit net gscheiter werdn“. Zurück auf den Theatervorplatz in Jena: Noch so manche weitere neue Nummer erklingt, ehe Hubert von Goisern ankündigt, dass man jetzt etwas Älteres ausgraben würde – dass es aber die Titelmusik einer 1997er Tierdokumentationsserie namens „Afrika overt“ sein würde, die der von Jane Goodall und ihren Forschungen faszinierte Weltenbummler geschaffen hatte, dürften wohl nur diejenigen auf dem Schirm gehabt haben, die zuvor die Setlisten diverser anderer Gigs des Jahres 2023 studiert hatten, wo diese Nummer hier und da auch schon mal aufgetaucht war. Afrikanische Elemente mit Jodlern und Tiergeräuschen zu koppeln, ohne dass es lächerlich wirkt, das schafft nur ein ganz Großer, aber ein solcher ist der Goiserer ja bekanntlich. „Dem kannste jedes Instrument in die Hand geben, der macht was draus“, verlautet aus der Reihe hinter dem Rezensenten, und dieser Satz besitzt grundsätzliche Wahrheit, obwohl die Instrumentenvielfalt an diesem Abend gar nicht so groß ist: zwei Akkordeons, eine E- und eine Akustikgitarre, zweimal eine Trompete, das war’s diesmal schon. Die größere Vielfalt hat da Maria vor und um sich: ein zweites Keyboard und ein reiches Arsenal an Schlaginstrumenten, wobei sie wie auch alle anderen Bandmitglieder außer Trebo zudem in die Vocals eingebunden ist und dabei zuweilen auch Leadaufgaben übernimmt. Alle Instrumentalisten dürfen auch mal solistisch in den Vordergrund treten, und dass während des Drumsolos von Alex Pohn im den regulären Teil abschließenden „Brenna tuats guat“ der Drache an der Bühnenrückwand eine blau-gelbe Schärpe verpaßt bekommt, ist bei einem Künstler wie Hubert von Goisern natürlich auch kein Zufall. Vier Zugaben gibt es noch – und die machen den Gig speziell. Dem Rezensenten fällt kein anderer Musiker ein, der im Zugabenblock konsequent das Tempo rausnehmen könnte, ohne dass es irgendwie zu einem Stimmungsabschwung käme (von Acts, die schon von Haus aus in niedrigen Tempolagen arbeiten, natürlich abgesehen). Hatte der Hauptset durchaus einige flottere Nummern beinhaltet, zu denen man munter das Tanzbein schwingen konnte, so wiegt man im Zugabenblock nur noch den Oberkörper und ist trotzdem glücklich. Und die Spannung, die Emotionalität, die Fragilität nimmt immer höhere Werte an – noch jetzt beim Reviewschreiben steigt dem Rezensenten eine Träne ins Auge, wenn er an die Intensität von „Weit, weit weg“ denkt, dem das finale „Heast as nit“ kaum nachsteht. Das ist ein kleines, nein, ein riesiges Kunstwerk innerhalb des zweistündigen Gesamtkunstwerks, das der Goiserer da geschaffen hat, bei hochgradig transparentem und bedarfsweise trotzdem druckvollem Sound übrigens, nachdem der Stammtontechniker es ab „El Ektro“ geschafft hat, auch die bis dahin noch im klanglichen Abseits verharrenden Keyboards Trebos hörbar zu machen. Und perfekt eingespielt ist das Sextett offensichtlich auch, was nicht weiter verwundert, bildet doch der Keyboarder den einzigen Neuzugang, während alle anderen schon vor anderthalb Dekaden gemeinsam musizierten. Die „Jugend“ sorgt hier und da auch für etwas Bewegung auf der Bühne, wenn der Gitarrist und der Basser fröhlich über diese hüpfen, während der Keyboarder hinten rechts im Stile eines Animateurs auf einer Ferieninsel gestikuliert. Diese Umgebung tut Hubert von Goisern sichtlich gut – auch seine Stimme überzeugt immer noch ohne Wenn und Aber, obwohl der Barde mittlerweile die 70 schon überschritten hat. In dieser Form möge er uns noch lange erhalten bleiben, und wenn alles so weiter läuft wie bisher, wird sein nächster Kulturarena-Gig ja immerhin anstehen, bevor er 80 wird. Ein phasenweise extrem intensiver Abend vom Allerfeinsten! Setlist: Solide Alm A Tag wie heut El Ektro Dunkelblau Brauner Reiter Freunde Sünder Future Memories Afrika overt/Jodler Eiweiß Omunduntn Brenna tuats guat -- Kohler Spåt Weit, weit weg Heast as nit Roland Ludwig |
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