Philip Weyand
Myosotis
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Der Mannheimer Pianist Philip Weyand stellt mit Myosotis eine sehr interessante Platte vor. Eine eigentlich typische Jazz-Quartett-Besetzung, Altsaxofon, Piano, Bass und Schlagzeug. Ob der Titel der Platte eine Bitte darstellen soll? Myosotis, eine Pflanze, ein Blümchen - das Vergissmeinnicht....
Doch bevor ich diese Platte vergesse oder nicht, muss sie sich mir erst einmal vorstellen und mein Gefallen erwecken. Und meine Aufmerksamkeit wird auf jeden Fall bereits mit dem Eröffnungssong "Placido" erweckt. Ein sanfter Song mit einem lyrisch und fein klingenden Piano, einem mitunter fast säuselnden Saxofon, einem leicht brummenden Bass, und einem Schlagzeug, dass irgendwie konträr zum Auftritt der Drei steht. Denn Micha Jesske spielt sehr dominant und laut, kann aber die Becken auch ganz zart antupfen.
Und schon filtert sich etwas heraus, dass sich mit dem zweiten Song erhärtet. Einer meiner Lieblingsdrummer ist Tony Williams, auch er spielte unkonventionell anders, rumpelte auch schon mal dazwischen, wenn es mal hätte swingen können, und er fällt mir ein, wenn ich dem Spiel von Jesske lausche. Womit nun der Übergang zum Titelsong kommt.
Weyand spielt nicht nur Piano, nun singt er auch noch. Der achtzeilige deutsche Text ist im Booklet abgedruckt. Er klingt sehr abgehoben, mit einem dezent lasziven Latin-Feeling, und hier bin ich dann schon wieder bei Tony Williams. Dessen zweite Platte mit seiner Lifetime, "Turn It Over", hatte auch einige Gesangstitel, und hier klingt es irgendwie genauso entrückt und verträumt, fast schon schläfrig. Doch rasch übernimmt die Saxofonistin Kristina Shamgunova die Staffel und legt ein wunderschönes Solo vor. Wiederum sehr zart und lyrisch, aber auch mit einem Hauch von kratzender Rauheit überzogen, ein ganz wenig Paul Desmond klingt dazu noch durch.
Entstanden ist ein Album mit sehr überraschender Musik, so, wie ich sie nicht erwartet hätte. Eine dahinschwebende, schwelgerische Stimmung, sehr eigenwillig und lyrisch im Ausdruck. Dafür sorgen zumindest Piano und Saxofon, doch wenn Nico Klöffer seinen Bass auch einmal streicht, trägt er auch zu dieser Stimmung bei, und hierzu empfehle ich "Unbunt", Jesske hält sich hier zurück und stört diese Träumerei nicht, trägt nur ab und zu etwas bei zu diesem zauberhaften Ausflug in einen Märchenwald.
Vertrackt, holpernd und verdreht stellt sich dann "Anthrax" vor, andeutungsweise Cluster auf dem Piano und eine jagende Rhythm Section lassen mich aufwachen, tragen mich in eine ganz andere Welt, in die Sechziger, als sich der Free Jazz anschickte, als solcher zu entstehen, hier ist es noch nicht soweit, ein wenig Ornette Coleman spüre ich, und auch Kristina Shamgunova lässt ab vom Schönklang. Leider ist es nach drei Minuten vorbei, ach, war das erfrischend.
Das soll jedoch nicht bedeuten, dass die restliche Musik nicht auch erquickend sei, sie wirkt nur auf andere Weise. Man bedient sich verschiedener Stilelemente vergangener Tage und hat diese sehr eigenwillig interpretiert. Da assoziiere ich spontan neben dem bereits genannten Coleman auch Namen wie die ganz frühen Weather Report, einige Produktionen aus der Anfangszeit des Labels ECM, inklusive Musik von Chick Corea.
Nach einem sehr harmonischen und mit Schönklang ausgestatteten "Schweifen" folgt mit "Stardust" abschließend ein Klassiker des Great American Songbooks. Erneut singt Weyand, oder? Ich denke, vielmehr trägt er den Text fast sprechend vor, man hat den Song auch so verändert, dass man ihn nicht zwingend wiedererkennt, gewagt, gelungen....
Nun, ich denke, so schnell wird man Myosotis nicht vergessen, es sei denn, man mag diese Musik nicht. Mir gefällt es, denn die Musiker*innen haben es verstanden, innerhalb des großen Meeres an Veröffentlichungen im Jazz doch noch ein in großen Teilen sehr individuelles Album vorzulegen! Ja, eine sehr unterhaltsame Stunde!
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 Placido
2 Myosotis
3 Unbunt
4 Anthrax
5 Zwischenspiel
6 ?X
7 EtG
8 Nomos
9 Schweifen
10 Stardust
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Besetzung |
Kristina Shamgunova (alto saxophone)
Philip Weyand (piano/vocals)
Nico Klöffer (double bass)
Micha Jesske (drums)
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