Auf der Andrea Doria sind noch Plätze frei: Der Film Lindenberg! Mach Dein Ding! zieht in Borna nur relativ wenige Besucher zum Sommerkino




Info
Künstler: Lindenberg! Mach Dein Ding! (Film)

Zeit: 28.08.2020

Ort: Borna, Volksplatz

Besucher: 170

Veranstalter: Volksplatzverein

Internet:
http://www.volksplatz.de
http://www.lindenberg-film.de

So ein bißchen schizophren ist die Lage schon. Da gibt es in Borna eine riesige Freilichtbühne (die Dimensionen stammen aus den Größenwahn-Zeiten des Dritten Reichs), die in Nicht-Corona-Zeiten 10.000 Besucher faßt, also auch in Corona-Zeiten mit entsprechenden Abstandsregeln noch etliche tausend. Ein rühriger lokaler Verein kümmert sich um das Kulturprogramm, stellt Konzerte auf die Beine und organisiert zudem eine Sommerkino-Reihe, im Corona-Sommer jeweils freitagabends, seit die Anti-Pandemie-Regeln entsprechende Veranstaltungen wieder erlauben. Da das Kulturangebot aktuell ja arg ausgedünnt ist, sollte man also meinen, dass die Menschen dankbar für solche Gelegenheiten sind und in Scharen angeströmt kommen, vor allem dann, wenn wie am letzten Augustfreitag der Film Lindenberg! Mach Dein Ding! auf dem Programm steht, also ein äußerst mehrheitsfähiges Thema, zumal Udo-Konzerte in Prä-Pandemie-Zeiten in der Leipziger Arena immer prima besucht waren. Aber obwohl auch noch die anfangs zweifelhafte Wetterprognose im Laufe des Tages letztlich immer besser geworden ist (und das Wetter dann gar noch besser ausfällt als prognostiziert – es ist ein noch angenehm temperierter Abend mit nur einer Handvoll Regenspritzer und etwas Wetterleuchten in der Ferne), verlieren sich nur relativ wenige Besucher in dem riesigen Areal. Es sollen etwa 170 gewesen sein, was für einen durchschnittlichen Sommerkinoabend laut dem Vorsitzenden des Volksplatzvereins gar nicht mal schlecht ist. Nur handelt es sich zumindest nach Meinung des Rezensenten diesmal nicht unbedingt um einen durchschnittlichen Sommerkinoabend, sondern um einen Film mit durchaus beträchtlicher potentieller Zugkraft ...

Die Anwesenden bekommen allerdings einen hochinteressanten Streifen zu sehen. Lindenberg! Mach Dein Ding! ist dabei kein karriereumspannendes Werk, sondern beschäftigt sich mit der Frühzeit des Lindenbergschen Werdegangs bis zum großen Durchbruchsalbum Alles klar auf der Andrea Doria und den unmittelbaren Folgewerken in der ersten Hälfte der Siebziger. Bekanntlich war Lindenberg in der damaligen Bundesrepublik der Erste, der in der Pop- und Rockmusik konsequent auf quasi poetische deutsche Texte setzte (diverse Polit- und Frühkrautrocker taten das zwar auch, aber aus anderen Gründen – und die Einschränkung auf die damalige Bundesrepublik ergibt sich aus dem Umstand, dass in der DDR deutsche Texte für die Pop- und Rocksänger mehr oder weniger Pflicht waren), und der Film macht auch dem Nichtdabeigewesenen eindrucksvoll klar, gegen welche Umstände Udo weiland ankämpfen mußte, sowohl bei den eigenen Musikerkollegen (deutsche Sprache bedeutete damals mehr oder weniger automatisch Schlager) als auch beim Teldec-Scout Mattheisen, der seinen Willen nach englischen Texten anfangs durchsetzt, aber damit ebenso fürchterlich auf die Nase fällt wie mit dem anschließenden Zwang, eine deutsche Schlager-Single herauszubringen: Die englischsprachige LP bleibt in den Regalen wie Blei liegen, die Single-A-Seite floppt ebenso, und nur der Überraschungserfolg „Hoch im Norden“ auf der B-Seite, der zum regionalen Radiohit wird und Lindenbergs Können im Umgang mit der deutschen Sprache im Rockkontext erstmals andeutet, verhindert, dass auch die deutschsprachige LP Daumen im Wind auf dem komplett toten Gleis landet, wonach dann die erwähnte Durchbruchs-LP Alles klar auf der Andrea Doria möglich wird.
Der Film beschränkt sich allerdings nicht auf diesen Themenkomplex, sondern beleuchtet einerseits Udos komplette frühe Hamburger Jahre und montiert andererseits immer wieder Szenen aus der Kindheit und Jugend des Protagonisten ein, die prägenden Einfluß auf das spätere Schaffen hatten: die innige Beziehung zur Mutter, der Alkoholismus des Vaters (beide Eltern wurden, allerdings erst lange nach der Erzählzeit des Films, zu Albumtitelhelden für eher ungewöhnliche Lindenberg-Platten), die Jugendliebe Susanne (im Film Wasserspringerin, im Klassiker „Cello“ Cellistin), die Zeit in einer US-Army-Club-Kapelle in Libyen etc. pp. Letztere gibt auf etwas überraschende Weise dem Film auch ein Gerüst und bildet zugleich eines der detailverliebten Elemente des Streifens, indem der Alkoholismus Udos eine prägende Rolle einnimmt – und mit großer Selbstverständlichkeit wird in allen Lokalitäten weiland auch noch geraucht. Vor allem mit den frühen Hamburger Szenen gelingt Regisseurin Hermine Huntgeburth eine eindrucksvolle Milieustudie, zeitlos übrigens auch in puncto Musikerprekariat, das sich von Mugge zu Studiojob hangelt und quasi nie auf einen grünen Zweig kommt, Talent und Können hin oder her. So sehen wir Udo auch beim Einspielen der Drums für das von Klaus Doldinger geschriebene Tatort-Titelmotiv – in Doldingers Band Passport spielte Udo weiland auch für kurze Zeit regulär mit, und einen weiteren zentralen Handlungsstrang des Films bildet die Emanzipation vom Drummer zum Sänger und Frontmann, womit wir dann auch wieder beim Alkohol und anderen bewußtseinserweiternden Mittelchen wären. Das Hochprozentige fließt während der reichlich zwei Stunden derart reichlich, dass man fast zu glauben versucht ist, gewisse Industriezweige hätten hier als Sponsoren mitgewirkt ...
Hier liegt dann auch einer der Knackpunkte des Streifens: Klar, er soll nicht moralisieren – aber Udo hatte mit dem gleichfalls auf Daumen im Wind enthaltenen Song „Alkoholmädchen“ schon sehr früh unter Beweis gestellt, dass er um die Gefahren des überreich fließenden Feuerwassers wußte, was die Regisseurin und/oder die Drehbuchautoren aber mal eben komplett ausblenden. Dass sie sich ansonsten in der chronologischen Anordnung der frühen Karrierestationen die eine oder andere dramaturgische Umstellung gönnen – geschenkt: Es ist ein Spiel- und kein Dokumentarfilm. Allerdings setzen sie einiges an Vorwissen beim Betrachter voraus: Die enge Beziehung zwischen Udo und dem Bassisten Karl-Georg „Steffi“ Stephan in Hamburg beispielsweise erschließt sich nur dem, der weiß, dass die beiden schon zuvor in Münster lange zusammengespielt hatten, was im Film nicht vorkommt. Stephans „Opt-In-Opt-Out“ in Lindenbergs Band wiederum gehört zu den fein beobachteten Momenten, und dass der Lude auf St. Pauli, mit dem Lindenberg und Stephan immer wieder Ärger haben, ein bißchen an Frank Zanders Endachtziger-Kunstfigur Kurt erinnert, dürfte vermutlich auch kein Zufall sein.
Jan Bülow in der Hauptrolle bekommt eine überraschend authentische Wiedergabe seiner Rolle hin – selbst der Tonfall beim Stöhnen ist so original Lindenberg, wie nur irgendwas original Lindenberg sein kann. Von den 15 Songs, die es zu hören gibt, singt Bülow vier selber, und auch hier kommt er stimmlich ziemlich nah ans Original heran – das muß man gerade bei Lindenbergs markantem Organ erstmal schaffen. So reiht sich auch dieses Detail gekonnt in ein überwiegend gelungenes Ganzes ein. Dass die Regisseurin den gleichen, eher seltenen Vornamen trägt wie die Mutter des Helden, ist zwar purer Zufall, paßt aber irgendwie auch wieder ins Bild. Gute Nachrichten gibt es aktuell für alle, die keine Gelegenheit vor Ort haben, den Streifen im Kino zu sehen: Lindenberg! Mach Dein Ding! ist mittlerweile auch auf DVD erschienen.


Roland Ludwig



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