Aufruhr der Wenigen: Riot V mit Asomvel und Indian Nightmare in Leipzig
Riot hatten 1980 und 1981 in England gespielt, sich danach aber mehr als eine Dekade lang von der Alten Welt ferngehalten. Die für 1993 angekündigten Shows mit Titan Force fanden letztlich mit Anvil anstelle von Riot statt, und im Folgejahr zog ein Package durchs Land, das aus Metal Church, Vicious Rumors, Riot und Jag Panzer bestehen sollte – aber hier sprangen erst Jag Panzer ab (als Ersatz kamen Paul DiAnno’s Killers) und dann auch Riot (als Ersatz wurde Zodiac Mindwarp verpflichtet, der die Lücke ebensowenig füllen konnte wie DiAnno die von Jag Panzer). Immerhin reichte es in Halle/Saale immer noch zu einem denkwürdigen Gig mit einem sauren DiAnno, weil das Auditorium den ihm zugedachten Teil von „Sanctuary“ nicht angemessen genug mitsang, und der Rezensent war seinerseits sauer, weil er, um den letzten Zug zu kriegen, die Easy Schorre vorzeitig verlassen mußte und dadurch um das Finale des Metal-Church-Gigs kam, bei dem die ganz alten Klassiker ausgepackt wurden, somit ein ansonsten starker MC-Gig (nach einem nicht minder starken von VR) ohne die Krönung auskommen mußte. Im Mai 1996 schafften es Riot aber dann doch noch nach Europa und spielten auch in Leipzig im Anker mit Whiplash und den seinerzeit mit Irrational Anthems auf ihrem Zenit angekommenen Skyclad einen starken Gig. Reichlich 23 Jahre später nun gastieren Riot V, wie die nach dem Tode von Mark Reale weitermachende neue Mannschaft hierzulande firmiert, abermals in der Messestadt. Indian Nightmare sind schon am Werkeln, als der Rezensent im Hellraiser eintrifft. Die Frage, ob wir hier einen indischen oder einen indianischen Alptraum vor uns haben, scheint anhand der Gesichtsbemalung dreier der Mitglieder in die letztgenannte Richtung zu beantworten zu sein, aber generell handelt es sich hier um eine geographisch ungewöhnliche Kapelle, deren Gründungsmitglieder aus Indonesien, Italien (zwei Mann), der Türkei und Mexiko kamen, was dann zugleich erklärt, warum der Sänger einer Band, deren Proberaum in Berlin steht, mit dem sächsischen Publikum in Englisch parliert. Das Quintett spielt klassischen Speed Metal mit leicht punkiger und thrashiger Note, wobei letztere nicht zuletzt durch besagten Sänger zustandekommt, der sich im traditionellen Shouting äußert und gegen Zeilenende gern in hohe, spitze Schreie gleitet, während der Drummer ein paar Gangshouts einstreut. Besagter Drummer bildet auch das akustisch hervorstechendste Mitglied der Band: Der Gig findet nicht im großen Hellraiser statt, sondern im kleinen Raum links hinten, und dort ist’s äußerst schwierig, das Schlagzeug so weit herunterzunehmen, dass ausreichend akustischer Entfaltungsraum für die anderen Instrumente bleibt. Der Baß geht bei Indian Nightmare jedenfalls etwas unter, so dass sich auch kein konstruktives Miteinander mit den Drums einstellen kann, und von den Gitarren hört man zumindest die Leads messerscharf, die Rhythmusgitarren aber auch nur diffus. Das Problem potenzierend tritt hinzu, dass der Drummer mit enormem Kraftaufwand poltert und die Musiziergeschwindigkeit fast durchgehend im enorm hohen Bereich liegt – einige stampfende Intros besitzen eher Alibifunktion, und nur der epische Setcloser setzt längere Zeit auf breit ausladendes Midtempo. Das Gros des Materials stammt vom aktuellen Werk By Ancient Force – die Formulierung „von der aktuellen Scheibe“ wäre nicht hundertprozentig zutreffend gewesen, denn es gibt am Merchstand auch eine Kassettenversion zu erstehen. Indian Nightmare sind also Old School durch und durch und wahre Metal-Enthusiasten, auch wenn optisch einiges merkwürdig anmutet – der Sänger trägt ein Sacrifice-Shirt, ist mit mancherlei Metall behangen und wartet mit einem kultig-zeitlosen Topfschnitt auf, der Basser versucht durch seine Sonnenbrille cooler zu wirken, als er eigentlich ist, und der linke Gitarrist hat die Hälfte seiner Haare orange gefärbt. Trotzdem herrscht im kleinen Hellraiser nicht nur eine saunakompatible Temperatur, sondern auch eine prima Stimmung unter der Handvoll Metal-Enthusiasten, die sich dieses Package an einem warmen Augustabend nicht entgehen lassen wollen. Nach einer ziemlich kurzen Umbaupause stürmen Motörhead auf die Bühne – könnte man zumindest vermuten: Asomvel, bereits seit einem Vierteljahrhundert aktiv, haben sich in den letzten Jahren immer stärker in die Richtung der Lemmy-Gang entwickelt und als vorläufig letzten Schritt anno 2018 einen neuen Drummer namens Jani Pasanen verpflichtet, der eine ähnliche blonde Wischmop-Frisur auffährt wie Mikkey Dee. 2014 hat der Neffe des verstorbenen Co-Bandgründers Jay-Jay Winter, ein Mensch namens Ralph, die Position an Baß und Gesangsmikrofon übernommen, und hier meint man einen jungen Lemmy vor sich zu haben, zwar ohne Warze, aber mit Backenbart und auch sonst grundsätzlich ähnlicher Optik. Dazu kommt als Dritter im Bunde der noch lebende Co-Gründer Lenny Robertson an der Gitarre, und auch der erinnert optisch ein ganz klein wenig an Phil Campbell – England-Metal-Experten könnten ihn von Solstice her kennen, auf deren Alben er allerdings nicht zu hören ist. Doom bekommen wir aber an diesem Abend sowieso keinen vorgesetzt, vielmehr erinnert auch die Musik des Trios etwas an eine metallisierte Version von Motörhead, garniert indes mit ein paar rhythmisch verschrobeneren Passagen, wie die großen Vorbilder sie sich allenfalls mal im Titeltrack von Sacrifice kurz trauten. Passend dazu spielt auch Ralph seinen Baß etwas an eine Rhythmusgitarre erinnernd – was er dagegen nicht reproduziert, ist Lemmys typische Überkopf-Mikrofon-Position. Wie stark er stimmlich in die Nähe von Herrn Kilmister kommt, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, da auch hier die Drums im Gesamtmix klar vorschmecken und man nicht mal in den Refrains die Vocals sonderlich deutlich wahrnehmen kann. Der Energietransport klappt allerdings tadellos, und Songtitel wie „Steamroller“ oder das coole „The Law Is The Law“ hätten Lemmy durchaus auch einfallen können, ebenso wie World Shaker, Titel des neuen Albums, das einen guten Teil der Setlist stellt. Der Setcloser wird dem erwähnten Onkel Ralphs gewidmet, und im Publikum herrscht eine nicht ganz so ausgelassene, aber trotzdem nach wie vor positive Stimmung. Die nun folgende Umbaupause dauert relativ lange, und Frank Gilchriest schraubt ewig an seinem Schlagzeug herum, hängt Becken von links nach rechts und umgekehrt, bis eine passende Einstellung gefunden zu sein scheint. Irgendwann geht’s dann doch los mit Riot V – aber dass das Quintett mit „Armor Of Light“, dem Titeltrack seiner aktuellen Scheibe, einsteigt, kann man soundlich nur erahnen, und das folgende „Flight Of The Warrior“ erkennt man auch nur, weil man es viele, viele Male auf Konserve gehört hat. Interessanterweise ist nicht das Schlagzeug das Hauptproblem, zumindest nicht nach den ersten Feinjustierungen: Für die Gitarren dauert es einige Songs, bis eine transparente Variante gefunden ist, beim Gesang freilich gelingt das bis zum Schluß nicht, da sich Rückkopplungen fieser Art breitmachen und alle verfügbaren Frontmikrofone offenbar nur bis zu einer gewissen maximalen Lautstärke gedreht werden können. So ergibt sich das paradoxe Bild, dass der (mittlerweile nicht mehr ganz so) neue Sänger Todd Michael Hall akustisch am weitesten im Hintergrund steht und man sich ziemlich anstrengen muß, wenn man seiner Sangeskunst folgen will. Aber das lohnt sich – denn das, was man hört, ist ohne Zweifel als Sonderklasse einzustufen. Da steht ein harmlos aussehendes Bürschlein (das, wie ein Blick in die Nachschlagewerke zeigt, allerdings auch schon knappe 50 Lenze zählt) auf der Bühne und schafft es, die Vorlagen aller seiner Vorgänger (außer Rhett Forrester, denn aus dessen Ära steht nichts auf der Setlist) kongenial umzusetzen und ohne sichtbare Anstrengung Höhen zu erreichen, die selbst Tony Moore nur ankratzen konnte. Hall hört sich selber auf der Bühne offenbar auch nicht gut, und so passiert es ihm an einigen Stellen, dass er in noch größere Höhen springt als eigentlich geplant, und das ist nicht schlechthin ein Fehler, sondern ein Beweis, dass er noch mehr könnte, wenn es drauf ankäme. Diesen Ausnahmekönner muß sich der Rezensent unbedingt nochmal bei klaren Soundverhältnissen anhören, soviel steht felsenfest. Hall ist also offenbar genau das Glied, das die beiden alten Kämpen Mike Flyntz (g – der einzige des Quintetts dieses Abends, der auch 1996 auf der Bühne stand) und Don van Stavern (b) für ihre Kette gebraucht haben. Auch der Jungspund der Band, Zweitgitarrist Nick Lee, liefert eine Klasseleistung ab, wenngleich seine Gitarre ein wenig weiter im akustischen Hintergrund steht als die von Flyntz und man somit noch ein wenig genauer hinhören muß, um das zu analysieren. Zudem bildet Lee den bewegungstechnischen Aktivposten auf der Mini-Bühne, während sich Hall schrägerweise quasi in Zeitlupe bewegt und den Eindruck erweckt, als singe er in einer Doomband. Gilchriest wiederum ist schon nach anderthalb Songs komplett durchgeschwitzt und liefert eine leichtfüßige, aber powerseitig keine Wünsche offenlassende Leistung ab. Zusammen haben wir also fünf Ausnahmekönner vor uns, auf die Mark Reale mit Recht stolz wäre, wie sie sein Erbe verwalten. Zudem spinnen sie die Bandgeschichte aber auch weiter und tun das auf gleichfalls exorbitant hohem Niveau, wie die diversen eingestreuten Songs von den Alben Unleash The Fire und eben Armor Of Light unter Beweis stellen. Der zweite Fokus liegt naturgemäß auf dem Klassikermaterial von Thundersteel und The Privilege Of Power, und auch wenn Riot V von letzterem zum Leidwesen des Rezensenten nicht „Dance Of Death“ (neben dem Thundersteel-Titeltrack der beste Riot-Song aller Zeiten) spielen, so gibt er sich doch auch mit dem fast ebenso hochklassigen „Ersatz“ in Form von „On Your Knees“, „Metal Soldiers“ und „Storming The Gates Of Hell“ zufrieden und bringt seinen alternden Nacken mal wieder in rotierende Bewegung, wie er das auch anno 1996 fleißig getan hat. Thundersteel stellt neben logischerweise dem Titeltrack, der den Hauptset abschließt, und dem erwähnten „Flight Of The Warrior“ noch „Johnny’s Back“ und das den einzigen Ruhepol im Set markierende „Bloodstreets“, aber darüber hinaus packen Riot V an diesem Abend mit „Destiny“ und „Magic Maker“ auch zwei sonst eher selten gespielte, aber interessante Nummern vom Nightbreaker-Album aus. Aus der ganz frühen Zeit erklingt der Narita-Titeltrack leider nicht, aber „Warrior“, mit dem Mark Reale anno 1977 seiner Zeit gaaaanz weit voraus war, steht im Set, verwandelt das sowieso schon bestens gelaunte und fröhlich mitsingende Auditorium endgültig in eine feierfreudige Menge und zeigt allen Zweiflern, wie lebensbejahend, frisch und energiereich das, was man Jahre nach der Komposition dieses Songs als Melodic Speed Metal zu bezeichnen begann, auch heute noch, im Alter von 42 Jahren, ist und noch über Äonen bleiben wird. Und über eine Nummer wie den Thundersteel-Titeltrack noch lobende Worte zu verlieren hieße die sprichwörtlichen Eulen nach Athen zu tragen – sollte man theoretisch meinen: Praktisch sind an diesem Abend vielleicht 50, 60 Getreue anwesend, der Rest der metallischen Welt weiß solch exorbitante Qualität (die es im musikalischen Sinne auch unter den schwierigen Soundbedingungen dieses Abends bleibt) offenbar nicht mehr zu schätzen. In einer gerechten Welt würden Riot V vor einer fünfstelligen Besucherzahl in der Arena zu Leipzig spielen und in einer zumindest halbwegs gerechten Welt wenigstens vor einer vierstelligen Zahl im großen Hellraiser. Aber wer nicht da war, hat einen denkwürdigen Gig verpaßt, der mit zwei Zugaben endet (paritätisch einmal ganz neu, einmal ganz alt) – und wie geschrieben: Von Todd Michael Halls stimmlichen Qualitäten muß man sich nochmal unter günstigeren akustischen Verhältnissen ein Bild machen, wenn sich denn eine Gelegenheit ergibt. Setlist Riot V: Armor Of Light Flight Of The Warrior Bring The Hammer Down On Your Knees Metal Soldiers 49er Destiny Johnny’s Back Storming The Gates Of Hell Bloodstreets Take Me Back Angel’s Thunder, Devil’s Reign Magic Maker Heart Of A Lion Swords And Tequila Warrior Thundersteel -- Victory Road Racin’ Roland Ludwig |
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