Auferstehung der Kunstfabrik: Factory Of Art spielen, supportet von Squealer, in Leipzig ihren ersten Gig seit 13 Jahren
Factory Of Art sind die Band, welche der Rezensent in den Neunzigern am häufigsten live gesehen hat, bevor sie im neuen Jahrtausend erst von Vicki Vomit und der dann von der Münchener Freiheit und zwischenzeitlich auch von Nightwish überholt wurden (rechnet man die Orchester mit in die Wertung, hält allerdings das Gewandhausorchester den Platz an der Sonne). Das Sextett aus der Kunstfabrik stellte seinerzeit den Leipziger Platzhirsch in Sachen progressiven Power Metals dar und wurde daher gern als lokaler Supportact herangezogen, wenn große Traditionsmetalacts in der Stadt gastierten, was damals noch deutlich häufiger vorkam als etwa in den diesbezüglich deutlich dürreren Nullerjahren. Der Rezensent erinnert sich noch heute gern an legendäre Konzerterlebnisse wie das von Factory Of Art supportete Package Gamma Ray/Morgana Lefay anno 1995 im Anker zu Leipzig – bis heute einer der besten Metalgigs, denen er je beiwohnen durfte. Bisher letztmalig sah er Factory Of Art im November 2004 und geht mit dem von Kollege Tobias Audersch verfaßten und auf www.crossover-netzwerk.de nachzulesenden Review über weite Strecken d’accord. Zwei Jahre später gab die Band bekannt, ihre Aktivitäten unter dem alten Namen einzustellen – einige Ex-Mitglieder gründeten später allerdings eine Rock-/Metal-Coverband namens Factory Under Cover, die auch in der optischen Gestaltung die alte Linie weiter verfolgte und irgendwann mal auf die Idee kam, gelegentlich auch den einen oder anderen alten Factory-Of-Art-Song in die Setlisten aufzunehmen. Das kam offensichtlich gut an und versetzte beispielsweise den Rezensenten im August 2019 beim Benefizkonzert für den an Krebs erkrankten Ex-Factory-Of-Art-Gitarristen Joe F. Winter in einen 25 Jahre verjüngten Zustand, als Factory Under Cover ihren dortigen Set mit „Never Dying Hero“, dem Opener des Factory-Of-Art-Debütalbums Grasp!!, eröffneten (siehe Review auf diesen Seiten). Von diesem Zustand war es nur noch ein kleiner Schritt, nach dreizehn Jahren Factory Of Art auch offiziell wieder aufleben zu lassen, und zwar mit der gleichen Besetzung wie Factory Under Cover, die eine Art „Best Of“ aus verschiedenen Factory-Of-Art-Besetzungen darstellt, die früher so nie gemeinsam gespielt hat, was aber nur die allerpenibelsten Authentizitätsfanatiker stören sollte. Der Auferstehungsgig findet an einem warmen Samstagabend statt, an dem kurz zuvor RB Leipzig dem scheinbar übermächtigen FC Bayern München ein 1:1 abgerungen hat, was dazu führt, dass sich in der Musikkneipe Tonelli’s auch etliche vom Spiel kommende und schon etwas angeheiterte RB-Anhänger einfinden, deren Interesse an der Musik sich in überschaubaren Grenzen hält (da hätten auch Britney Spears oder Andreas Gabalier auf der Bühne stehen können, die Reaktionen wären identisch gewesen) und die den „echten“ Musikliebhabern daher eigentlich nur den wenigen zur Verfügung stehenden Platz wegnehmen – nach dem Supportact sind die meisten von ihnen allerdings wieder verschwunden. Selbiger Supportact hört auf den Namen Squealer – und es sind tatsächlich die altgedienten Hessen und nicht etwa L.E. Squealer, die Factory-Of-Art-Strippenzieher Marco um die Jahrtausendwende auch mal unter seinen Fittichen hatte und die zwar auch schon längst verblichen sind, aber man weiß ja nie, wer sich aktuell so alles wiedervereinigt. Die Hessen wiederum hatte der Rezensent über ein Jahrzehnt lang überhaupt nicht auf dem Schirm – die aktuellste Scheibe, die er von ihnen kennt, ist Confrontation Street aus dem Jahr 2006, nach dem Unfalltod von Ur-Sänger Andreas „Henner“ Allendörfer unter dem Bandnamen Squealer A.D. erschienen. Factory Of Arts Debüt erschien weiland beim von Henner gegründeten Label AFM Records, und beide Bands spielten in der ersten Hälfte der Neunziger etliche gemeinsame Gigs, den letzten am 11.11.1995 und nun also, knapp 24 Jahre später, wieder einen. „Painful Lust“, Opener des 2002er Under The Cross-Albums, eröffnet den Gig und läßt eine Zeitreise in die Vergangenheit erhoffen, die in der reichlichen Stunde Spielzeit denn auch tatsächlich gewährt wird, ergänzt allerdings um etliche neue Songs vom 2018er Album Behind Closed Doors, die sich allerdings problemlos in den Set einfügen, ob es sich nun um schnelle thrashlastige Nummern oder Midtempostampfer mit Barockzitaten in der Gitarrenarbeit handelt. Auffällig ist allerdings trotzdem, dass Squealer zunächst eher gemäßigte Power-Metal-Nummern auspacken und die drei, vier etwas heftigeren Songs an der Grenze zum Thrash eher in der zweiten Sethälfte stehen, vom erwähnten 2018er Neuling abgesehen. Die Spielfreude stimmt, und zudem hat das Quintett mit seinem neuen Sänger einen Glücksgriff getan: Der Mann kann bedarfsweise heftig shouten, aber zumeist bedient er klare höhere Power-Metal-Lagen und macht dort über weiteste Strecken eine exzellente Figur, wobei auch die beiden Gitarristen ihre Backings paßgenau setzen, obwohl der eine mit seinem seltsamen Hut optisch irgendwie so gar nicht zum Rest passen will. Vom Platz des Rezensenten aus ist allerdings ohne größere Verrenkungen sowieso nur die Hälfte der Bühne sichtbar, wo der andere Gitarrist, der Bassist und gelegentlich der Sänger zu finden sind – die andere Seite bleibt hinter zwei großen Säulen verborgen. Zum gewissen Problem wird der Sound: Der eher kleine Raum ist bekanntermaßen im metallischen Sinne nicht einfach zu beschallen, aber der Soundmensch schafft es bei Squealer nach zwei, drei Songs, den bis dahin noch wie ein Fremdkörper wirkenden Baß organisch einzubinden, so dass ein erstaunlich klares Soundgewand in angenehmer Lautstärke entsteht, wie es besser in dieser Räumlichkeit vermutlich nicht machbar ist. Auch bei erhöhten Schlagzahlen des Drummers bleibt diese Klarheit bis ins zweite Setdrittel erhalten, und der Schachzug, danach die Lautstärke zu erhöhen, wird prompt mit Einbußen bei dieser Klarheit bestraft, wenngleich das Ganze bis zum Setende immer noch recht gut durchhörbar bleibt. Selbiges Setende sollte eigentlich vom etwas epischer angehauchten „The Circle’s Shuts“ gebildet werden, aber die Hessen spielen die Zugabe „Liar“, einen ganz alten Klopfer vom 1995er Albumzweitling Wrong Time, Wrong Place?, dann doch noch gleich im Anschluß und ernten in der Gesamtbetrachtung verdienten Applaus. Factory Of Art eröffnen wie Factory Under Cover drei Wochen zuvor mit „Never Dying Hero“, dem Grasp!!-Opener, und damit gewinnen sie bereits auf ganzer Linie: Der Überraschungseffekt ist beim Rezensenten logischerweise weg, aber das macht nichts, denn das Quintett ist in bester Spiellaune und der Sound zumindest noch so transparent wie im hinteren Squealer-Drittel, dem auch die Lautstärke ungefähr entspricht. Zudem hat der Rezensent mittels einer kleinen Sitzgelegenheitenanordnungsänderung (die RB-Fans hinter ihm sind mittlerweile verschwunden) aus einem schwierigen Säulen- einen hervorragenden Balkonpanoramaplatz herstellen können, so dass nur noch eine Säule in seinem Sichtfeld steht, nämlich die direkt vor der Bühne befindliche, hinter der in seiner Sichtachse das Drumkit aufgebaut ist und sich gelegentlich Sänger Petri aufhält – der Terminus „gelegentlich“ läßt schon erahnen, dass der Fronter trotz begrenzten Bühnenplatzes stets in Bewegung ist und manchmal gar an der Grenze zum Overacting steht, während Keyboarder Gunter hinter seiner Tastenreihe fleißig bangt oder gar hüpft, wenn er gerade nicht spielen muß. Bassistenhüne Ron bangt etwas dezenter als früher, und Gitarrist Thoralf wandert bisweilen ruhig über die Bühne, als könne ihn kein Wässerchen trüben. Wen der Name Gunter soeben verwundert hat: Ja, es ist der Factory-Of-Art-Ur-Sänger – die aktuelle Besetzung vereint also beide Frontleute, welche die Band in ihren früheren anderthalb Jahrzehnten Aktivität hatte, und damit kann gesanglich aus dem vollen geschöpft werden, zumal sich Ron an den gelegentlichen Gangshouts beteiligt und Thoralf an bestimmten Stellen das gesangliche Tüpfelchen aufs i setzt. Erstklassig etwa, wie sich Petri, Gunter und Thoralf in den Strophen von „Story Of Pain“ stimmlich ineinander verschränken. Da alle Gesangsmikrofone ziemlich dominant abgemischt sind, kann man den gesanglichen Vortrag auch exzellent wahrnehmen, was leider nur bedingt auf Thoralfs Gitarrenkünste zutrifft: Rhythmusgitarre und Schlagzeug stehen sich klanglich nicht selten im Wege, auch einige der Leads wie das furiose flitzefingerige im Finale von „Temple Of Doom“ kann man eher optisch beim Blick aufs Griffbrett wahrnehmen als hören. Wenn man den Gitarristen allerdings hört, dann überzeugt auch er auf ganzer Linie, und das Experiment, die deutlich auf zwei Gitarren ausgerichteten Factory-Of-Art-Songs nur mit einer zu spielen, darf als prinzipiell geglückt bezeichnet werden: Ein, zwei Übergänge beispielsweise in „Until The End Of Time“ könnten noch flüssiger ausgefeilt werden, aber generell stimmt die Linie, wenn man wiederum nicht zu den allerpenibelsten Authentizitätsfanatikern zählt: „Historische Aufführungspraxis“ ist das, was die aktuellen Factory Of Art betreiben, natürlich nicht, wenngleich man durchaus beeindruckt feststellt, was Gunter auch heute noch für Stimmhöhen erreicht. Für zwei Songs übernimmt Ur-Drummer Torsten Wolf Ralles Drumkit, was aber der einzige Gastbeitrag an diesem Abend bleibt – „The Healing Part II“ und andere Duette bestreiten Petri und Gunter, Gastsängerinnen gibt es diesmal nicht. Besagtes „Until The End Of Time“ steht an zweiter Stelle im Set, der sich quer durchs Material der beiden Alben Grasp!! und The Tempter fräst, ergänzt durch „Silent Crying“ von der Point Of No Return-EP. Auch alle drei Songs von der Story Of Pain-EP befinden sich im Set, wobei sie allesamt allerdings auch auf anderen Tonkonserven verewigt sind: „The Mass“ und „Twilight Zone“ markieren neben dem Titeltrack weitere Highlights des Sets, und nachdem dieser endet und Zugaben eingefordert werden, überlegt man, welcher der ganz alten Klassiker eigentlich noch fehlt. Noch bevor man auf das richtige Ergebnis kommt, erwähnt Petri in einer seiner gewohnt leicht abwegigen Ansagen „Wings Of Destiny“, und das ist natürlich die richtige Lösung, gefolgt noch von einer zweiten Zugabe. Als Factory Under Cover verfügt das Quintett ja über ein breites Repertoire an Coversongs und entscheidet sich als Factory Of Art an diesem Abend für Queensryches „Eyes Of A Stranger“ vom Operation: Mindcrime-Album, das die Klasse der Bühnenaktiven ein weiteres Mal unterstreicht: So weit entfernt von Geoff Tate zu dessen guten Zeiten liegt Gunters Stimme hier nämlich gar nicht. Eine gelungene Auferstehungsparty also – und es bleibt zu hoffen, dass ihr weitere Taten folgen werden: Zwar sind alle Mitglieder anderweitig so eingespannt, dass Factory Of Art eine Gelegenheits-Wochenendband bleiben werden, aber auch in diesem Zustand sollte sich hoffentlich dann und wann die Gelegenheit ergeben, sie auch einmal auf etwas größeren Bühnen livehaftig zu begutachten. Setlist Factory Of Art: Never Dying Hero Until The End Of Time Long Way To The Hight Streets Of Violence No Tears Silent Crying Temple Of Doom Solitary Soldier The Healing Part II The Mass The Other Side Story Of Pain Twilight Zone -- Wings Of Destiny Eyes Of A Stranger Roland Ludwig |
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