Lars Stoermer Quartett
Rondgard
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Jazz ist eine Musik, die von Beginn ihres Entstehens einem ständigem Wandel unterworfen ist. Der Jazz der Zwanziger klingt nicht wie jener der Fünfziger und der der Sechziger nicht wie der der Siebziger. Da stellt sich die Frage dann doch: Was hat sich seit den Siebzigern wirklich wesentlich verändert? Zunächst war Jazz eigentlich eine Popularmusik, im Laufe der Zeit, spätestens ab dem Bebop, entwickelte er sich zu einer stark elitären Bewegung, die nicht für jedermann/frau Zugang bot. Ab den achtziger Jahren kam nach und nach auch eine starke Rückbesinnung auf. Der Begriff „Neo“ spielte dabei eine wesentliche Rolle Und so griff man viele alte Tugenden auf, es begann wieder verstärkt zu swingen, Hard Bop erlebte eine Art Renaissance, der Ableger Jazz Rock wandelte sich nach und nach zu dem großen Topf langeweilender Fusion. Doch wo waren letztlich das bluesige Feuer von Big Bands wie von Count Basie geblieben, wohin versickerte der Free Jazz? Und so kam, was vielleicht kommen musste, Jazz wurde oft sehr akademisch, Kopf-Musik, nicht mehr von der Straße, nicht mehr aus der Seele. Vornehmlich kam gerade diese Entwicklung aus deutschen Landen, andere europäische Jazz-Musiker integrierten da schon eher folkloristische Elemente ihres jeweiligen Landes.
So, und nun sitze ich hier und höre mir das Lars Stoermer Quartett an. Lars Stoermer, der Saxofonist, geboren 1971, studierter Musiker, spielte Soul, Jazz, Rock und Pop. Ich bin froh, dass er mit Rondgard aufzeigt, dass auch heute der Jazz noch Seele haben kann, und das auch in Deutschland. Mit “Shall I compare thee to a summer's day“ schöpfen die vier Musiker auch gleich aus verschiedenen Stilelementen des Jazz. Es groovt wie in den Sechzigern, Horace Silver & Co. seien zu nennen, aber auch eine leicht modale Stimmung des Miles Davis jenes Jahrzehnts schimmert durch, dazu höre ich die ersten Ausflüge in den Jazz Rock, auch hier sei stellvertretend noch einmal Davis genannt, zeitlich etwas vor seinem Werk “Bitches Brew“. Positiv auffällig ist die Energie, die von den vier Musikern mit Leidenschaft erzeugt wird. Gleich im Opener ist nichts normal, Stile werden benutzt und zitiert, die Musik verliert sich zwischendurch, eine gedankliche Pause mit Saxofon und Piano, bevor man sich langsam wieder formiert. Und das geschieht nicht auf die manchmal erschreckend kalte akademische Art und Weise, sondern mit viel Gefühl, mit Seele sozusagen.
Und dieses gilt für die ganze Platte, eine bunte Palette von Rhythmen, strukturellen Gestaltungen, spontan wirkenden und sofort umgesetzten Ideen, Überraschungen aus dem Augenblick heraus, kurzum, Unterhaltung, wenn auch nicht im Sinne von Unterhaltungsmusik. Diese Unterhaltung muss man sich erarbeiten, dabei bleiben, den Entwicklungen und Veränderungen folgen, und dabei genießen. Die Musik ist zart und schroff gleichermaßen, romantisch und frei, melancholisch, strahlend und funkelnd.
Dabei kann und muss man sich bei jedem neuen Song auf neue Überraschungen und Wandlungen einstellen. Und diese beziehen ihre Ursprünge eben nicht nur aus dem Gestern, sondern auch aus dem jetzt, so wenn sich etwa knarzende und irgendwie nervig wirkende elektronische Klänge mit dem Saxofon zanken und das Piano den guten alten Swing dazu einwirkt, bevor es deftig rockt, man sollte sich hierzu unbedingt “Masagn“ zu Gemüte führen, ein wunderbares Beispiel für die schillernde Brillanz dieser Musik. Die Einheit des Ensembles ist positiv hervorzuheben, man scheint sich zu verstehen, Ideen werden gemeinsam entwickelt, man geht aufeinander zu und spielt sich die Bälle zu, nimmt sie auf und lässt sie tänzerisch kreisen, nur so funktioniert diese wirklich erfrischende Wirkung dieses zeitgenössischen Jazz‘, eines Jazz‘, der darauf hoffen lässt, dass er frisch bleiben wird, sich trotz aller Wandlungen neu erfinden oder erweitern oder neu interpretieren kann.
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 Shall I compare thee to a summer's day
2 Rondgard
3 New changes
4 Masagn
5 Crépuscule
6 Meiderich
7 Liebes Lied
8 Betriebsarzt
9 Verlaufen
10 Faltiger Hund
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Besetzung |
Lars Stoermer (tenor sax, bass clarinet)
Eike Wulfmeier (piano, Rhodes, melodica)
Clara Däubler (bass)
Raphael Becker-Foss (drums, glockenspiel, live-loops, electronics)
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