Musik an sich


Reviews
Bach, C. P. E. (Rémy)

Hamburger Quartalsmusiken


Info
Musikrichtung: Frühklassik

VÖ: 26.07.2010

(cpo / jpc / 2 CD / DDD / 2009, live / Best. Nr. 777594-2)

Gesamtspielzeit: 99:30

Internet:

Himmlische Cantorey

Ludger Rémy



QUARTALSNOTEN

Dass die sog. Quartalsmusiken besonderen Charakter hatten, mag man schon daran ermessen, dass sie nicht - wie andere Kantaten - zum einmaligen sonntäglichen Gebrauch im Gottesdienst konzipiert wurden, sondern anlässlich der großen Kirchenfeste (Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Michaelistag) reihum in allen fünf Hamburger Hauptkirchen erklangen. Als erste musikalische Einlage in den Gottesdiensten besaßen sie naturgemäß eine größere Besetzung samt Pauken und Trompeten und somit einen feierlichen Charakter. Die Texte waren eher allgemein gehalten, da durch das "Herumreichen" der Musik über eineige Wochen das eigentliche Kirchenfest, auf das sie sich beziehen sollten, unter Umständen schon etwas zurücklag.
Die herausgehobene Bedeutung der Quartalsmusiken hielt Carl Philipp Emanuel Bach, seines Zeichens Musikdirektor der Kirchen der Hansestadt, nicht davon ab, sich für die Werke bei eigenen, teils auch bei fremden Kompositionen steinbruchartig zu bedienen. Es handelt sich also meistenteils um sog. Pasticci. Eine damals übliche und auch verständliche Verfahrensweise, wenn man bedenkt, dass Bach im Laufe eines Kirchenjahres rund 130 geistliche Kompositionen zu liefern hatte. Der Qualität und dramaturgischen Stimmigkeit der Quartalsmusiken hat dies dann auch keinen Abbruch getan. Bei den hier eingespielten Werken überwiegt zudem durchweg deutlich der Anteil der eigens komponierten Stücke. Ihre erste Aufführung erlebten alle vier Kantaten zwischen 1769 und 1780. Sie entstammen also der späten Schaffensperiode des Hamburger Bach, decken aber einen beachtlichen Zeitraum ab. Bach greift in der Konzeption meist noch auf barocke Vorbilder zurück und übt hinsichtlich der sonst v.a. in seiner Instrumentalmusik oft zu findenden, modernen Ansätze des Sturm und Drang auch in der Ausführung Zurückhaltung. Den festlichen Chören und angestammten Chorälen werden Arien entgegengesetzt, die bei vorwiegend gefälligem, stark melodiösen Zug den Charakter andachtsvoller Ruhepunkte einnehmen.

Echte Perlen der Musica sacra Hamburgensis zwischen 1600 und 1800 also, um deren Wiederentdeckung sich die ZEIT-Stiftung in Kooperation mit Deutschalndradio Kultur und dem Label cpo seit geraumer Zeit verdient macht.
Der von Ludger Rémy geprägte, stets wiedererkennbare Klang seines Ensembles Les Amis de Philippe ist in diesem klanglich ausgewogenen Mitschnitt vom Leipziger Bachfest 2009 einmal mehr angenehm licht und klar pointiert. Trotz des eindrucksvollen Einsatzes der Pauken und Trompeten wird der homogene, ausdrucksstarke Gesang der mit nur acht Sängern besetzten Himmlischen Cantorey nie übertönt. Dass als Aufnahmeort kein Kirchenraum, sondern das in der Akustik trockenere Alte Leipziger Rathaus gewählt wurde, mag sich hierbei positiv auswirken. Die kleine Anzahl der Sänger entspricht in etwa dem, was Bach üblicherweise zur Verfügung hatte, während das Orchester in der Einspielung sogar geringfügig größer als damals üblich besetzt ist. Dessen Spiel bleibt dennoch immer schlank, geschmeidig und agil.
Soweit die Sänger solistisch hervortreten, geschieht dies souverän und gänzlich unpräntentiös. Die Arien werden so tatsächlich zu Momenten der Betrachtung und zu einem hohen musikalischen Genuß, wie zum Beispiel bei Jan Kobows Vortrag der ruhig schwebenden Arie "Wie gar so tief sind deine Gedanken" (H 817) - übrigens eine Recycling aus dem Magnificat (H 772).



Sven Kerkhoff



Trackliste
CD I
1-10 Nun danket alle Gott, H 805 25:36
11-18 Herr, lehre und tun, H 817 2:20

CD II
1-8 Siehe! Ich begehre deiner Befehle, H 812 23:43
9-15 Ehre sei Gott in der Höhe, H 811 28:07
Besetzung

Himmlische Cantorey
Les Amis de Philippe

Ludger Rémy: Ltg.


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