Vic Chesnutt
At the cut
Der Mut des Feiglings – größer als alle anderen ...
Mit diesem Zitat von Frank Norris (US-Schriftsteller aus dem 19. Jahrhundert) beginnt das neue Vic Chesnutt-Album At the cut; der Nachfolger des vor zwei Jahren veröffentlichten North star deserter. Und mit diesem Werk hat sich der verschrobene Songwriter wieder einmal selbst übertroffen! Der Vorgänger war schon ein äußerst starkes Stück Musik, aber hier klingt er noch eindringlicher, persönlicher und letztendlich intensiver - sofern das überhaupt noch geht. Denn was den gehandicapten Chesnutt seit jeher auszeichnet, ist seine grundehrliche, sensible, zerbrechliche und auf diese Weise sehr starke Art. Er trägt definitiv sein Herz auf der Zunge und wandelt seine düsteren, aber doch nicht verzweifelten Gedanken in pure musikalische Emotionen um. Und mögen seine Texte auch noch so philosophisch und nicht selten auch surreal sein, man fühlt mit, wenn er bei „Flirted with you all my life“ dem Tod ins Auge blickt und ganz demütig „Oh death, I’m not ready“ singt oder er bei „It is what it is“ sinngemäß „I am a Monster like Quasimoto, but it is what it is“ dichtet – stets mich brüchiger Stimme, wie sie nur jemand besitzen kann, der schon einiges in seinem Leben erlebt hat.
Musikalisch werden die einzelnen Songs adäquat und der jeweiligen Stimmung entsprechend umgesetzt, die auch über das übliche Singer-Songwriter-Schema hinausgehen und einen starken Indierock-Charme aufweisen. Hier vibriert und knackt es, wenn garstige Gitarren die Musik anschieben („Philip Guston“), zarte Streicher verdrängen und das ganze plötzlich zum explodieren bringen, wie beim wahnsinnig einnehmenden „Coward“. Dem gegenüber stehen dann auch wieder positiv dahin schleichende und melodische Stücke wie das sehnsuchtsvolle „Chinaberry tree“ oder das countryartige „Concord country jubilee“. Hier scheint die Welt wieder in Ordnung, im Gegensatz zur geisterhaften Jazzballade „We hoverd with short wings“. Ganz groß sind dabei auch das aufwühlende und voluminöse „It is what it is“ und das, trotz seines Themas, fröhlich und lebensbejahende „Flirted with you all my life“. Viel besser, tiefer und Tränen rührender als dieses kann Musik auch in ihren besten Momenten nicht klingen.
Vic Chesnutt hat auch bei At the cut wieder jede Menge instrumentale Unterstützung bekommen, um seine Lieder den richtigen Schliff zu geben. Fein eingearbeitete Streicher reiben sich an kratzigen Gitarren, während Orgeln und Piano für die richtige Wärme sorgen und das Schlagzeug stets das richtige Tempo findet. Doch am Ende steht dann doch Vic und seine Gitarre im Vordergrund und zeigt einmal mehr, dass es für ein gutes Stück nicht viel mehr als drei Akkorde und die Wahrheit braucht. Denn meist sind dies die besten Momente, wie die beiden spärlichen Lieder „When the bottom fell out“ und „Granny“ beweisen. Speziell bei dieser Abschlussnummer hat man einen Kloß im Hals, sobald der CD-Player verstummt.
Die Tatsache, dass At the cut kein glatt gebügeltes Digitalprodukt ist, sondern eine natürlich klingende Aufnahme, macht es nur noch besser. Jeder Ton der Instrumente und die Stimme klingen, als würden sie direkt neben einem musizieren. Einmal hört man sogar das Bellen eines Hundes im Hintergrund. Perfektion hat also nicht immer etwas mit Technik zu tun, sondern mit Authentizität. Und diese findet man hier zentnerweise. Einfach grandios dieses Album von einem der unterschätztesten Künstler unserer Zeit!
Mario Karl
Trackliste |
1 | Coward | 5:16 |
2 |
When the bottom fell out | 3:10 |
3 |
Chinaberry tree | 4:10 |
4 |
Chain | 2:59 |
5 |
We hoverd with short wings | 5:14 |
6 |
Philip Guston | 3:27 |
7 |
Concord country jubilee | 4:32 |
8 |
Flirted with you all my life | 4:41 |
9 |
It is what it is | 6:58 |
10 |
Granny | 3:25 |
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Besetzung |
Vic Chesnutt (Guitar, Singing)
Thierry Amar (Contrabass)
Chad Jones (Guitar)
Efrim Menuck (Guitar, Keyboards, Singing)
Jessica Moss (Violin, Singing)
Nadia Moss (Organ, Piano, Singing)
David Payant (Drums, Keyboard, Singing)
Guy Piciotto (Guitar)
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