Musik an sich


Editorial

„Spanische Gitarrenmusik senkt den Blutdruck und verringert die Hirnaktivität." Aha! Und was ist dann mit den Kastagnetten? Im Ernst: Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Erkenntnissen zu den medizinischen Wirkungen der Musik. Dass Musik die Stimmung beeinflusst, ist eine Binsenweisheit. Schon Pythagoras wusste darum. Einen durch wildes Aulosspiel zu erotischer Raserei aufgestachelten Jungen soll er durch einen Tonartwechsel wieder zu Verstand gebracht haben. Ein Fall für die allopathische Musiktherapie. Später ging Aristoteles eher von einer homöopathischen Wirkung aus, wenn er z. B. empfahl, traurige Stimmungen mit trauriger Musik auszugleichen. Jüngste Forschungsergebnisse bestätigen aber nicht nur messbaren Einfluss der Musik auf das Gemüt, sondern auch auf physiologische Prozesse: Walzerklänge führen zu erhöhter mentaler Aufmerksamkeit. Ruhige Musik vermag im Kombination mit muskulären Übungen Spannungskopfschmerzen zu lösen. Auch den Blutzuckerspiegel kann man damit senken. Patienten, die während eines operativen Eingriffs beruhigender Musik lauschten, waren körperlich stabiler und empfanden auch danach weniger Schmerzen, weil der Hormonhaushalt günstig beeinflusst wurde.

Interessant dabei ist, welche Musik wie wirkt. Grundsätzlich ist ruhige Instrumentalmusik besser für den medizinischen Einsatz geeignet, denn Gesang und starke Rhythmen regen an und treiben Stresshormone und Blutdruck in die Höhe. Maria Callas, das drängende Tatatataaa im Kopfsatz von Beethovens 5. Sinfonie oder deftige Metalsounds sind also eher ungünstig. Allerdings: Wer es gewohnt ist, dabei zu entspannen, den werden diese Klänge wohl auch im OP kaum groß aufregen...

Dabei macht es durchaus einen Unterschied, ob der Patient selbst Musik auswählen kann oder vom Arzt verordnet bekommt. Die vom Fachmann festgelegte Musik wirkte offenbar stärker, selbst wenn das Genre identisch mit den Vorlieben des Patienten ist -- Da schlägt wohl auch ein Placebo-Effekt zu Buche. Ein Hardrock-Fan, dem man während der Behandlung Klassik vorspielte, musste zugeben, dass er solche Musik privat zwar niemals hören würde. Doch in dieser speziellen Situation wäre sie genau richtig gewesen und hätte ihn wirklich angenehm entspannt. Einzig jugendliche HipHop-Anhänger, die sich sehr stark über ihre Musik definieren, haben sich als ziemlich resistent erwiesen. Da ist die pubertäre Sozialisation wohl doch stärker als alle ärztliche Autorität.

Wer diesen Monat durch unser Magazin surft, dürfte manche Anregung für die Zusammenstellung seiner persönlichen musikalischen Hausapotheke finden. Im gut bestücken Review-Teil wurden wieder nahezu sämtliche Genres auf Herz und Nieren getestet. Berichte zu Joseph Haydns Oper "Armida", der sinistren Occult Hard Rock Band "The Devil's Blood" oder über religiösenSweet Soul aus den Südstaaten stellen wieder einmal extreme Wirkstoffkombinationen vor.

Euer Georg Henkel