Anonyme mittelalterliche Komponisten (Pérès)
Missa Gotica (14. Jhd.) für den päpstlichen Hof in Avignon (Manuskripte von Toulouse, Barcelona und Apt)
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Info |
Musikrichtung:
Mittelalter vokal
VÖ: 01.092.009
(Zig-Zag Territoires / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2008 / Best. Nr. ZZT090601)
Gesamtspielzeit: 55:00
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STRENGE UND PRACHT
In voller Besetzung klingt das Ensemble Organum wie ein prächtiges Glockengeläut. Grund dafür sind nicht nur die kräftigen obertönigen Timbres der sechs Männerstimmen, sondern auch die üppigen Verzierungen, mit denen sie die notierte Musik bereichern.
Auch dieses Mal führt die musikalische Reise des französischen Ensembles in die Vergangenheit, wenngleich nicht so weit zurück wie bei der Expedition zum Altrömischen Choralgesang aus dem 7. Jahrhundert. Der Leiter der Gruppe, Marcel Pérès, hat aus diversen Quellen mehrstimmiger Musik des 14. Jahrhunderts eine repräsentative Missa Gotica zusammengestellt, wie sie seinerzeit am Hof von Avignon in der päpstlichen Kapelle gesungen worden sein könnte. (Wieso der Introitus vor der Entlassung erklingt, wird leider nicht erklärt.) Der Titel ist natürlich ein modernes Label – die damaligen Komponisten hätten ihre Kunst keinesfalls als mittelalterlich, sondern als absolut neuartig, ja kühn empfunden. Die Entwicklung kontrapunktischer und rhythmischer Konstruktionen, durch die es möglich wurde, die musikalische Zeit geradezu mathematisch-geometrisch zu gestalten, war damals die reinste Avantgarde und provozierte in ihrer späteren Verfeinerung sogar päpstliche Kritik.
Gerahmt von den gregorianischen Propriumsgesängen zum Pfingstfest erklingt u. a. das monumentale Kyrie dieser fiktiven „Gotischen Messe“ aus einem anonymen Toulouser Manuskript oder das nicht minder umfangreiche Gloria aus einem Manuskript der Kathedrale von Apt. Der dichte dreistimmige Satz wirkt nicht nur durch die kompakte Faktur so majestätisch. Auch die erdig-bronzene Tongebung und das gemessene Tempo der Ausführenden haben ihren Anteil daran. Die ruhigen Tempi, so Pérès, seien für hohe Feiertage charakteristisch gewesen und hätten überhaupt erst den Raum für ausladende Verzierungen geschaffen. Diese seien kein bloßes Beiwerk, sondern wesentlicher Bestandteil der Aufführungspraxis gewesen. Hört man, mit welcher Hingabe, ja Inbrunst die Sänger hier zu Werke gehen und z. B. zweistimmige Passagen emphatisch ausschmücken, dann erübrigen sich eigentlich weitere musikhistorische Belege. Das ist erhebende Musik, die viele Versuche moderner Komponisten, an solche „einfachen“ und „mystische“ Klänge anzuknüpfen, eher zahm und geschmäcklerisch erscheinen lässt. Eine perfekte Synthese von struktureller Strenge und byzantinischer Pracht. Darüber hinaus überzeugt das Projekt durch die Souveränität der Interpreten.
Georg Henkel
Trackliste |
1 | Kyrie (Toulouse) | 8:39 |
2 |
Gloria (Barcelona/Apt) | 9:30 |
3 |
Alleluia | 6:11 |
4 |
Credo (Barcelona/Apt) )9:05 |
5 |
Praefation | 2:47 |
6 |
Sanctus (Toulouse) | 3:51 |
7 |
Offertorium | 3:49 |
8 |
Agnus Dei (Toulouse) | 2:25 |
9 |
Introitus | 2:57 |
10 |
Ite missa est | 2:16 |
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Besetzung |
Ensemble Organum: Jean Christophe Candau, Gianni de Gennaro / Jean Etienne Langianni, Luc Terrieux / Antoine Sicot, Marcel Pérès (auch Leitung)
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