Grisey, G. (Pomárico - Nußbaum)
Le Temps et l’Écume – Les Chants de l’Amour
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Info |
Musikrichtung:
Neue Musik Ensemble
VÖ: 18.07.2008
(Kairos / Harmonia Mundi / SACD hybrid 2007 / Best. Nr. 0012752KAI)
Gesamtspielzeit: 55:50
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PARADOXE VON RAUM UND ZEIT
Le Temps et l’Écume (zu deutsch „Die Zeit und der Schaum“) enthält Momente von geradezu gleißender Qualität. Die Musik erschließt sich durch die raffinierte Kombination instrumentaler und elektronischer Klänge spektrale Klangräume in brillanten Höhen. Das Ohr wird im wahrsten Sinne geblendet, wobei die akustischen Lichtbögen eine manchmal schon schmerzhafte Intensität erreichen. In Gérard Griseys Komposition schwimmen diese strahlenden Objekte phantastischen Schaumgebilden gleich auf den gemessenen Wellenbewegungen, mit denen die Musik rhythmisiert ist. Ein wogender Klangozean breitet sich da aus, in dem die Klänge an- und abschwellen, sich ausdehnen und zusammenziehen. Wie so oft bei Grisey ist das Maß der musikalischen Bewegungen der menschliche Atem. Ausgangspunkt des Stücks ist eine samtig-dunkle, in rhythmischen Verschiebungen gärende Klangballung der Fellschlaginstrumente, von denen sowohl die hohen, fluoreszierenden Figurationen wie auch die unterirdisch grollenden Entladungen im Bassregister abgeleitet werden: durch zeitliche Dehnung (Tiefe) und Verkürzung (Höhe). Wie immer sind die Details vom Komponisten mit exquisitem Gespür für die unterschiedlichen Timbres gestaltet.
Die drei Schichten der Musik hat Grisey der Insektenwelt, der Menschenwelt und der Welt der Wale zugeordnet. Und tatsächlich gibt an einer Stelle eine Klangformation, die an die unterseeischen Gesänge der Buckelwale erinnert, dabei aber ganz und gar komponierte Musik bleibt. Das ganze Stück dauert knapp 20 Minuten, aber es könnte sich ohne weiteres in die Unendlichkeit fortsetzen: eine poetische Vision von der Relativität der Zeit im Klangraum, die beim konzentrierten Hören durchaus ozeanische Empfindungen auszulösen vermag.
Bei Les Chants de l’Amour für 12 Stimmen und Tonband liefert die Formel ‚I love you’ das rhyhtmische, dynamische und auch melodische Gerüst für die 28 Abschnitte, die auf einer asemantischen Kunstsprache und literarischen Texte in 22 Sprachen beruhen. Eine „vox electronica“ vom Tonband, die mit den Anfang der 1980er Jahre am IRCAM in Paris entwickelten Computerprogramm „Chant“ erzeugt wurde, setzt dazu einen mysteriösen, manchmal verstörenden Kontrapunkt. Grisey inszeniert eine (unmögliche?) Maschinen-Mensch-Liebe. Die klar unterscheidbaren Abschnitte entwickeln sich bei aller internen Dramatik so übersichtlich, dass das Werk beim Hören zunächst keine großen Rätsel aufgibt. In seiner klaren Disposition und systematischen Erkundung von Klangmöglichkeiten erinnert es manchmal an eine mehr technische Studie zum Verhältnis von organischen und elektronischen Stimmen.
Die Ausführenden verdienen höchstes Lob sowohl für die handwerkliche Perfektion, mit der sie die hochschwierige Musik ausführen, wie auch die Musikalität und Hingabe, mit der sie musizieren. Vom Aufnahmeteam bestens betreut, entführen das WDR Sinfonieorchester Köln zusammen mit den Percussionisten vom Ensemble S unter Emilio Pomárico in Griseys klingenden Raum-Zeit-Paradoxe. Und die von Walter Nussbaum geleitete Schola Heidelberg macht aus den Liebesgesängen ein sinnliches Erlebnis.
Georg Henkel
Trackliste |
1 | 01 Le Temps et l’Écume | 20:27 |
2 |
02-06 Les Chants de l’Amour | 35:23 |
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Besetzung |
Schola Heidelberg
Ensemble S
WDR Sinfonieorchester Köln
Emilio Pomárico /Walter Nussbaum: Leitung
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