Francesconi, L. (Mälkki)
Etymo – Da Capo – A fuoco - Animus
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Info |
Musikrichtung:
Neue Musik Ensemble
VÖ: 13.06.2008
(Kairos / Harmonia Mundi / SACD hybrid 2006-2007 / Best. Nr. 0012712KAI)
Gesamtspielzeit: 69:08
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HÖRLUST
„Verstehendes Hören“. In der Neuen Musik ist die Möglichkeit zum sinnigen Nachvollzug dessen, was da erklingt, nicht immer einfach: Akustische Ereignisse, die (nicht nur für „ungeeichte“ Ohren) ohne innere Logik aufeinander folgen. Bei den Werken des 1956 geborenen italienischen Komponisten Luca Francesconi, die das Label Kairos in der gewohnten editorischen Sorgfalt und beeindruckenden Klangqualität vorlegt, gehört dagegen das verstehende Hören zum ästhetischen Credo.
Spannend ist, dass der Komponist dazu gerade nicht mit postmodernem Kuschelklang aufwartet, sondern sich mit seiner komplexen, auch sperrigen Musik zur Tradition westlicher Kunstmusik mit ihren reichen instrumentalen wie kompositionstechnischen Möglichkeiten bekennt. Möglichkeiten, die durch die Entwicklungen der 1950er bis 70er Jahren ungemein erweitert, aber, so der Komponist, nicht zu einer sinn-vollen Synthese mit einer "neuen Grammatik" zusammengeführt wurden. Ob dem wirklich so ist, darüber darf man streiten. Theorie hin oder her: An der Musikalität von Francesconis Schöpfungen, die auf dieser SACD vereint wurden, kann kein Zweifel bestehen.
Deutlich vernehmbar ist die Gegenwart der Ahnväter der musikalischen Avantgarde: Stockhausen, Boulez, Berio, Maderna & Co. Epigonal wirkt dennoch nichts. Die einstigen Repräsentanten der Avantgarde stehen für einen musikalischen Rationalismus, den der Komponist nicht leugnet, den er aber nicht für ausreichend hält. Musik ist für ihn mehr als ein Spiel mit abstrakten Formen und Strukturen. Für den Hörer muss ein roter Faden erkennbar sein und das Kunstwerk am Ende mit Sinn aufgeladen sein. Was untergründig geschieht, sozusagen im Maschinenraum der Musik, ist gewiss nicht unwichtig und bestimmt eine wesentliche Dimension der Komposition. Aber darin allein erschöpft sich deren Qualität nicht.
Und so pulsiert in Francesconis Werken jene ebenso irrationale wie lustbetonte dionysische Energie, die auch die Jazz- und Rock-Musik antreibt und sich in spektakulären Klangerfindungen oder ungebärdigen, bei aller Schärfe aber immer klangsinnlichen Eruptionen Bahn bricht. Dies alles, wie gesagt, ohne akustische Weichspüler. Zu-Mutungen gibt es also für auf Tonalität konditionierte Ohren genug. Aber man setzt sich ihnen gerne aus, weil Francesconis fantasiestrotzende Musik stets stimmig und vital klingt.
Nehmen wir das zweite Stück auf dieser Platte: Da Capo für neun Instrumente. Man glaubt nicht, was an Klangfülle und –farben in ihnen schlummert, bis man hört, was Francesconi daraus macht. Aus dem Ligeti-haften dichten Gespinst der Holzbläser zu Beginn entwickelt sich ein rasanter Kontrapunkt, in den die einzelne Instrumente in allen Regenbogenfarben leuchtende Klangspuren und Episoden einzeichnen. Gegen Ende dünnt der Satz immer mehr aus, die Musik schraubt sich in nachtschwarze Tiefen und ätherische Höhen. Das hat Tempo, Humor und eine klare Richtung und wird vom Ensemble intercontemporain unter der Leitung von Susanna Mälkki mit hinreißender Verve realisiert.
Ein Coup ist auch Animus für Posaune und Elektronik. Francesconi bzw. sein famoser Interpret Benny Sluchin lassen keine Klangmöglichkeit ungenutzt. Mit Hilfe der Elektronik kreiert Francesconi eine Super-Posaune mit eingebauter vox humana, Dinogebrüll und Sphärenharmonie. Das Instrument wispert, spricht, singt, stöhnt, röchelt, rauscht, heult, strahlt, trompetet, explodiert, gerne auch mehrstimmig. Das alles wirkt trotz der hohen Geräuschanteile sinnig und organisch. Ein Manierismus, der so beherrscht ist, dass er schon wieder zum Stil wird.
Die längste Komposition auf der Platte ist Etymo, bei der der Sopran von Barbara Hannigan mit elektronischen und instrumentalen Klängen verschmolzen wird. Wie bei Animus entsteht trotz wildester Kapriolen nie der Eindruck, dass bloß ein aufwändiges technisches Spielzeug vorgeführt wird. Francesconi erforscht hier, wie aus virtuosem, aber sinnfreiem Gestammel nach und nach Sprache entsteht. Das Werk beginnt mit einem temporeichen organisierten Chaos und endet mit verständlich rezititerten Zitaten aus einem Werk Baudelaires. Die Worte entwickeln sich gleichsam aus der klingenden Ursuppe, die der Komponist da angerührt hat, evolutionär heraus. Dabei gibt es immer wieder Episoden von großer, ja verführerischer Schönheit. Francesconi bekennt sich dazu, ohne sich ihr blind zu ergeben. Diese Spannung macht seine Musik so hörenswert.
Georg Henkel
Trackliste |
1 | Etymo (1994) | 25:23 |
2 |
Da Capo (1985-1986) | 14:20 |
3 |
A fuoco (1995) | 14:41 |
4 |
Animus (1995) | 14:44 |
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Besetzung |
Barbara Hannigan: Sopran
Pablo Márquez: Gitarre
Benny Sluchin: Posaune
IRCAM: Elektronik
Ensemble intercontemporain
Susanne Mälkki: Leitung
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