Musik an sich


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Musik verstehen - DIE MUSIKWELT DES BAROCK




Info
Autor: Morbach, Bernhard

Titel: Die Musikwelt des Barock. Neu erlebt in Texten und Bildern. Mit über 50 Werken auf CD-ROM

Verlag: Bärenreiter

ISBN: 978-3-7618-1716-2

Preis: € 26,95

301 Seiten

Internet:
Bärenreiter

Mit Die Musikwelt des Barock legt der Radiojournalist Bernhard Morbach den dritten und letzten Band seines „Reiseführers“ durch die Alte Musik vor.
Jene Qualitäten, die bereits den Mittelalter- und Renaissance-Band auszeichneten, finden sich auch hier: Konzentration auf das Wesentliche, das jedoch mit der nötigen Differenziertheit; ein stringenter Aufbau und gedankliche Klarheit; gute Lesbarkeit; sprechende Illustrationen. Stärker noch als bei den Vorgängerbänden steht der Zusammenhang, in dem Musik komponiert und aufgeführt wurde, im Vordergrund. Es ist also wirklich – und Ausnahmen wie die Kapitel zu barocken Komponistinnen und zur Musikentwicklung in der „Neuen Welt“ bestätigen diese Regel – kein Führer zu bestimmten Werken und Komponisten, sondern zu jenen Bereichen, Institutionen, Mentalitäten und Ideen, in deren Kontexten die Musik entstand.
So erscheint die barocke „Trinität“ von Bach, Händel und Vivaldi, die zumindest auf dem Plattenmarkt und im Bewusstsein vieler Hörer/innen immer noch ungebrochen herrscht, vor dem Hintergrund des komplexen und vielfältigen „Musikbetriebs“ zwischen 1600 bis 1750 längst nicht mehr so monolithisch. Mit Kapiteln wie „Affekt und Intellekt – Die Musik in der Geisteswelt des Rationalismus“ werden zudem Türen zu anderen Kunst- und Wissenschaftsbereichen dieser Epoche aufgestoßen. Die Musik erscheint so als Teil eines umfassenden Lebenszusammenhangs.

Für einzelne Fragestellungen findet Morbach immer wieder geeignete Aufhänger: Mit Monteverdis „Orfeo“ kann er nicht nur exemplarisch die Oper als zentrale Gattung des Barockzeitalters behandeln, sondern gleich einen guten Einblick in die Veränderungen der Vokalmusik und ihre verschiedenen Gattungen geben. Für diese erweist sich Johann Matthesons „Vollkommener Capellmeister“ als idealer roter Faden. Auch die instrumentalen Formen behandelt Morbach mit Matthesons Standardwerk, das zudem den Vorzug hat, mit dem O-Ton des spätbarocken Zeitgenossen zu sprechen. Wie schon bei den vorausgegangenen Bänden geht es nicht nur um eine zeitgemäße Vermittlung einer vergangenen Epoche. Morbach möchte auch über die ästhetischen Gräben aufklären, die uns in unseren Hörgewohnheiten (z. B. Nebenbeihören) und Klang-Erwartungen (Stichwort: konventionelle oder historisch informierte Aufführungspraxis) von der Vergangenheit trennen.
Schön illustriert dies u. a. das 7. Kapitel, „Macht durch Musik – Ludwig XIV., der Absolutismus und die Instrumentierung der Kunst“. Die Barockmusik ist denkbar weit von unseren – vielleicht auch nur illusionären Vorstellungen – vom autonomen Kunstwerk entfernt. Kaum weniger aufschlussreich ist da auch das vorangehende Kapitel, in dem u. a. die aufblühende bürgerliche Musikkultur dieser Epoche vorgestellt wird.
Unverzichtbar zum Verständnis ist schließlich ein exemplarischer Überblick über die barocken Instrumente und ihre Besonderheiten: Violine, Trompete & Horn, Chalumneau & Klarinette, Cembalo und Hammerklavier bringen die akustischen wie geschmacklichen Wandlungen auf den Punkt.
Vieles möchte man gerne vertiefen – hier helfen Morbachs Verweise auf maßgebliche Sekundärliteratur weiter. Außerdem enthält das Buch wieder eine CD-ROM mit zahlreichen (diesmal stummen) Notenbeispielen und einigen Quellentexten. CD-Tipps finden sich auf der CD-ROM nur zu den immer noch exotischen Themen „komponierende Frauen“ (9. Kapitel) und „Barockmusik in Amerika“ (10. Kapitel), was angesichts der raschen Folge von Veröffentlichungen und Streichungen von Aufnahmen sinnvoll erscheint. Hier ist jedes Online-Medium aktueller.
So ist das Buch wieder eine Fundgrube, aber auch ein willkommener, kritischer Ohrenöffner geworden, der zum bewussten, verstehenden Hören anregt.


Georg Henkel



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