Schubert, F. (Lehmann)
Rosamunde u. a.
NOSTALGISSIMUS
Die gute alte Zeit, in der Epoche des „Allherrschenden Retro“ ist sie überall unübersehbar gegenwärtig: Das Design von Architektur, Mode, Möbeln und Maschinen spielt mal puristisch, mal hemmungslos eklektisch mit den Stilen und Formen der 50er, 60er, 70er und inzwischen auch der 80er Jahre. Noch vor den eigenwilligen aktuellen Retro-Mixturen erfreuen sich natürlich die „Originale“ besonderer Beliebtheit. Es muss schon das Echte sein. Authentizität, das Zauberwort erfolgreichen Marketings - beim Trödelladen um die Ecke steht und liegt sie oft haufenweise herum (inzwischen allerdings nicht mehr unbedingt zum Schnäppchenpreis). Und wenn man es sich dann mit Schlaghose und Ringelpulli im Schummerschein der Lavalampe in seinem psychedelischem Sitzmöbel vor dem Nierentisch bequem gemacht hat, auf dem schon ein paar Räucherstäbchen tränenselige Stimmung verbreiten, ja dann fehlt eigentlich nur noch die passenden Musik, um das Ambiente zu vervollständigen.
UND NOCH EINE SERIE
Aber was nehmen? Darf’s zur Abwechslung vielleicht etwas Klassisches sein, sozusagen als epochenübergreifender Extrem-Retro? Da gibt es ja schon Einiges: Die EMI trumpft mit der Serie Great Recordings of the Century auf, die Decca prunkte in den letzten Jahren mit über 70 Legends aus ihrem Archiv. Was da an künstlerischer und analoger klangtechnischer Qualität reanimiert wurde, stellt viele Neuproduktionen in den Schatten. Die Nostalgiewelle kommt indes nicht von ungefähr: Angesichts des geschrumpften Marktes bietet sich der Griff in die Archive als günstige Alternative zu teuren neuen Einspielungen an. Etablierte Namen lassen sich zudem leichter ans Ohr des Kunden bringen.
Nach ihren Interpretenboxen der Serie Original Masters, die mit ihrem schicken Design bereits auf die 50er Jahre anspielten, beschwört die Deutsche Grammophon in ihrer mit DG-gelben Originalcovern aufgemachten aktuellen CD-Edition Musik … Sprache der Welt jetzt die künstlerisch fruchtbare Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit: Damals, als es noch etwas ganz Besonderes war, eine der ersten, noch luxuriös teuren 33er Langspielplatten in den Händen zu halten. 180 Gramm schwer war so ein Stück Vinyl, verpackt in Papphüllen, die damals nicht geklebt, sondern – um die Platte vor Nebenwirkungen zu schützen - genäht wurden! Produziert hat man mit Interpreten von Rang, sorgfältig und mitunter exorbitant zeitaufwendig; das perfekt gepresste Endprodukt galt als handwerkliches Meisterstück. Seine Anschaffung „war was fürs Leben“ (mit dem man ja gerade noch einmal davongekommen war), prestigeträchtig und kulturell wertvoll. Nach dem totalen Prestigeverlust – und nicht nur dem – und zwölf Jahren Nazibarbarei verhießen die großen klassischen Werke die Rückkehr zu dem, wofür Deutschland auch einmal gestanden hatte. Dieses Deutschland repräsentieren Namen wie Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms und Bruckner, also die klassisch-romantische Tradition. Diese wurde damals zum Leben erweckt von Interpreten wie Ferenc Fricsay, Eugen Jochum, Sviatoslav Richter, Karl Böhm oder Igor Markevitch, zusammen mit den damals tonangebenden Klangkörpern: den Wiener Philharmonikern, den Berliner Philharmonikern, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks z. B. Diese Teams mit ihren individuellen Meriten prägen der Musik ihren unverwechselbaren Stempel auf, will sagen: Mehr als punktgenaue Notentreue zählte damals noch der inspirierte Augenblick.
QUALITÄTSPROBE AUFS EXEMPEL
Von der von Kennern immer wieder betonten legendären Qualität der alten Aufnahmen kann man sich jetzt in einer ersten, zehn CDs umfassenden Serie überzeugen. Im Unterschied zu den meisten Veröffentlichungen aus dem Backkatalog, die in den vergangenen Jahren den Markt überschwemmten, handelt es sich nicht um Stereo-Produktionen, sondern um Mono-Aufnahmen vom Anfang bis Mitte der 50er Jahre. Neben Bekanntem finden sich auch einige echte Erstveröffentlichungen.
So auch mein Testexemplar mit der Schaupielmusik Rosamunde, dem Ständchen und der Ouvertüre Die Zauberharfe von Franz Schubert mit den Berliner Philharmonikern unter Fritz Lehmann, eine echte Ausgrabung von bislang unveröffentlichtem Material! Die Tonspur wurde in den Emil Berliner Studios von Nebengeräuschen und Rauschen befreit, ohne die akustische Patina der Produktion zu beschädigen: Man hört der Einspielung ihr Alter im guten Sinne an. Erstaunlich die Qualität, angesichts derer man über den vermeintlichen technischen Fortschritt schon ins Grübeln kommen kann. Die Disposition des Orchesters ist trotz der Monobeschränkung gut durchhören, die Dynamik weitgestaffelt, die Farben kommen kräftig heraus, auch Dank des unpathetischen Zugriffs von Fritz Lehmann und des vitalen Spiels der BP.
Auch wegen der „Entdeckung“:
Georg Henkel
Trackliste |
01-11 Musik zum Schauspiel „Rosamunde“ D 797 12 Ouvertüre „Die Zauberharfe“ D 644 12 Ständchen D 920 |
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Besetzung |
Diana Eustrati, Alt Berliner Mottenchor Michael Raucheisen, Klavier
Berliner Philharmoniker Ltg. Fritz Lehmann
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