Gluck, Chr. W. (Niquet, H.)

Écho & Narcisse


Info
Musikrichtung: Barock / Klassik / Oper

VÖ: 08.09.2023

(CVS / Note 1 / CD / 2 DDD / 2022 / CVS095)

Gesamtspielzeit: 102:19



ALTERSMÜDE

Auch wenn Dirigent Hervé Niquet sich im Vorwort zu dieser Aufnahme begeistert äußert: Glucks letzte Oper für Paris, das lyrische Drama „Écho et Narcisse“, ist ein schwaches Werk. Mag der Komponist eine altersmilde Synthese von französischer und italienischer Oper vorgeschwebt haben – das Resultat mutet allenfalls altermüde an. Es ist beim Pariser Publikum 1779 sicherlich nicht allein deswegen durchgefallen, weil es dem galanten Thema an Wucht, Größe und Spannung gemangelt hätte. Gluck hat einfach keinen wirklich eigenen, überzeugenden Ton für das Sujet gefunden, sondern wiederholt bewährte Muster (buchstäblich durch zahlreiche Entlehnungen aus älteren Werken). Die Musik wirkt über weite Strecken allenfalls hübsch und gefällig. Und häufig schlicht belanglos.

Glucks Erfolg in Frankreich beruhte bis dahin nicht zuletzt auf seiner Fähigkeit, dramatische und tragische Stoffe mit einfachen, starken Gesten auf den Punkt zu gestalten und die Gefühle der Figuren als unmittelbar wahrhaftig zu beglaubigen. So erneuerte er die Musiktragödie, die seit Lully das Herzstück der französischen Opernästhetik war.
Vorausgesetzt, es die Vorlage besaß eine innere Notwendigkeit und Ernsthaftigkeit. Selbst die die eigenwillige Patchwork-Partitur der „Iphigénie en Tauride“, in der ebenfalls Recyceltes aus früheren Werken neben originellen Neuschöpfungen steht, kann so eine dramatische Wucht entfalten – es geht um Leben und Tod oder doch zumindest um Menschen in existentiellen Grenzsituationen. Hier passt das Pathos des Gluckschen Vokabular: erhabene Einfachheit des Ausdrucks, eine raue, plakative Orchestrierung und nicht zuletzt eine gewisse Tendenz zur Monumentalität.

In „Écho et Narcisse“ begnet das alles sozusagen in der Verkleinungsform. Es entwickelt aber keinen Sog und bleibt musikalisch unverbindlich. Gluck findet keinen wirklich sinnlichen oder charmanten Ton und der Ernst erscheint wie eine Behauptung. Es gibt kaum mal ein Motiv, das aufhorchen ließe oder Interesse an die Figuren weckt. Das Einfache wirkt nur mehr simpel, die vokale Rhetorik erstarrt zur Formel. Selbst die Tänze haben kaum Energie. Es wundert daher nicht, dass diese Oper auch nach gescheiterten Überarbeitungsversuchen lediglich noch einige Jahre auf französischen Provinzbühnen gegeben wurde, bevor sie ab 1814 in Vergessenheit geriet.

Die Neuproduktion vermag an dem blassen Gesamteindruck auch deshalb nichts zu ändern, weil vor allem das Orchesterspiel allenfalls routiniert wirkt – oder, je nachdem, unentschlossen und gezügelt. Niquets Begeisterung teilt sich nicht mit. Auch die guten und teilweise namhaften Sänger:innen entfachen da kein Feuer.



Georg Henkel



Besetzung

Adriana Gonzalez, Cyrille Dubois, Myriam Leblanc, Sahy Ratia, Cecile Achille, Adele Carlier, Laura Jarrell, Lucie Edel

Le Concert Spirituel

Herve Niquet, Leitung


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