Lieder am See 2022 mit u.a. UFO, The Hooters, Saga und Deep Purple
Ich hätte nicht gedacht, dass ich heuer tatsächlich noch auf ein Open-Air-Konzert gehen kann. Richtig realisiert habe ich es allerdings erst, als ich mich auf den Weg nach Spalt mache. 2015 war ich das letzte Mal auf dem Festival, das auch diesmal wieder am malerischen Strand des schönen Brombachsees mitten im fränkischen Seenland stattfindet. Man kann hier Campingstühle mitbringen, es gibt einen riesigen Biergarten, einen Plattenladen, ein reichhaltiges Essensangebot und wer möchte, kann sogar mit der MS Brombach eine Runde auf dem See drehen. Manche Festivalbesucher baden sogar. Man kann direkt vom Gelände aus ins Wasser gehen. Wenn das mal kein besonderes Flair ist. Laut den Infos am Einlass sind 12.000 Leute auf dem Gelände, das Festival ist ausverkauft. Aufgrund der aktuell hohen Corona-Infektionslage werden jedoch direkt vor Ort noch genügend Karten verkauft. Wegen Corona musste die ursprünglich geplante Band The Sweet leider absagen. Als Ersatz wurden Stinger verpflichtet. Die Riff-Rock-Band aus Franken, die sich vehement dem Sound von Bands wie AC/DC und Krokus verschrieben hat, bekommt 75 Minuten Spielzeit wie alle anderen Bands auch. Stinger haben mittlerweile eine EP und ein Album mit dem Titel Disadvantaged am Start. Sie legen um 14 Uhr los und fahren von Anfang an mit Vollgas. Sänger Martin Schaffrath hat ein sehr authentisches Stageacting und klingt wie eine Mischung aus Bon Scott und Marc Storace. Bassist Simon Simon beackert sein Instrument wie ein Schweizer Uhrwerk und rollt zusammen mit Schlagzeuger “Buzz Dee” Johnson ein Rhythmus-Fundament aus, auf dem sich der Rest der Band nach Herzenslust austoben darf. Das Gitarrenduo Adrian Seidel und Matthew Sting ergänzt sich hervorragend. Adrian Seidel spielt eine total abgefahrene Lead-Gitarre und headbangt dabei, dass es fast nicht zu glauben ist. Dabei ist er agil ohne Ende und reißt mit seiner Truppe mühelos das Publikum mit. Sicherlich nicht abgesprochen ist dann auch die Aktion, als er bis zur Bühnendecke hinaufklettert und von dort sein Gitarrensolo zockt. Gegen Ende des Sets nimmt ein bisschen die Qualität der Stücke ab, der Auftritt bleibt jedoch trotz der Affenhitze beherzt und furios bis zum Schluss. Stinger werden völlig zu Recht von einer Welle der Begeisterung getragen und bekommen massig Applaus des fachkundigen Publikums. Danach kommen die unkaputtbaren UFO, die sich schon seit 2018 auf der sogenannten „Last Order“-Abschiedstour befinden. Einzig „Fighting Man“ vom völlig unterbewerteten und mittlerweile 20 Jahre alten Sharks-Album verlässt die Gefilde der 70er. Den Rest des Abends bestreitet eine Kurz-Version ihres Live-Klassikers Strangers In The Night. Wer als zweiten Song „Only You Can Rock Me“ unters feierlaunige Publikum mischt, hat schon viel richtig gemacht. Der mittlerweile 74-jährige Sänger Phil Mogg hat sich in einen ganz feinen Zwirn geworfen, ein eleganter Hut ziert seinen Kopf. Auf Schmusekurs befindet er sich dabei jedoch keineswegs. Auch wenn er nicht mehr den Aktionsradius von früher hat, singt er immer noch sehr gut und setzt die zeitlosen Klassiker ordentlich in Szene. Er unterhält sich viel mit dem Publikum. Dabei fragt er, ob jemand schon etwas Brauchbares geangelt hätte und bemerkt wie später auch Ian Gillan, dass reichlich „Mother Nature“ vor der Bühne versammelt ist. Neil Carter am Keyboard und an der Gitarre saugt die Publikumsreaktionen regelrecht auf und steckt mit seiner Begeisterung seine Kollegen an. Phil Mogg lässt es sich nicht nehmen, Gitarrist Vinnie Moore bei dessen Solo mit der Gitarre auf dem Rücken zu umarmen und dabei den jugendlichen Liebhaber zu spielen. Das muss man gesehen haben! Der Sound geht stark in Richtung Metal. Fast schon Black-Sabbath-artig fräst sich die Gitarre zu Beginn von „Love To Love“ in die Magengrube, um dann in wesentlich melodischere Gefilde abzudriften. Bassist Rob De Luca und Schlagzeuger-Urgestein Andy Parker lassen es ganz ordentlich krachen, was natürlich auch für das folgende „Rock Bottom“ gilt. Hier duellieren sich Vinnie Moore und Neil Carter regelrecht schwindelig, anschließend brauchen beide ärztliche Unterstützung. Diese wird dann prompt mit „Doctor Doctor“ geliefert und das Publikum vor der Bühne ist begeistert. Ein furioses „Shoot Shoot“ beendet den Auftritt. Wer nicht dabei war: Nutzt die Gelegenheit und schaut euch UFO irgendwo in eurer Nähe noch einmal live an, es dürfte die letzte Gelegenheit dazu sein! Setlist UFO: 1. Fighting Man 2. Only You Can Rock Me 3. Cherry 4. Lights Out 5. Love to Love 6. Rock Bottom 7. Too Hot to Handle 8. Doctor Doctor 9. Shoot Shoot Die Hooters sind auf das Wetter etwas besser vorbereitet und tragen gleich zu Beginn richtig fette Sonnenbrillen. Mittlerweile ist die Bühne in das Licht der Abendsonne gehüllt, was zusammen mit den Bäumen und dem See ein sehr harmonisches Bild abgibt. "I'm Alive“ könnte das Motto des Festivals sein. Ich habe das Gefühl, das „normale“ Leben kehrt nach dieser fast zweijährigen Pause wieder zurück. Menschen feiern, singen, tanzen und lassen es sich gut gehen. Mann, wie habe ich das vermisst! „Day By Day“ hält das Energielevel des Openers, doch dann machen Eric Bazilian und Co. einen kleinen Fehler. Statt hier weiter gleich zu Beginn ihre Highlights zu bringen, spielen sie mit „Boys Of Summer“, „500 Miles“ oder dem getragenen „Lucy In The Sky With Diamonds“ drei ruhige Stücke hintereinander, was einer musikalischen Vollbremsung gleichkommt. Auch merkt man den Fans mittlerweile die Hitze und bei manchen auch den Alkoholgehalt an. Danach geht der Klassikerreigen mit „All You Zombies“ weiter, nun gibt es auf und vor der Bühne kein Halten mehr. „Karla With A K“, „Satellite“, ein überzeugendes „Johnny B.“ und „And We Danced“ lassen die Stimmung wieder hochschnellen. „Give The Music Back“ passt vor allem heute wie die Faust aufs Auge. Eric Bazilian bemerkt, dass er froh ist, dass diese „Scheiß-Pandemie“ endlich vorbei ist. Als Zugabe kommt die Peter Schilling-Nummer „Major Tom“ komplett in Deutsch. Das kommt hervorragend an und reißt das Publikum einmal mehr mit. Danach werden die Hooters völlig zu Recht mit viel Beifall verabschiedet. Auch hier sollte man die Gelegenheit nutzen, die Band bei einem ihrer Auftritte als Hauptband anzuschauen. Lohnt sich unbedingt! Setlist The Hooters: 1. I'm Alive 2. Day by Day 3. The Boys of Summer 4. 500 Miles 5. Lucy in the Sky With Diamonds 6. All You Zombies 7. Karla With a K 8. Twenty-Five Hours a Day 9. Satellite 10. Johnny B 11. And We Danced 12. Give the Music Back 13. Major Tom Saga hatten sich offiziell auch schon lange verabschiedet, können es jetzt aber doch nicht lassen und treten weiterhin live auf. Eine aktuelle Scheibe gibt es derzeit nicht zu präsentieren, so können die Kanadier aus ihrem reichhaltigen Klassiker-Fundus schöpfen. Ich habe Saga bis jetzt immer als Headliner auf Festivals oder kompletten Konzerten auf ihrer jeweiligen Tour gesehen. Saga bei Helligkeit und am Nachmittag sind für mich ungewohnt, aber durchaus machbar. Mit ihrem hyperaktiven Frontmann Michael Sadler legen sie an diesem Abend eine Galavorstellung hin. Der musikalische Kontrast zu den Hooters könnte sicher fast nicht größer sein, aber das jahrelang ausgehungerte Publikum empfängt alle Bands mit offenen Armen. Michael Sadler singt die Stücke mit Leidenschaft und Begeisterung. Für mich ist es nach wie vor unvorstellbar, wie er damals aus der Band aussteigen wollte. Er gehört einfach auf die Bühne, und diese Band ist untrennbar mit ihm und seiner unverwechselbaren Stimme verbunden. Keyboard-Urgestein Jim Gilmour übernimmt auch hin und wieder den Gesang und verschafft dem omnipräsenten Sadler die nötigen Verschnaufpausen. Saga war und ist auch noch heute eine gut geölte musikalische Maschine, die in höchster Perfektion ihre Stücke präsentieren. An Saga ohne ihren Ur-Bassisten Jim Crichton kann ich mich allerdings nur bedingt gewöhnen. Für mich war er immer einer der tragenden Säulen auf der Bühne. Musikalisch ist Bassist Dusty Chesterfield spielerisch sicher gleichwertig, kann ihn jedoch in Sachen Bühnenpräsenz keinesfalls ersetzen. „On The Loose“ versetzt das Publikum in Partylaune, „Humble Stance“ bringt die Menge zum Tanzen. „The Pitchman“ vom Heads Or Tales-Album komplettiert den Klassiker-Reigen. Mike Thorne spielt ein beeindruckendes Schlagzeugsolo, bei dem er das Publikum einbindet. „Don’t Be Late“ und das unsterbliche „Wind Him Up“ entführen die Fans noch einmal nach Sagacity, bevor dann nach 75 äußerst kurzweiligen Minuten auch schon wieder Schluss ist. Setlist Saga: 1. Careful Where You Step 2. Framed 3. Days Like These 4. On the Loose 5. Amnesia 6. Trust 7. Humble Stance 8. The Pitchman 9. Drum Solo 10. Scratching the Surface 11. You're Not Alone 12. Don't Be Late (Chapter 2) 13. Wind Him Up Nun kommt mit Deep Purple die Hauptattraktion des Tages. Das Intro kommt, das Schlagzeug setzt ein, dann kommt der Bass und mir stellen sich sämtliche Nackenhaare. Das kann nur eins bedeuten: „Highway Star“! Bei bestem Sound legen die Männer um Sänger Ian Gillan los und machen gleich von Beginn an klar, dass sie hier eine Vollbedienung abliefern. Gitarrist Steve Morse fällt bei dieser Tour aus, weil er sich um seine schwerkranke Frau kümmert. Auch das ist für mich ein Zeichen, dass er und seine Bandkollegen das Herz am rechten Fleck tragen. Ersatz ist Simon McBride. McBride hat schon mit Vivian Campbell mit dessen Band Sweet Savage gespielt. Unter anderem hat ihn Don Airey schon mehrmals eingeladen, mit ihm Musik zu machen. Und bei der Band Snakecharmer hat er kürzlich Mickey Moody ersetzt. McBride bringt das Solo sehr Blackmore-ähnlich und bleibt dabei stilistisch im klassischen Mark II-Bereich. Der Platz vor der Bühne ist rammelvoll, die besten Plätze sind bestimmt schon eine halbe Stunde vor Beginn besetzt. Ian Gillan hat heute offensichtlich einen guten Tag erwischt. Er ist stimmlich in Topform und bei bester Laune. Getragen wird er von seiner fabelhaften Band, die jeder für sich eine eigene musikalische Institution darstellt. Deep Purple ist die einzige Band des Abends, bei der im Hintergrund Videoprojektionen laufen. Die Optik wäre hier jedoch gar nicht notwendig gewesen, alleine die dargebotene Musik ist äußerst fesselnd. Bei der Songauswahl geht die Band auf Nummer sicher und baut sehr passend Stücke aus den neueren Alben ein. Als Highlight der neueren Stücke strahlt für mich ganz hell „Uncommon Man“ heraus. McBride führt ganz gefühlvoll zum Beginn, Don Airey übernimmt und leitet mit fanfarengleichen Klängen über zum erhabenen Start des Stücks. Dabei lässt er seine Hammond B3 sägen, gurgeln und röhren, dass es eine wahre Freude ist. Airey ist die Tasteneminenz im Mittelpunkt der Bühne, heute Abend ist er für mich der Dreh- und Angelpunkt der Show. Jon Lord schaut sicherlich gerne ab und zu mal herunter, wenn er seinen Nachfolger bei dessen Arbeit verfolgen kann. Bei „Lazy“ spielen sich die Musiker die Bälle gegenseitig zu, Ian Gillan bläst dazu eine recht eindrucksvolle Blues-Harp. „When A Blind Man Cries“ ist für mich eines der Highlights und zeigt, dass bei Deep Purple auch die leisen Momente Magie versprühen. „Anya“ ist für mich die große Überraschung, das hervorragend gespielt wird und sehr gut ankommt. Zwischen den Stücken wird häufig improvisiert, manchmal leitet diese Improvisation sogar direkt in ein Solo über. Zu meiner Überraschung verzichtet Schlagzeuger Ian Paice heute auf sein legendäres Solo. „Perfect Strangers“ gerät zum Triumphzug und lässt das Publikum mitsingen. Die zweite Überraschung des Abends ist für mich „Space Truckin“, das äußerst brachial gezockt wird und von Roger Glovers Hammer-Bass wuchtig nach vorne getrieben wird. Auch hier bewegt sich Gillan auf sicherem Terrain und ist stets Herr der Lage. Zu meiner großen Überraschung kommt jetzt bereits das weltbekannte Riff von „Smoke On The Water“. Mit dem Blick zur Uhr fällt mir auf, dass schon über eine Stunde gespielt wurde. Das Publikum feiert kollektiv, nach dem Stück verlassen viele bereits das Festivalgelände. Das ist schade, denn Deep Purple bieten auch in der zweiten Halbzeit noch musikalische Gourmet-Kost. Auch hier wird wieder viel improvisiert. Roger Glover bekommt sogar ein Bass-Solo, bei dem er spielfreudig wie ein Teenager über die Bühne springt und dabei sein Können unter Beweis stellt. Bass-Solos sind ja prinzipiell immer nicht so mein Ding, aber bei Roger Glover ist auch hier Staunen garantiert. „Black Night“ bildet den Schlusspunkt eines hervorragenden 90-minütigen Auftritts, der eine Band präsentiert, die von Live-Auftritten offensichtlich noch lange nicht genug hat. So euphorisch wie die Männer auf der Bühne stehen, können sie ja unmöglich aufhören. Auf der anderen Seite sollte man ja bekanntlich immer dann aufhören, wenn es am Schönsten ist. Als ich die Zeilen schreibe, hat der langjährige Gitarrist Steve Morse seinen Abschied bei Deep Purple angekündigt. Wie sich dieser Schritt auf die Zukunft der Band auswirkt, muss man abwarten. Einige kritische Stimmen im Publikum bemängeln die vielen Soli und Improvisationsteile. Dazu kann ich nur sagen: Zieht euch bitte mal Made In Japan rein, das haben die früher auch schon so gemacht. (Der Einmal-im-Jahr-zum-großen-Namen-Event-Pöbel halt wieder... - Anm.d.Red.) Setlist Deep Purple: 1. Highway Star 2. Pictures of Home 3. No Need to Shout 4. Nothing at All 5. Uncommon Man 6. Lazy 7. When a Blind Man Cries 8. Anya 9. Keyboard Solo 10. Perfect Strangers 11. Space Truckin' 12. Smoke on the Water 13. Caught in the Act 14. Hush 15. Bass Solo 16. Black Night Jetzt wird es turbulent, denn 12.000 Leute wollen alle wieder nach Hause fahren. Das Ganze gerät tatsächlich zum Verkehrschaos, manche Konzertbesucher stehen zwei Stunden und länger, bis sie aus dem Parkplatz rauskommen. Hier muss definitiv nachgebessert werden. Für mich waren heuer zu viele Leute auf dem Festivalgelände. Die Gemütlichkeit von früher ist nicht mehr gegeben. Und wenn es bei der Zuschauermenge bleiben sollte, muss das Mitbringen von Liegen oder Liegestühlen im nächsten Jahr unbedingt verboten werden. Überall stolpert man über solche Teile und deren Besitzer sind äußerst ungehalten, wenn man sich vor sie hinstellt. Aber wo soll man dann hin, es ist ja fast kein Platz mehr auf dem total überlaufenen Festivalgelände. Stefan Graßl |
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