Adios Albéniz: Sommerkonzert des Schulmusikorchesters Leipzig




Info
Künstler: Orchester des Instituts für Musikpädagogik der Hochschule für Musik und Theater Leipzig

Zeit: 20.06.2018

Ort: Leipzig, Hochschule für Musik und Theater

Fotograf: Masahiro Nishio

Internet:
http://www.hmt-leipzig.de

Ein Dreivierteljahr zuvor hatte das BundesSchulMusikOrchester an gleicher Stelle gespielt (siehe Rezension auf diesen Seiten) – nun steht das Sommerkonzert des Orchesters des Instituts für Musikpädagogik der Hochschule für Musik und Theater Leipzig auf dem Programm. Beide Klangkörper eint, dass sie aus Musikstudenten, die Musik auf Lehramt studieren, bestehen, und im Herbst 2017 dürfte im Bundesauswahlorchester dieser Sparte auch der eine oder andere Leipziger Student am Start gewesen sein, der nun auch an diesem Sommerabend auf der Bühne steht respektive sitzt. Da der Name Orchester des Instituts für Musikpädagogik der Hochschule für Musik und Theater Leipzig (und eigentlich würde da ja sogar noch der Name des Hochschulnamenspatrons Felix Mendelssohn Bartholdy reingehören) bandwurmartig und sperrig anmutet, bezeichnet sich das Orchester auf dem Titelblatt des Programmheftes selbst als Schulmusikorchester.

In einem Sommerkonzert bieten sich Werke aus Ländern, die der gemeine Deutsche üblicherweise mit Themen wie Sommer, Sonne, Wärme und Urlaub in Verbindung bringt, natürlich an. Die Wahl der Leipziger fällt auf Spanien und Argentinien, wodurch für den Rezensenten ein Kuriosum entsteht: In der Woche zuvor war er beim Saisonabschlußkonzert der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz zugegen gewesen, das unter dem Motto „Spanische Nacht“ stand (und gleichfalls auf diesen Seiten rezensiert ist) – und einige der dort gespielten Werke hört er an diesem Abend in Leipzig nun gleich noch einmal. Für die beiden argentinischen Stücke des Programms, beide von Astor Piazzolla, gilt dies freilich nicht. Mit einem derselben, „Libertango“, geht das Programm los, zunächst noch ohne explizit als solchem beschäftigten Dirigenten: Die Leitung übernimmt hier Akkordeonsolist Uwe Steger, der mit seinem Hut optisch ein wenig an Ritchie Blackmore erinnert. Neben zwei Schlagwerkern, die sich vorne neben dem Solisten positionieren, sind im Stück nur die Streicher aktiv, und das führt dazu, dass das generell gegen ein Orchester überlagerungsgefährdete Akkordeon nicht nur problemlos durchhörbar ist, sondern bisweilen sogar einen etwas zu stark vorschmeckenden Charakter annimmt, auch wenn es natürlich prinzipiell dazu da ist, dem Stück einen gewissen Stempel aufzudrücken. Das Tempo ist relativ flott, der werkinterne Fluß paßt – ein guter Auftakt.

Die Suite española op. 47 von Isaac Albéniz besteht in ihrer Gesamtheit aus acht Sätzen, die ursprünglich aber als einzelne Klavierstücke gedacht waren und somit variable Kombinationsmöglichkeiten offerieren. Drei der vier in Leipzig zu hörenden Stücke kamen auch schon in Chemnitz zur Aufführung, allerdings in anderer Reihenfolge, und das ist das Interessante an der Leipziger Version: Der ziemlich elegische „Granada“-Satz steht nämlich ganz vorn und gibt der Auswahl damit einen ganz anderen Charakter als die mit „Sevilla“ anhebende Chemnitzer Wahl. Die arg verstimmten Celli prägen „Granada“ freilich noch auf eine ungeplante Art und Weise, wenngleich der Grundausdruck zweifellos paßt. Dirigentin Susanne Blumenthal, die mit diesem Stück ins Geschehen eingreift, wählt ein ziemlich weit unten liegendes Tempo, und obwohl das Orchester gar nicht so kopfzahlstark besetzt ist (vor allem in den Tiefstreichern nicht – nur zwei Kontrabässe und vier Celli), gelingt im Satzschluß doch einiges an bombastischer Größe.
In „Sevilla“ läßt die Dirigentin einiges an Eleganz entwickeln und nimmt das Stück zwar durchaus schnell, aber nicht überschnell. Bisweilen entsteht in den Tutti etwas Unordnung, aber der Frischeeindruck überzeugt ebenso wie der nicht zu trockene Gestus des elegischeren Teils, und auch der Schlußwitz hebt die Laune.

In Chemnitz waren alle vier Albéniz-Sätze nacheinander erklungen, in Leipzig findet nach dem zweiten erstmal ein Wechsel statt – nein, es sind zwei Wechsel: Zum einen entert Simon Krapf das Dirigentenpult, und zum anderen wird der Komponist gewechselt: „Ritual Danza del Fuego“ steht auf dem Programm, eines der populärsten Stücke von Manuel de Falla. Die Einleitung holpert noch vor sich hin, aber der Dirigent bekommt die Lage schnell in den Griff, und ab dem ersten Tutti stellt sich ein Gefühl der Sicherheit ein. Krapf entwickelt einigen Zug zum Tor, der allerdings weit vom Eindruck etwaiger Überhastung entfernt bleibt, und laviert gekonnt durch die wellenartige Struktur des Stückes, so dass seine Leitung einen recht souveränen Eindruck hinterläßt und das Ritual zwar nicht orgiastisch, aber doch recht ausgelassen durchgeführt werden kann.

Für das zweite Piazzolla-Werk übernimmt wieder Uwe Steger den Chefposten, auch wenn er seinen Hut mittlerweile abgelegt hat. Die Streicher agieren in „Adios Nonino“ allerdings bisweilen etwas zu faserig, auch der elegische Charakter erscheint noch steigerungsfähig, was dann bei seiner Wiederkehr im zweiten Teil auch prompt gelingt. Steger zeigt die Tempowechsel vom Akkordeon her auch gerne mal mit 1-2-3-4-Klopfen an, und das Exzelsior-Ende erinnert ein wenig an ein Beispiel aus einer völlig anderen musikalischen Ecke, nämlich das „Weballergy“-Intro von Sonata Arcticas Silence-Album, wobei hier kaum von einer Einflußlinie aus Argentinien nach Finnland auszugehen sein dürfte.

Für den zweiten Albéniz-Block übernimmt wieder Susanne Blumenthal die Leitung, und als dessen Auftakt erklingt „Cadiz“, das die Chemnitzer Programmfraktion nicht ausgewählt hatte (dort gab es statt dessen „Castilla“, allerdings als viertes und letztes Stück). Möglicherweise fiel es durchs Raster, weil es sich hier um ein Stück ausschließlich für Streicher handelt – der dadurch durchsichtigere Klang sollte sich theoretisch allerdings gerade mit einer Kleinbesetzung wie der in Leipzig gut darstellen lassen. Das trifft dann auch zu, wenngleich die Tiefstreicher mal wieder arg verstimmt sind und auch sonst bisweilen einige spieltechnische Unordnung herrscht. Aber der breit schwingende Gestus wird dadurch nicht beeinträchtigt und überzeugt problemlos.
„Asturias“ verlangt zur kompetenten Umsetzung des einleitenden Wellenspiels eine recht hohe Spielsicherheit, und die bekommen die Leipziger an diesem Abend dort tatsächlich auf die Bretter, obwohl Blumenthal auch einiges an Tempo einfordert – die Atlantikwellen, die an die asturische Küste prallen, sind ja auch nicht gerade klein, selbst wenn der Komponist eigentlich gar nicht die geographische Region, sondern das historische Königreich Asturien gemeint haben sollte. Ein wenig mehr Souveränität hätten hingegen die choralartigen Passagen vertragen können, aber der Transport der elegischen Stimmung gelingt trotzdem genauso problemlos wie die Erzeugung von gehöriger Spannung im leicht verwackelten Satzschluß.

Neben dem Akkordeonisten gibt es im Programm noch einen zweiten Instrumentalsolisten, und der kommt im letzten Werk zum Einsatz: dem Concierto de Aranjuez von Joaquin Rodrigo – auch das hatten die Chemnitzer bereits in der Vorwoche auf ihren Pulten liegen. Im Direktvergleich entsteht allein schon durch die geringere Orchestergröße in Leipzig ein ganz anderer Klangeindruck, aber auch der gedankliche Zugriff der Dirigentin scheint hier eher kammermusikalisch geprägt zu sein, was freilich das Evozieren eines gehörigen Energiepotentials keineswegs ausschließt. Trotz der kleinen Besetzung hört man den Gitarristen Jesse Flowers im eröffnenden Allegro con spirito anfangs noch nicht immer gut durch, was die Dirigentin aber beheben kann. Zu einem traumwandlerischen Miteinander finden der junge Solist, derzeit Masterstudent in Berlin, und die ebenso jungen Orchestermusiker in diesem Satz aber noch nicht, wohingegen der Transport des lebendigen Grundgestus bereits gut gelingt.
Im Adagio hinterläßt das Englischhorn anfangs einen leicht übermotivierten Eindruck, aber das Bild beginnt sich bald zu wandeln: Der Eskapismusfaktor nimmt immer höhere Werte an, der Solist macht im positiven Sinne vor allem in der Kadenz einen verträumten Eindruck, der Bekanntheitsgrad des Stückes übertrifft den Rest des Programms locker, so dass mancher Hörer im Geiste z.B. Miles Davis‘ „Coverversion“ mitformulieren wird, und die Spannung, die nach hinten heraus aufgebaut wird, ist die größte des ganzen Abends.
Im abschließenden Allegro gentile holt Flowers, der, soweit man ihn hören kann, generell eine erstklassige Leistung abliefert, aus seiner Gitarre eine große Grundeleganz heraus, die anfangs wackligen Bläser werden immer besser, das Miteinander zwischen Orchester und Solist stabilisiert sich weiter, und somit werden die Beteiligten nach dem Schlußwitz verdientermaßen mit viel Beifall belohnt. Gute Unterhaltung!


Roland Ludwig



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