Threshold
Legends Of The Shires
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Info |
Musikrichtung:
Prog Metal
VÖ: 08.09.2017
(Nuclear Blast)
Gesamtspielzeit: 82:14
Internet:
http://www.thresh.net
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Threshold zählen ohne Zweifel zu denjenigen Bands in der weiten Metalwelt, bei denen musikalische Leistung und pekuniärer Erfolg in einem besonders krassen Mißverhältnis stehen. Fast drei Jahrzehnte am Start, eine zweistellige Anzahl überwiegend erstklassiger Alben herausgebracht, die von den Kritikern hochgeschätzt wurden (mit fünf aufeinanderfolgenden Alben jeweils den RockHard-Soundcheck zu gewinnen hat sonst keine Band geschafft), immer mal auf Tour zu erleben und auch dort hochgradig überzeugend, wie sich der Rezensent anno 2016 in Markneukirchen selbst überzeugen konnte – und trotzdem sind die Briten nie über einen gewissen Kultstatus in der Szene hinausgekommen. Dabei fällt ihr melodischer Progmetal auch noch relativ „massenkompatibel“ aus, massenkompatibler als etwa die Musik Dream Theaters, wäre also durchaus geeignet, die Fanscharen des Melodic Rock gleich mit zu erobern. Aber vielleicht liegt genau hier das Wahrnehmungsproblem der Band begründet: Von den Melodicrockern gedanklich als Metal abgestempelt (außerdem seit geraumer Zeit auf einem im Metal verankerten Label beheimatet), von den Progmetallern aber argwöhnisch beäugt, was ebenjene Massenkompatibilität angeht, und sowohl für denjenigen Teil von diesen, der „progressiv“ mit „fortschrittlich“ übersetzt, als auch für die herrschende Strömung gen Djent und Unnachvollziehbarkeit der Kompositionen, per se ungeeignet, sitzen Threshold zwischen den Stühlen, und wenn nicht ein wie auch immer geartetes Wunder geschieht, werden sie wohl bis an ihr Lebensende für einen erlesenen Gourmet-Fankreis musizieren müssen.
Selbiger Fankreis wird mit dem neuen Werk Legends Of The Shires freilich mal wieder bestens bedient, und man kann Threshold zugleich nicht vorwerfen, dass sie nichts tun würden, um vielleicht doch einen Überraschungstreffer zu landen. Eingängige und dennoch unausgelutschte Melodien komponieren können Karl Groom und Richard West nämlich schon seit Jahrzehnten, und um zu verifizieren, dass sie auch auf dem neuen Album diesbezüglich nichts verlernt haben, genügt ein Hineinhören in den dem Intro „The Shire (Part 1)“ folgenden Opener „Small Dark Lines“, dessen Refrainmelodie sich wie mit Widerhaken in den Gehörgängen des geneigten realen oder potentiellen Anhängers festsetzt und in einer gerechten Welt dort kaum wieder zu entfernen sein sollte. Weil die Band um die Qualitäten dieses Stückes weiß, hat sie es auch als Singleauskopplung erkoren, vermutlich allerdings auch um die marginale Chance wissend, damit nach 30 Jahren doch noch einen ganz großen Schritt auf der Karriereleiter nach oben zu machen und endlich auch kommerziell die Regionen zu erreichen, wo das Quintett rein musikalisch eigentlich hingehören würde. Nanu, Quintett? Ja, Zweitgitarrist Pete Morten ist nach zehn Jahren nicht mehr an Bord, und sein Posten wurde zumindest für die Studioarbeit nicht besetzt, so dass Karl Groom alle Gitarren des neuen Werkes eingespielt hat. Ob Threshold live doch wieder zum Sextett anwachsen oder auch dort als Quintett weiterarbeiten, wird man auf der Tour im Herbst 2018 begutachten können.
Letzteres erscheint durchaus nicht unwahrscheinlich, nimmt man das Bauchgefühl nach dem Hören von Legends Of The Shires als Gradmesser, das eine leichte Zunahme der Bedeutung von Richard Wests Keyboards im Gesamtmix der vierzehn neuen Nummern zu erkennen glaubt. Möglicherweise liegt dieser Eindruck aber auch nur darin begründet, dass Wests Anteil am Songwriting diesmal etwas höher ausgefallen ist: Für Grooms acht Songs ist West jeweils als Co-Songwriter genannt, darüber hinaus hat der Keyboarder aber noch fünf Songs im Alleingang geschrieben, darunter mit „The Man Who Saw Through Time“ einen der beiden Über-Zehnminüter. Kurioserweise enthält gerade der ein Gitarren-Hauptthema, das einsam die emotionale Spitze des Albums darstellt: Nach Minute zweieinhalb erstmals erklingend, versagen hier Worte zur Beschreibung völlig, und Groom stellt unter Beweis, dass er aus Wests Vorlagen etwas ganz, ganz Großes entstehen lassen kann. Die genannte gefühlte Beobachtung der leicht verstärkten Keyboardbedeutung schließt auch in anderen Fällen Groomsche Markanz selbstverständlich nicht aus, wie etwa „Trust The Process“ erkennen läßt, wo der Gitarrist mit schräg-atonalem Riffing eine Brücke zu heutigen Strömungen im Progmetal schlägt, diese dann allerdings nicht betritt – der Song verbleibt als Ganzes betrachtet im gewohnten Threshold-Revier, und Wests Brücke zeigt mit den hier an markanter Stelle eingeworfenen Hammondorgelsounds eher in die Retro-Ecke. Bassist Steve Anderson wiederum täuscht in seinem Beitrag „On The Edge“ mit schnellen Stakkatodrums eine härtere Ausrichtung an, bevor sich daraus aber gediegener Melodic Rock entwickelt, der nur im Hauptsolo nochmal eine flottere Sohle anschlägt und in der Bridge einige Rhythmusverschiebungen einbaut, bevor der Stakkatopart im Outro nochmal wiederkehrt und damit eine Art Rahmen um das Stück zieht.
„On The Edge“ steht an einer markanten Stelle des Gesamtwerkes, nämlich am Ende von CD 1. Richtig gelesen: Legends Of The Shires ist eine Doppel-CD. Das wird den kommerziellen Erfolg sicher nicht befeuern helfen, aber es handelt sich um ein Konzeptwerk, und die Band wollte weder einen Song weglassen noch irgendwelche Parts kürzen, so dass letztlich auch das Label einwilligte, auch wenn die Gesamtspielzeit sich lediglich auf 82 Minuten beläuft, wobei die Songs interessanterweise so angeordnet sind, dass man sie ohne reihenfolgetechnische Umstellungen auf vier LP-Seiten zu je ca. 20 Minuten Spielzeit verteilen kann. Keine Ahnung, ob da Absicht dahintersteckt, aber falls ja, soll das dem Vinylfreund natürlich nur recht sein (es gibt tatsächlich auch eine Veröffentlichung als Doppel-LP, und die folgt exakt jener Aufteilung). Das Konzept selbst ist im CD-Booklet einleitend mit den Worten beschrieben, Legends Of The Shires sei „a concept album about a nation trying to find its place in the world. It could also be about a person trying to do much the same thing.“ Das Ganze kulminiert überraschend im kürzesten der vierzehn Songs, dem nicht einmal anderthalbminütigen und eher zwischenspielartigen „The Shire (Part 3)“, das mit harmlos anmutendem Bachgeplätscher anhebt und dann folgenden Text besitzt: „Take a little time/and start erasing all the lines“. Intoniert wird selbiger übrigens von Jon Jeary, den Threshold-Altfans als langjährigen Bassisten der Band kennen – das Netzwerk zu Ex-Bandmitgliedern scheint zu funktionieren, wie man es ja auch schon in der Sängerfrage erlebt hat, wo nach Andrew McDermotts Ausstieg gleich beide seiner Vorgänger ihre Bereitschaft erklärten, wieder mitzuwirken. Anno 2016 in Markneukirchen war Damian Wilson dabei, der auch den Albumvorgänger For The Journey eingesungen hatte; auf Legends Of The Shires singt nun aber wieder Glynn Morgan. Dessen Frühwerk mit der Band, also das Album Psychedelicatessen, besitzt der Rezensent bisher nicht und kann daher keine Direktvergleiche ziehen – bei neutraler Betrachtung aber überzeugt der Sänger mit seiner mittelhohen, kräftigen, aber klaren Stimme voll und ganz und gibt so mancher Melodielinie noch einen besonders episch-sehnsuchtsvollen Ton. Aber auch vor Vokaleffekten schrecken Threshold nicht zurück, wenn es dem an der jeweiligen Konzeptstelle geforderten Ausdruck entspricht: Soll Morgan in „Superior Machine“ also wie eine Maschine klingen, dann wird das natürlich auch so umgesetzt, egal ob der Hörer da an Fancy oder Schlimmeres aus dem Achtziger-Pop denkt. Will man der Band etwas vorwerfen, so sind es zwei Dinge: Zum einen verschießen sie das allerwirksamste Pulver gleich am Anfang - die abartige kreative Höhe des Refrains von „Small Dark Lines“ und des Gitarrenthemas von „The Man Who Saw Through Time“ erreichen sie im weiteren Verlauf des Albums nicht mehr und verharren dort auf einem „nur noch“ sehr guten Niveau. Zum anderen kommt dem Rezensenten die Einleitung von „Lost In Translation“ auffällig bekannt vor, und er ist sich relativ sicher, die in zumindest sehr ähnlicher Form schon mal irgendwo anders gehört zu haben, ohne aber bisher verifizieren zu können, wo. Freilich gilt es das Jammerniveau natürlich zu relativieren und festzuhalten, dass für solche „Probleme“ 99,99% aller anderen Bands ihre Schwiegermütter, FreundInnen und Biervorräte verkaufen würden. So bleibt festzuhalten, dass Threshold ihre Fangemeinde abermals mit feinstem Stoff versorgen, der übrigens in ein Coverartwork gehüllt ist, das wie ein Mix aus Amorphis‘ Tales From The Thousand Lakes und der Urwaldoptik von „Jumanji: Welcome To The Jungle“ anmutet, auch wenn hier eine Art gotische Kathedrale am linken Ufer steht, die sich wohl nicht zufällig dort befindet, selbst wenn das Konzept keine vordergründig religiöse Komponente beinhaltet und ein Blick ins Booklet einen Verhörer offenkundig macht: Im Refrain von „Subliminal Freeways“ meint man Glynn Morgan „But I need no religion“ singen zu hören, aber er singt „But I feel no elation“. Die Fortsetzung lautet übrigens „There’s nothing in my heart“. Falls es bisher noch nicht deutlich genug geworden ist: Legends Of The Shires stellt eine abermalige markante Aufforderung dar, Threshold einen Platz in seinem Herzen einzuräumen, wenn man melodische und dennoch anspruchsvolle Klänge mit einer gewissen Grundhärte, aber ohne Auslotung von Extremen mag.
Roland Ludwig
Trackliste |
CD 1
1. The Shire (Part 1) 02:03
2. Small Dark Lines 05:24
3. The Man Who Saw Through Time 11:51
4. Trust The Process 08:44
5. Stars And Satellites 07:20
6. On The Edge 05:20
CD 2
1. The Shire (Part 2) 05:24
2. Snowblind 07:03
3. Subliminal Freeways 04:51
4. State Of Independence 03:37
5. Superior Machine 05:01
6. The Shire (Part 3) 01:22
7. Lost In Translation 10:20
8. Swallowed 03:54
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Besetzung |
Glynn Morgan (Voc)
Karl Groom (Git)
Richard West (Keys)
Steve Anderson (B)
Johanne James (Dr)
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