Ives, Ch. (Morlot, L.)
Three Places in New England - Orchestral Set No. 2 - New England Holidays
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Info |
Musikrichtung:
Klassische Moderne Orchester
VÖ: 28.08.2017
(Seattle Symphony Media NAXOS / CD / DDD / AD 2016-17 / Best. Nr. SSM1015)
Gesamtspielzeit: 78:08
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IVES, DER NOSTALGISCHE REBELL I
Der Komponist Charles Ives (1888 bis 1954), der erste originär amerikanische Komponist, gilt als "nostalgischer Rebell". Während er im Hauptberuf ein sehr erfolgreicher Versicherungsmakler war, folgte er privat seiner eigentlichen Berufung, der Musik. Finanziell unabhängig schuf er er abseits des recht konservativen amerikanischen Musikbetriebs ein Werk, das ihn durch seine originäre Verbindung von spätromantischer und avantgardistischen Klangwelten zu einem der großen Komponisten des 20. Jahrhunderts machte.
Ähnlich wie Gustav Mahler scheute auch Ives sich nicht, vorgeblich Erhabenes und scheinbar Triviales zusammenzubringen; Quellen seiner Inspiration waren die großen Meister der abendländischen Tradition (wie Bach, Mozart, Beethoven, Wagner oder Chopin) nicht weniger als die christlichen Hymnen, Songs, Märsche und Ragtime-Schöpfungen seiner amerikanischen Heimat. In der Kombination dieser beiden Welten erfand Ives zahlreiche Verfahren, die erst später zu Kennzeichen der sogenannten "Neuen Musik" werden sollten.
Da findet sich unerhört Polyrhythmisches, Poly- und Atonales, ja bereits Mirkotonales; da werden Collagen unterschiedlichster Musiken in- und übereinander gelagert, verschmolzen, und geradezu filmschnittartig montiert. Ives Musik klingt heute oft nicht minder radikal, aufrührerisch und im besten Sinne "rebellisch" wie vor 100 Jahren und ist zugleich eingebettet in einen Klangraum, der oft noch ganz vertraut klingt, ja gerdezu heimelig anmuten kann.
Diese Mischung kann man besonders schön erleben in seinen beiden vollendeten großen dreisätzigen Orchestral Sets und seiner "5. Sinfonie", dem viersätzigen Orchesterzyklus New England Holidays. Die drei Werke beschwören Erinnerung an Situationen, Orte und Feiertage von Ives Heimat, die Ostküstenstaaten der USA, herauf und sind mit die bekanntesten klingenden Visitenkarten des "nostalgischen Rebells".
Seattle Symphony hat jetzt unter der bewährten Leitung von Ludovic Morlot seinen Ives-Zyklus mit diesen Werken forgesetzt. Nach der fulminanten Einspielung der 3. und 4. Sinfonie folgen damit weitere Hauptwerke Ives.
Was diese Interpretationen auszeichnet, ist ohne Zweifel ein ungemeiner Klangsinn, ein Gespür für Stimmung und Atmosphäre. Morlot geht die Musik eher bedachtsam an und nimmt sich Zeit, all die orchestralen und harmonischen Details herauszuarbeiten. Davon profitieren vor allem die reichlichen getragenen, lyrischen, "pittoresken" Momente von Ives Musik, die selten einmal so (im besten Sinne) geisterhaft und zwielichtig geklungen haben dürften. Man fühlt sich stellenweise wirklich wie in einer Geschichte von Nathaniel Hawthorne oder Henry James. Dem nostalgischen Phantastiker Ives werden die Interpreten wahrlich gerecht.
Nicht ganz so überzeugend geraten die besagten "trivialen" Elemente: Hier agieren die Musiker ein klein wenig zu bedachtsam. Die "dionsysische" Kraft der Märsche mit ihren bewusst komponierten falschen Einsätzen und verrutschten Tönen z. B mag sich nicht recht entfalten. Es ist alles hörbar, es wirkt aber manchmal etwas zu analytisch (so "verpufft" die große Orchesterexplosion im Forth-of-July-Satz der Holiday-Symphony trotz der gewaltigen finalen Klangmassierung, weil die "Zündung" zu träge abläuft).
Ohne Zweifel hat Ives seine Musik kunstvoll konstruiert und nicht willkürlich Material aufgehäuft. Doch geht es bei all den bekannten Tänzen, Melodien und Marschrhythmen auch um die Entfesslung archaischer Kräfte und archetypischer kollektiver Bewusstseinsinhalte. Morlot und das Seattle Symphonie wahren jedoch eine stiliserende Zurückhaltung, statt der Musik auch mal die Zügel schießen zu lassen. So klingt die Musik in diesen Passagen weniger rebellisch als ebenfalls "nostalgisch": Als würde man eine etwas verblichene Fotografie hinter Glas betrachten.
Trotz der genannten faszinierenden Klangeindrücke bleiben darum, was den "Rebellen" Ives angeht, die Einspielungen von Michael Tilson Thomas (v. a. "Three Places in New England" sowie seine jüngste Einspielung der "Holiday Symphony") oder auch die auf sehr hohem Niveau angesiedelte Ives-Naxos-Edition, für die insbesondere Dirigent James Sinclair verantwortlich zeichnet, für diese Stücke die Ives-Referenz.
Georg Henkel
Trackliste |
01-03 Three Places in New England
04-06 Orchestral Set No. 2
07-10 New England Holidays |
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Besetzung |
Seattle Symphony and Choral
Ludovic Morlot, Leitung
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