The Hyperion Machine - Interview mit Rome-Mastermind Jerome Reuter
Info |
Gesprächspartner: Rome
Zeit: 20.08.2016
Interview: E-Mail
Stil: Alternative Rock / Neofolk / Rock
Internet: http://www.rome.lu
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Die aus Luxemburg stammende Band Rome gründete sich 2005 als Ein-Mann-Projekt des charismatischen Jerome Reuter. Seit jeher sehr fleißig (seitdem wurden elf Alben und einige EPs veröffentlicht), legte man seit dem 10-jährigen Jubiläum letztes Jahr noch einen Zahn zu, erschien doch in den letzten zwölf Monaten eine umfangreiche Retrospektive der ersten zehn Jahre, dann das Minialbum Coriolan und nun gleich wenige Monate später das nächste Album The Hyperion Machine. Und um all das zu krönen, geht das inzwischen zur Band mutierte Projekt zum Jahresende auch noch auf eine umfangreiche Tournee.
Wie viele der Rome.Alben setzt sich auch The Hyperion Machine intensiv mit einer klassischen Literaturvorlage auseinander. In diesem Fall mit Hölderlins “Hyperion”. Textlich liefert Jerome Reuter seine typischen Texte, die sich zumeist eng an die Vorlage halten, aber trotzdem immer wieder Raum für Bezüge zur Gegenwart lässt und aufweisen. Jerome betont immer aufs Neue, dass er Rome nicht als politische Band sieht, jedoch ist die sozialkritische Haltung deutlich spürbar. Musikalisch reift der Sound der Band immer mehr zur ausgefeilten Rockmusik, auf Grund seiner Arbeit mit Geräuschen und Sprachsamples und der Tatsache, dass die Stücke größtenteils ineinander übergehen, zum Artrock. Die früher deutlich im Vordergrund stehenden Folk- und Neofolkklänge sind nach wie vor vorhanden, doch inzwischen in den Hintergrund gewichen. Es ist also eine Menge los im Rome.Umfeld. Grund genug, Jerome Reuter ein paar Fragen zu stellen:
Wolfgang Kabsch (WK): Hallo Jerome, erst einmal möchte ich Dir zu Deinem gelungenem neuen Album The Hyperiom Machine gratulieren und mich schon einmal vorab dafür bedanken, dass Du Dir ein wenig Zeit für meine Fragen nimmst.
Jerome Reuter (JR): Gerne doch.
WK: Zunächst einmal staune ich über Deine unglaubliche Produktivität. Seit 2005 hast Du mit dem Projekt Rome bereits elf Alben, von denen eines sogar ein 3-Fach-Album war, sowie einige weitere Singles und EPs produziert. Woher nimmst Du all diese Ideen?
JR: Naja, das täuscht. Im Schnitt macht das ein Song im Monat. Das klingt jetzt nicht nach viel Arbeit, oder? Diese Arbeit ist sehr erfüllend, von daher geht man ihr gerne nach.
WK: Erzähle doch bitte einmal etwas zur Entstehung des Projektes Rome. Was hast Du vorher gemacht und wie kam es dann zu Rome?
JR: Ich habe in den unterschiedlichsten Bands gespielt seit ich 13 bin. Punk, Metal, Postpunk, etc. Rome habe ich dann 2005 angefangen, nachdem die letzte Band in der ich war in die Brüche ging. Es gab damals ehrlich gesagt überhaupt keine Zielsetzung im Sinne von "das wird jetzt ne Band" oder so. Es war einfach ein Studioprojekt das ich aus Spaß an der Freud' gestartet hab. Naja, im Laufe der ersten paar Jahre wurde daraus dann etwas Ernsthafteres.
WK: Du hast gerade Anfang 2016 erst das Mini-Album Coriolan, welches auf Shakespeares "Coriolanus" basiert, veröffentlicht. Nun folgt wenige Monate später The Hyperion Machine. Erstaunlich ist bei diesen beiden Werken der große stilistische Unterschied. Sind diese beiden Arbeiten trotzdem quasi gleichzeitig entstanden?
JR: Ja, so in etwa. Ich hatte Coriolan als Konzept vorliegen, aber irgendwie fand ich das für einen Longplayer zu dünn. Gleichzeitig hatte ich auch die Idee zu The Hyperion Machine. Zuerst wollte ich noch beides vermischen, aber es war dann schnell klar, dass ich das splitten muss.
WK: Musikalisch fällt mir auf, dass der Sound von Rome über die Jahre immer ein wenig voller wurde und die früher stark im Vordergrund stehenden folkloristischen Ansätze gegenüber den eher rockigen ein wenig in den Hintergrund treten. Ist dies eine bewusste Entscheidung oder resultiert dieser Wandel eher aus der Tatsache, dass Deine Möglichkeiten heute andere sind?
JR: Rome ist live mittlerweile ja fast schon eine reguläre Rockband, das hat nur noch wenig mit den Anfängen zu tun. Ich war nie ein Freund von Computern auf der Bühne und ich konnte mich auch nie mit dem Backing-Tape anfreunden das es in den Anfangstagen noch gab. Rome war mein "Soloprojekt", ich hatte noch keine Band drumrum gebaut und dementsprechend hilflos wirkten die ersten Auftritte. Mittlerweile haben die Live-Gigs eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Das ist für mich irgendwo auch getrennt von den Alben, auf denen ich mich austobe wie ich es grad für nötig halte. Dennoch ist meine musikalische Umgebung durch das Zusammenspiel mit meinen Musikerkollegen geprägt und das findet mittlerweile unweigerlich auch den Weg auf die Platten.
WK: The Hyperion Machine ist eine sehr präzise Aufarbeitung der Hyperion-Briefromane von Hölderlin. Wie erarbeitest Du die Texte bei solchen Literaturbearbeitungen?
JR: Ich würde diese Aufarbeitung nicht unbedingt als präzise bezeichnen. Sowie Heiner Mèller in seiner "Die Hamletmaschine" mit Shakespeare umging, so muss man sich das hier vorstellen. Es herrscht da doch ein äußerst freier Umgang mit Originaltexten. Hyperion ist ja nur die eine Hälfte. Es ist mehr eine Collage aus aktuellen Stimmungsbildern die irgendwo zueinander gehören. Ich wollte mich absichtlich nicht zu sehr von einem Konzept einengen lassen. Das hätte der Sache die nötige Luft genommen.
WK: Entstehen bei Dir zuerst die Texte oder zuerst die Musik?
JR: Das ensteht beides gleichzeitig, aber nur in unzusammenhängenden Fragmenten. Das muss man dann einsammeln wie Teekrümel und anschliessend gießt man im Studio dann das heiße Wasser drauf, um die Sache genießbar zu machen.
WK: Erzähle doch bitte ein wenig über die Entstehung und Deine eigenen Gedanken zu The Hyperion Machine.
JR: Oh je. Da tu ich mich immer sehr schwer. Ich hab was gegen Beipackzettel und Gebrauchsanweisungen.
WK: Ein großes Thema im Rome-Kontext ist ja seit jeher der Krieg, beziehungsweise das Leid und die Veränderungen, die daraus resultieren. Auf dem neuen Album scheinen mir Deine Ansätze etwas von der eher objektiven Sichtweise früherer Alben zu subjektiven übergegangen zu sein. Liege ich da richtig, und wenn ja, wie kommt es dazu?
JR: Das kann schon sein, ja. Ich denke viele von uns fürchten, dass der nächste Krieg stetig näher rückt. Damit ist das Thema raus aus den Geschichtsbüchern und in der Aktualität gelandet.
WK: Ich finde es erstaunlich, wie Du es schaffst, aus einem Jahrhunderte altem Text Bezüge zum aktuellen Zeitgeschehen zu schaffen. So beschreibt der Song „The secret Germany“ einerseits sehr präzise den Teil der literarischen Vorlage, in welcher sich Hyperion nach Deutschland zurückzieht um als Eremit sein Heil in der Natur zu suchen, andererseits höre ich auch eine gewisse Angst davor heraus, dass sich in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern und den USA, wieder völkische und gewaltbereite Menschen aufschwingen und den inneren, aber auch den äußeren Frieden gefährden. Fließt dieser Kontext bewusst oder wie von selbst mit in Deine Texte ein?
JR: Das ist zunächst mal unbewusst, ja. Da fallen die Puzzlestücke fast unbemerkt zusammen und man geht da eher intuitiv ran. Später merkt man dann (hoffentlich), dass es sogar Sinn ergibt. Damit will ich sagen, dass ich die nötige Distanz zu einem Text beispielsweise erst nach und nach kriege. Ich mache das meiste einfach aus dem Bauch heraus.
WK: Schaut man auf die aktuelle Lage vor allem in Europa, gewinnen Deine früheren Alben, insbesondere „Flowers from the exile“, welches die Flüchtlings- und Integrationsfrage sehr intensiv anspricht, fast prophetischen Charakter. Andererseits bezeichnest Du Rome selbst als unpolitische Band. Würdest Du Dich selbst denn als politischen Menschen bezeichnen?
JR: Ja. Ich habe eine Meinung zu den Dingen. Die findet zwar nicht unbedingt den Weg auf die Platten - oder nur bedingt, aber ich habe keine Message, ich bin kein Briefträger. Ich beziehe Stellung wenn Schweigen falsch ist, aber das macht Rome nicht zur politischen Band, obwohl das Wek ja in Teilen äußerst politisch ist. Was ich an politischer Kunst nicht mag ist die Trennung, die unweigerlich im Publikum erfolgt. ich bin mehr daran interessiert Menschen zusammenzuführen, Brücken zu bauen. Es gibt sowas wie verschüttete Verbindungsgräben zwischen den Nationen und zwischen politischen Fraktionen, die verschüttet sind, und deren Aufzeigen allein enorme Sprengkraft besitzt.
WK: Einige Deiner Texte, und auch Großteile Deiner Songs, sind von Melancholie und einer eher pessimistischen Sicht auf die Menschheit und das Leben geprägt. Wie ist Deine private Lebenseinstellung geprägt?
JR: Ich bin kein Pessimist und ich denke auch nicht, dass mein Schaffen irgendwie von Pessimismus geprägt ist. Ich bin auch kein Idealist, bzw. schon, insofern ich mich nach einem Ideal sehne. Alles ist fließend. Ich setze mich mit der Welt in meinem Werk auseinander. Ich versuche die ansonsten von mir fernzuhalten um an mir selbst arbeiten zu können. Da fängt ja bekanntlich jede wahre Veränderung an.
WK: Du setzt in Deiner Musik häufig Samples aus alten Filmen, gesprochene Passagen aus alten Gedichten oder Liedern ein. Wie entscheidest Du, wo Du welche Texte einsetzt?
JR: Das findet sich irgendwie zusammen. Ganz natürlich. Der größte Teil der Arbeit ist das Sammeln von Material. Das muss man dann in offenen Säcken die Treppen runterschmeissen und kucken wie das unten ankommt.
WK: Hölderlin setzt sich in Hyperion sehr stark mit dem Thema Einsamkeit bzw. dem Zusammenleben mit anderen Menschen oder doch lieber nur mit sich und der Natur auseinander. Wie stehst Du persönlich dieser Thematik gegenüber?
JR: Es gibt ja den Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein. Letzteres ist für mich in rationierten Portionen eine absolute Notwendigkeit. Ich könnte beispielsweise nie mit jemand anderem schreiben. An dem Geschriebenen arbeiten schon, oder an der Musik, aber die eigentliche Arbeit entsteht alleine.
WK: Würdest Du sagen, dass die in Hölderlins Hyperion beschriebenen Situationen und Zustände durchaus mit den heute in Europa stattfindenden Veränderungen vergleichbar sind?
JR: Naja, solche Werke schimpft man ja Klassiker, weil sie irgendwo immer einen aktuellen Bezug haben. Und natürlich liest man das mit den Augen von heute. Man weiß um die Entstehungsgeschichte, um die Unterschiede, aber eben auch um die vielen Parallelen zu heute. Es liegt mir aber grundsätzlich fern zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu trennen. Das ist alles gegenwärtig. Die deutsche Sprache hat sich natürlich zwischenzeitlich deutlich gewandelt, aber das ist wie mit einem fremden Dialekt, das erschwert nur am Anfang den Zugang vielleicht, bis man sich etwas reingehört hat. Und dann merkt man, dass das was da steht, auch heute so geschrieben werden könnte. Also was die Haltung angeht.
WK: Hast Du diesen Text inspiriert durch die aktuelle Situation ausgewählt oder fanden eher aktuelle Ereignisse Einfluss in das klassische Werk?
JR: Das hat sich beides so ineinander verwoben. Als ich mit der Platte Anfang waren wir grad auf dem Höhepunkt der "Griechenlandkrise", mittlerweile dominiert die "Flüchtlingskrise" die Aktualität... an solchen Sachen kommt man nicht vorbei. Man kann sich ja nur bedingt in der Kunst abschotten.
WK: Wie komponierst Du?
JR: Mit Bleistift.
WK: Du benutzt in den oben genannten Samples, aber auch bei einigen Songs die deutsche Sprache. Wie entscheidest Du, wann Du diese einsetzt und aus welchem Grund?
JR: Jede Sprache birgt eine bestimmte Haltung und Kultur. Das muss man respektieren. Vieles bleibt unübersetzbar. Da bleib ich dann beim Original.
WK: Im Studio arbeitest Du ja weitgehend allein. Ist es für Deine Tourband nicht schwierig, anschließend Deine Ideen 1:1 auf der Bühne umzusetzen?
JR: Schwierig bis unmöglich. Deshalb versuchen wir das meist auch erst gar nicht. Wir tasten uns da ran und versuchen was ähnliches aufzustellen, aber das folgt anderen Regeln. Die Platten muss man meiner Meinung nach auch nicht unbedingt detailgetreu nachbauen live. Die Songs werden ja auch in einen völlig neuen Kontext geworfen. Den Platz den sie auf dem Album haben müssen die sich auf der Bühne erst verdienen, und sich als Einzelkämpfer beweisen. Da kommen nicht immer alle durch.
Diskografie | 2006: Berlin (MCD)
2006: Nera (CD)
2007: Confessions d’Un Voleur d’Ames (CD)
2008: Masse Mensch Material (CD)
2009: To Die Among Strangers (Single)
2009: Flowers from Exile (CD/Vinyl)
2010: L'Assassin (Single)
2010: Nos Chants Perdus (CD/Vinyl)
2011: Our Holy Rue / The Merchant Fleet (10")
2011: Die Æsthetik der Herrschaftsfreiheit (3CD)
2012: Fester (Single)
2012: Hell Money (CD)
2014: Hate US And See If We Mind (MCD)
2014: A Passage To Rhodesia (Box Set) including My Traitor's Heart (10" Picture disc), House Of Stone (CD)
2015: A Passage to Rhodesia (CD/Vinyl)
2015: Anthology 05 - 15 (CD / Vinyl, Compilation)
2016: Coriolan (CD-Mini-Album)
2016: The Hyperion Machine
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| WK: Was sind Deine größten musikalischen und literarischen Einflüsse?
JR: Die tiefen Melancholiker, die unverbesserlichen Choleriker und die rastlosen Zweifler.
WK: Mit welchen Künstlern würdest Du gern mal zusammenarbeiten?
JR: Die sind leider schon alle verstorben.
Zum Glück sind Rome jedoch quicklebendig und dementsprechend kann man nur empfehlen, eines der anstehenden Konzerte zu besuchen. Und natürlich sollten interessierte Musikfans, die auf der Suche nach Alben sind, die Stoff für den Kopf in Text und Ton bietet, sind, sich einmal den Backkatalog der Luxenburger zu widmen. Und man darf weiter gespannt sein, wie sich die Band weiter entwickeln wird!
Wolfgang Kabsch
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