Musik an sich


Artikel
Malerisches Fränkisches Seenland und handfester Rock: Lieder am See 2015




Info
Künstler: Lieder am See 2015

Zeit: 15.08.2015

Ort: Brombachsee

Veranstalter: Concertbüro Franken

Internet:
http://www.liederamsee.de

Das Festival „Lieder am See“ gibt es mittlerweile seit fünf Jahren und wird vom Concertbüro Franken und dessen Chef Peter Harasim organisiert. Im vergangenen Jahr wollte ich mir die Holländer Golden Earring in Dortmund, dem einzigen Konzert in Deutschland, anschauen. Leider wurde der Termin zwei Wochen vorher ohne Angabe von Gründen abgesagt. Nachdem die Bands für das „Lieder am See“-Festival bekannt gegeben wurden und sich Golden Earring darunter befand war für mich sofort klar: Da muss ich hin! 2014 war ich auf dem Pyras-Rock-Festival, das auch vom Concertbüro Franken organisiert wird. Hier hat alles gepasst, es war eins der besten Festivals, wo ich bisher war.

Das Wetter ist warm, aber bewölkt, als wir am Strandbad eintrudeln. Interessant ist die Mischung, da einige der Parker nur zum Baden gekommen sind. Aber auch einige der Festivalbesucher tragen ihre Körbe mit Essen und Getränken sowie Liegen mit sich. Auch hier ist wie auf dem Pyras Rock für alles gesorgt. Es gibt eine breite Palette von Essensangeboten, die meist von regionalen Anbietern stammen. Getränketechnisch hat die Spalter Brauerei alles im Griff und diverse Verkaufsstände für CDs und Schallplatten, Tücher und Schmuck und einige Stände diverser Umweltorganisationen, darunter der von Sea Sheppard, sind mit am Start. Preistechnisch geht das alles in Ordnung, ein Festivalshirt kostet 15 Euro. Das Festivalgelände selbst ist ein Traum. Es liegt direkt am Ufer des malerischen Brombachsees und wenn man möchte, kann man dort baden. Während des Festivals können sogar Fahrten mit der MS Brombach, einem Raddampfer der direkt hier vor Anker liegt, unternommen werden. Kostenpunkt: 2 Euro. Ein riesiger Biergarten rundet das Ganze ab, hier kommt garantiert jeder auf seine Kosten.


WILLY MICHL, der „legendäre“ Münchener Isarindianer, beginnt bereits um 14 Uhr. Der Liedermacher ist so gar nicht meine Baustelle. Etwas abseits von der Bühne höre ich mir ein paar seiner Sachen an. Er bluest und folkt ein bisschen, politisiert und polarisiert sehr stark und bringt seine Botschaften unters Volk. Dafür bekommt er mal mehr, mal weniger Applaus. Musikalisch ist das Ganze eher einschläfernd bis langweilig, mir gefällt es nicht besonders. Bei einem Teil des Publikums kommt seine Musik gut an, er verabschiedet sich nach einer Stunde.


Um 16 Uhr stehen die runderneuerten TEN YEARS AFTER auf dem Programm. Der ehemalige Sänger und Gitarrist Joe Gooch und der legendäre Bassist Leo Lyons haben sich aus der Band ausgeklinkt und ihr eigenes Projekt Hundred Seventy Split gegründet. Dafür sind der renommierte Bassist Colin „Bomber“ Hodgkinson sowie der Solokünstler Marcus Bonfanti (Gitarre, Gesang) mit an Bord. Der Sound ist hervorragend, als das Quartett die Bühne betritt. Die beiden Ur-Mitglieder Chick Churchill (Keyboards) und Ric Lee (Schlagzeug) scheinen kaum gealtert zu sein, auch Colin Hodgkinson hat sich seit den Auftritten mit der Miller Anderson Band kaum verändert. Marcus Bonfanti präsentiert sich mit fetter 80er Jahre-Gedächtnis-Sonnenbrille, Bart und langen schwarzen Zotteln wie der Rockstar schlechthin. Doch was hat er gesanglich und gitarrentechnisch so drauf?
Der Gesamtsound ist hervorragend, wie bei allen weiteren Bands auch. Die Mischung aus Churchills schneidiger, beißender Hammond-Orgel und der roten Gibson SG von Marcus Bonfanti ist der Hammer. Ric Lees Schlagzeugspiel ist hervorragend und überaus druckvoll. Colin Hodgkinson kann Leo Lyons schon aufgrund seiner Bühnenpräsenz und seines unverwechselbaren Spiels nicht ersetzen. Aber er bringt durch einen satten, knackigen Bass-Sound einen völlig neuen Aspekt in die Musik der Band. Noch dazu spielt er fast alles mit dem Plektrum, was auch wieder anders klingt. Der Oberhammer ist für mich die Stimme von Marcus Bonfanti. Er singt ähnlich wie Jim Morrison von den Doors, wobei er noch mehr Wucht und eine etwas rauere Stimme als der legendäre Frontmann hat.
Während des 75-minütigen Gigs spielt er sehr rotzig und wuchtig seine Gitarrenparts und schont sich dabei zu keiner Sekunde. Es gelingt ihm problemlos, die deutlich älteren Musiker seiner Band anzustecken. Ein Solo, dass er synchron mit Colin Hodgkinson abliefert, ist phantastisch und sehr unterhaltsam. Vor allem Chick Churchill scheint regelrecht aufzublühen und bietet Orgel-Passagen, die sehr aggressiv sind. Es findet ein Duell auf der Bühne zwischen ihm und Bonfanti statt, wie früher zwischen Ritchie Blackmore und Jon Lord von Deep Purple. Gesanglich meistert Bonfanti sämtliche Parts mühelos, wobei er auch bei ruhigeren Songs wie „I’d love To Change The World“ eine gute Figur macht. Mir gefallen am besten „Good Morning Little Schoolgirl“ und das überragende „Journey Through The Centre Of My Mind“. Zum Abschluss wird das legendäre „Going Home” geboten, das beim Publikum sehr gut ankommt, ich aber mittlerweile durch zwei Hundred Seventy Split-Auftritte heuer schon zu oft live gehört habe.
Für mich war das definitiv der beste Auftritt des Tages. Im direkten Vergleich zu Hundred Seventy Split gefallen mir TYA wesentlich besser, was vor allem an einem überragenden Marcus Bonfanti und dem sägenden Orgel-Sound von Chick Chruchill liegt, der bei HSS irgendwie fehlt. Die sympathische Band ist kurz nach dem Auftritt am Merchandise-Stand und unterschreibt alles, was ihnen vorgelegt wird.

Ungefähre Setlist:
Sugar the Road
One of These Days
I'm Coming On
Hear Me Calling
I'd Love to Change the World
Me and My Baby
Working on the Road
Colin's Thing (bass solo)
50,000 Miles Beneath My Brain
Love Like a Man
I Say Yeah
Good Morning, Little Schoolgirl (Sonny Boy Williamson cover)
I'm Going Home


Um 18 Uhr steht ALBERT HAMMOND auf dem Programm. Doch ein ziemlich großer Kontrast wenn man bedenkt, wie brachial der Auftritt von TYA war. Albert Hammonds Truppe ist teilweise mit schwarzen Hemden bekleidet, auf die Blumen aufgestickt sind. Musikantenstadelalarm? Etliche „Rocker“ in Lederkutten verlassen jetzt den vorderen Bereich der Bühne, der weibliche Anteil nimmt deutlich zu.
Albert Hammond und seine Truppe versprühen jedoch von Beginn an große Spielfreude und Leidenschaft für die eigenen Songs. Mit „Everything I Want To Do“ startet der Reigen von Hits, die Albert Hammond vorzuweisen hat. Hin und wieder macht er einen Scherz oder spielt Songs auf Zuruf. Albert Hamond singt sehr gut und spielt dazu eine akustische Gitarre. Er ist der Chef im Ring, seine Musiker sind bestens eingespielt. „Down By The River“ wird von ihm als erster „Umwelt-Song“ vorgestellt. Wer sich die Mühe macht den Text zu übersetzen, wird erstaunt sein. Überhaupt ist es interessant, mit wem und für wen er bereits alles Songs verfasst hat. Ein paar Anekdoten erzählt er hier, aber er hält sich vergleichsweise kurz. Wer die Möglichkeit hat, ihn auf einem Einzelkonzert anzuschauen, sollte dies tun. Hier erzählt er noch ein bisschen mehr Details, die wirklich interessant und lustig verpackt sind.
Sein 60er-Jahre-Akustik-Special, das aus „Freedom Come, Freedom Go“ und „Little Arrows“ besteht, sorgt für entspannte, positive Stimmung im Publikum. Da er einige Songs auf Zuruf gespielt hat, kann er seine größten Hits in der regulären Spielzeit nicht spielen. Er bespricht dies kurz mit dem Veranstalter und legt noch eine Zugabe bestehend aus „The Free Electric Band“, „It Never Rains In Southern California“ und „The Air That I Breath“ nach. Alle drei Songs werden vom Publikum enthusiastisch abgefeiert. Albert Hammond grinst spitzbübisch bis über beide Ohren und verlässt unter riesigem Beifall die Bühne.

Ungefähre Setlist:
Everything I Want to Do
Down by the River
I Don't Wanna Live Without Your Love
Careless Heart
Don't You Love Me Anymore
Little Arrows
Freedom Come, Freedom Go
Good Morning Freedom
New York City Here I Come
Smokey Factory Blues
The Day the British Army Lost the War
When I'm Gone
The Best Time Of My Life
The Peacemaker
I Don't Wanna Lose You
One Moment in Time
I'm a Train
It Never Rains in Southern California
The Free Electric Band
The Air That I Breathe


Nun sind THE SWEET an der Reihe, die sich heuer auf ihrer Finale-Tour befinden und ihre Karriere nach dieser Konzertspielreise an den Nagel hängen werden. Los geht’s mit „New York Groove“, das vom Publikum eher verhalten aufgenommen wird. Ich finde den Song als Opener eher unpassend, da er zu langsam ist. „Hell Raiser“ kennen die meisten wieder und die Party kann beginnen. Pete Lincoln, der etatmäßige Sänger und Bassist muss im August gesundheitlich pausieren und wird durch einen jüngeren Musiker ersetzt, der Gitarre und Keyboards spielt. Den Hauptgesang übernimmt der altbekannte Tony O’Hora, der dazu noch Bass spielt. Ur-Mitglied Andy Scott hat es sich auf der linken Bühnenseite bequem gemacht, im hinteren Bereich bearbeitet Bruce Bisland sein riesiges Schlagzeug.
Die Setlist besteht aus altbekannten Hits und Liedern, die eher nicht so häufig gespielt werden wie „The Six Teens“ oder das wuchtige „Turn It Down“. Wegen mir hätten sie ruhig noch mehr Songs der Sweet Fanny Adams-Scheibe bringen können. Das Konzert wird routiniert runtergezockt. Musikalisch gibt es nicht viel zu mäkeln, außer: Die Lieder werden eher verhalten und mit angezogener Handbremse gespielt. Es fehlt die Wucht und Spritzigkeit, für die The Sweet bekannt sind. Andy Scott bringt mit typisch-britischem Humor ein paar lustige Ansagen, die sich vor allem auf das Wetter beziehen. Es beginnt zu regnen und er meint, dass er hofft, nicht von der Bühne schwimmen zu müssen.
„Fox On The Run“ und „The Ballroom Blitz“ sorgen für das Ende des Gigs. Im Anschluss daran zwickt Andy Scott mit einer Zange zwei Saiten seiner E-Gitarre ab und verlässt anschließend die Bühne. Der Applaus fällt im Vergleich zu den anderen Bands eher verhalten aus. Man merkt, dass der Lack mittlerweile ab ist und es Zeit wird, die Band zu Grabe zu tragen. Vollgas sieht anders aus!

Ungefähre Setlist:
New York Groove
Hell Raiser
Turn It Down
The Six Teens
Peppermint Twist
Wig-Wam Bam
Little Willy
Teenage Rampage
Love Is Like Oxygen
Fanfare for the Common Man
Love Is Like Oxygen
Block Buster!
Fox on the Run
The Ballroom Blitz


Nun kommt der Auftritt, auf den der Großteil des Publikums inklusive mir am meisten gewartet haben dürfte. Die wohl bekannteste holländische Rockband GOLDEN EARRING steht um 22 Uhr auf dem Programm. Mittlerweile wird der Regen so stark, dass sich einige Teile des Publikums mit Regenponchos versehen, ein anderer Teil verlässt das Gelände. Ich befürchte einen Konzertabbruch, es regnet aus Kübeln. Trotz der widrigen Umstände betreten Golden Earring um 22 Uhr die Bühne. Ich bin sehr gespannt, da ich mir nicht vorstellen kann, wie sich die bei uns sehr selten spielenden Holländer präsentieren. Der letzte mir bekannte Auftritt war 2006 in München auf dem Tollwood-Festival.
Die Band kommt leichtfüßig aus dem Backstage-Bereich. Hier schlendert oder humpelt keiner, die laufen schnurstracks und kerzengerade zu ihren Instrumenten und legen brachial mit „Identical“ los, dem ersten Song des letzten Albums Titts N Ass. Der Sound leidet ein bisschen unter dem starken Regen, der jedoch in der Hälfte des Sets nachlässt. Barry Hay singt beeindruckend gut. Sein raues, kraftvolles Organ hat keinerlei Einbußen zu verzeichnen. Dabei versprüht er die Bühnenpräsenz eines angeschlagenen tätowierten Bikers, der jederzeit zum Schlag ausholen könnte. George Kooymans singt ebenfalls ausgezeichnet und spielt eine rustikale, aggressive Lead-Gitarre, die den Songs den typischen Earring-Sound verpasst. Auf der linken Bühnenseite spielt sich Bassist Rinus Gerritsen mit diversen Bass-Modellen förmlich in einen Rausch. Er scheint sich während des Konzerts auf einen ganz anderen Planeten zu befinden. Beeindruckend ist das Schlagzeugsolo von Cesar Zuiderwijk, der meist wie ein Honigkuchenpferd grinst. Dabei verdrischt er wuchtig seine Felle und zeigt, was er alles drauf hat. Es gibt kaum Ansagen, die Songs werden förmlich am Fließband rausgehauen.
Als Barry Hay nach „Another 45 Miles“ verkündet, dass er nicht sagen kann, wie lange sie spielen werden, da die Boxen anscheinend schon erste feuchtigkeitsbedingte Ausfallerscheinungen haben, wird mir Angst und Bange. Da bereits an vierter Stelle „Twilight Zone“ gespielt wird, befürchte ich das Schlimmste. Zum Glück nimmt der Regen ab. Zwischenzeitlich tropft es sogar durch die Bühnendecke. Cesar Zuiderwijk wird von einem Roadie während seines Solos mit einem Regenschirm vor dem Wasser geschützt.
Die Spielfreude und Begeisterung der Band steckt an. Das total durchnässte und frierende Publikum taut so langsam auf und feiert die Holländer. Die neuen Songs der Titts N Ass-Scheibe fügen sich super in die Klassiker ein und sind stimmungsmäßig ebenbürtig. Das Highlight des Abends ist für mich die Ballade „Goint To The Run“. Sie ist einem der Band bekannten Hells-Angels-Mitglied gewidmet, der sich aufgrund zuviel Alkoholkonsums mit seinem Motorrad das Leben genommen hat. Hier wirkt der Gesang von Barry Hay und George Kooymans außerordentlich gut und sorgt für zusätzliche Gänsehaut im Publikum.
Der entrückte Rinus Gerritsen sorgt mit einem durchgeknallten Bass-Solo, dass er teilweise mit eingespielten Samples und unter Mithilfe von Cesar Zuiderwijk runterzockt für die Überleitung zum wohl größten Hit der Band, „Radar Love“. Auf „Radar Love“ freuen sich alle, das Bass-Solo hätte man sich jedoch sparen können. Es war weder qualitativ hochwertig noch besonders interessant. In dieser Zeit hätten locker zwei Songs mehr gespielt werden können. Danach verlassen die Musiker die Bühne, um mit „Jangalene“ und dem rockigen „Holy Holy Life“ noch zwei Zugaben zu geben. Danach ist nach 75 Minuten leider schon viel zu früh Schluss. Nach Zugaben wird nicht mehr verlangt, da die Band bereits die Bühne verlässt und die Lichter angehen. Über die Spielzeit bin ich etwas enttäuscht, hier hätten mindestens 90 Minuten sein müssen. Aber letztlich bin ich froh, dass der Gig nicht sprichwörtlich ins Wasser gefallen ist. Für mich und viele andere im Publikum war es ein einmaliges Highlight, die Holländer in unseren Breitengraden mal live zu sehen. Am besten fand ich, dass es diese Band tatsächlich noch bringt. Sie haben in meinen Augen einen gelungenen, fetzigen Auftritt hingelegt. Hut ab!
Nach dem Auftritt unterhalte ich mich am Merchandising-Stand mit einem Roadie von Golden Earring. Die Spielzeit ist wenn Golden Earring auf Festivals spielen, immer nur 75 Minuten. Wenn sie in der Halle spielen, beträgt die Spielzeit zwei Stunden. Von daher wäre ein Holland-Kurztrip inklusive Golden Earring-Konzert vielleicht doch noch mal eine Option.

Ungefähre Setlist:
Identical
Little Time Bomb
Another 45 Miles
Twilight Zone
Still Got the Keys to My First Cadillac
The Devil Made Me Do It
When the Lady Smiles
Going to the Run
Long Blond Animal
Johnny Make Believe
Radar Love
Jangalene
Holy Holy Life


Veranstalter Peter Harasim hat es auch heuer wieder geschafft, ein rundum gelungenes Festival auf die Beine zu stellen. Organisatorisch alles perfekt, hier fühlt man sich wohl und kommt gerne wieder. Allein für die Verpflichtung von Golden Earring müsste man ihm einen Orden verleihen!



Stefan Graßl



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