Musik an sich


Reviews
Gordon, M. (Slagwerk Den Haag)

Timber


Info
Musikrichtung: Neue Musik Schlagzeug

VÖ: 27.06.2011

(Cantaloupe Music / Naoxs / CD / DDD / 2011 / Best. Nr. CA21072)

Gesamtspielzeit: 54:29



ACUSTCIAL ART

Timber ist ein strenges Hör-Exerzitium, eine Art selbstauferlegtes kompositorisches Reinigungsritual. Der Komponist Michael Gordon (Jg. 1963) suchte nach einem Weg, seinen Geist von den 'Ablagerungen' fester Tonhöhen und den Reizen farbiger Orchestrierungen zu befreien.

Ein Auftrag der niederländischen Gruppe Slagwerk Den Haag bot ihm die Gelegenheit für ein Stück, bei dem jeder der sechs Spieler ein einziges, ungestimmtes Instrument spielen sollte. Aber welches? Nach längerem Suchen fand Gordon eine geradezu archaische Lösung: Simantras. Was wie schlichte Holzlatten aus dem Baumarkt aussieht (vor allem, wenn sie über den entsprechenden Holzböcken liegen), ist eigentlich ein Instrument aus der Orthodoxen Kirche. Im Grunde sind es „Holzglocken“, die höher oder tiefer klingen. Schon Xenakis hat den besonderen Reiz dieser Instrumente für sein Schlagwerkstück Persephassa genutzt. Wegen der reichen Obertöne der Simantras ist der Effekt eindrucksvoll. Gordon lässt diese Obertöne zusätzlich über Kontaktmikrofone verstärken. Der auf diese Weise verlängerte Nachhall vertieft zudem die räumliche Dimension der Musik.

Die sechs Spieler von Slagwerk Den Haag stehen im Kreis und bearbeiten zunächst je ein und später auch zwei Simantras mit ihren Schlägeln in allerlei polymetrischen und polyryhtmischen Überlagerungen, mit stetig wechselnder Dynamik und Anschlagsdichte. Das Ergebnis ist ein Pointilismus, der dem Ohr Erlebnisse beschert, wie man sie in bildenen Kunst aus der Op(tical)-Art kennt: Ein wahrer Pattern-Rausch, bei dem Vorder- und Hintergrund, real geschlagene und virtuelle Ryhthmen nicht mehr zu unterscheiden sind. Alles flirrt, wirbelt, rauscht, hämmert, klopft, pulsiert – Acustical Art, sozusagen.
Die hochvirtuose Xylophonmusik des alten Königreichs Buganda klingt an, wobei Gordons Konzeption allerdings strenger ist und in der Nachfolge von Minimalisten wie Terry Riley oder Steve Reich steht. Timber klingt mitunter wie eine Schwarz-Weiß-Verion von Rileys „In C“. Vor allem der Beginn denkt man an die „Pulses“-Phasen, mit denen viele Reich-Stücke beginnen. Die Illusions-Rhythmik verweist dagegen auf Komponisten wie György Ligeti (der sich in seiner „maximalen Minimalmusik“ auf Reich und Riley bezog).

Gordons Timber bewegt sich zwischen diesen Welten. Das Stück besteht auf fünf längeren Abschnitten, die bruchlos miteinander verbunden sind. Prozesse laufen ab, bei denen eine Gestalt, die sich aus mehreren Punkt-Schichten bzw. –mustern zusammensetzt, nach und nach in eine andere verwandelt wird. Synchrone Einsätze entwickeln sich langsam auseinander (wie das Phase-Shifting der Minimal Music); Schlagkaskaden überlagern sich und ziehen in einer Art „Doppler-Effekt“ am Ohr des Hörers vorbei, wobei sich die Einsatzabstände immer weiter verkürzen, bis es wirklich etwas von einem Holz-Wasserfall oder auf- und abspringenden Holzkugeln hat.
Wenn ein solcher Vorgang einen gewissen Sättigungsgrad erreicht hat, beginnt ein neuer. Das ganze Geschehen durchläuft dabei unterschiedliche Grade von Ordnung und Unordnung, wobei jedoch selbst die „chaotischsten“ Zustände durchhörbar gestaltet sind. Das Ohr kommt immer mit.
Gordon lotet wirklich alle Möglichkeiten und Grenzen seines Materials aus – es bleibt aber, ganz im Sinne des Komponisten, auch ein streng regulierter, kontemplativer Trip. Gordon hat mit Timber ganz offenkundig die gewünschte „Wüstenerfahrung“ gefunden. Und für die sollte auch der Hörer offen sein.

Canteloupe hat die CD sehr ästhetisch in einer Holzschatuelle mit Brandzeichnung verpackt. Wer sich vom Komponisten persönlich einführen lasse will, kann sich seinen Beitrag auf Youtube anschauen. Oder der Empfehlung des Labels folgen.



Georg Henkel



Besetzung

Slagwerk Den Haag: Simantras


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