Musik an sich


Reviews
Francesconi, Luca (Ono)

Ballata


Info
Musikrichtung: Neue Musik Oper

VÖ: 06.07.2011

(Stradivarius / Klassik Center Kassel / 2 CD / DDD / 2002 / Best. Nr. STR 57012)

Gesamtspielzeit: 140:52



MÄRCHENMUSIK

Zehn VokalsolistInnen, mehrere Chöre, elektronische Klänge und eine Zigeunerkapelle auf der Bühne. Allein diese Disposition macht die Oper Ballata von Luca Francesconi (geb. 1956) zu einem Luxus-Trip für die Ohren. Der Komponist schöpft die Möglichkeiten seines Riesenapparates kunst- und lustvoll aus. Auch wenn die Stereokompression der CD den raumgreifenden Effekt des Werkes schmälert, gerät man als Zuhörer doch in den Sog dieser vielschichtigen Musik. Keine Angst vor neuen Tönen! Diese hier darf, ja soll man nicht nur intellektuell, sondern auch sinnlich genießen.

Dass Francesconi dafür die Klangmittel des 20. und 21. Jahrhunderts ausgiebig nutzt, versteht sich. Aber er tut dies auf eine eingängige Weise. Die Konstruktion der Musik mag überaus komplex sein. Ihre Rezeption bereitet aber, trotz der Dichte, überraschend wenig Schwierigkeiten.
Es gibt zahllose Anklänge an alte und neue Meister, die allerdings in eine Musiksprache von stilistischer Geschlossenheit eingeschmolzen sind. Unter der mitunter ekstatisch bewegten Oberfläche der Musik manifestiert sich die Tradition der Großen Oper von Berlioz über Wagner, Verdi, Puccini und Debussy, Strauss, Zemlinsky, Schreker und Korngold: sinfonische Dichtung mit lyrischem, Belkantisches keinesfalls verschmähenden Gesang.
Dazu tritt dann ein postmoderner Polystilismus, der von Berg und Schönberg bis hin zum späten Luigi Nono reicht und in dessen Horizont auch das Volkslied, ja selbst Schlager und Musical ihren passenden Ort haben. Dass gerade Nonos „Prometeo“-Hörtragödie, die doch einer negativen, esoterischen Ästhetik verpflichtet ist, gleichsam Pate für die ätherischsten und sinnlichsten Momente von Francesconis Partitur stand, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ebenso, dass man in manchen Chorpartien sogar Anklänge an eine Neofoklore à la Orff heraushören kann. Ein Koordinatennetz aus Modalem und Tonalem zieht sich unterschwellig durch das gesamte Werk und sorgt für die diskrete Orientierung des Hörers.

„Ballata“ ist, auch da ist das Werk zunächst der Tradition verpflichtet, eine Literaturoper. Die reichen Mittel dienen der Darstellung einer Raum und Zeit kontrapunktisch verschränkenden Geschichte, der märchenhaften „Ballade vom alten Seemann“ (nach S. T. Coleridge): Ein alter Seemann erzählt, wie sein Schiff einst bei dem Weg durch die Eiswüsten des Nordmeeres von einem geheimnisvollen Albatros beschützt worden sei. Nachdem der junge Matrose den Vogel mutwillig getötet hat, gerät das Schiff in eine Flaute und die Mannschaft droht zu verdursten. Ein Geisterschiff mit dem Tod und seiner Gefährtin, der Leben-im-Tod, taucht auf. Sie würfeln um das Leben der Besatzung. Die Gefährtin gewinnt den Matrosen, der zu totaler Einsamkeit auf hoher See verdammt ist. Mühsam muss er wieder ein Verhältnis zur Welt seiner Mitgeschöpfe, vertreten durch den Mond und die ihm eigentlich verhassten Wasserschlangen, gewinnen. Erst danach darf er wieder in die Welt der Lebenden zurück, muss aber dort bis in alle Ewigkeit seine Geschichte erzählen.

Francesconi und sein Librettist Umberto Fiori haben bei der Wiedergabe dieses mythischen Stoffes auf eine durchweg lineare Erzählung verzichtet. Nach und nach erschließt sich Ballata immer unwirklichere, traumartigere Welten voller Fabelwesen (z. B. Sirenen), die in der „supernaturalistischen“ Musikwelt Francesconi aber vollkommen stimmig und real wirken. Ballata entwickelt sich nach und nach zu einem tiefenpsychologischen Mysterienspiel. Von der nicht minder märchenhaften, stilisierten Inszenierung durch Archim Freyer kann man auf dieser CD leider nichts sehen. Auf Youtube gibt es einen Beitrag, der immerhin einen Eindruck von dem typisch Freyerschen „Puppentheater“ vermittelt.

Die Wiedergabe des ambitionierten Werkes durch Orchestre Symphonique et Choeurs de la Monnaie unter Kazushi Ono ist auch wegen der sehr guten Klangtechnik eine Freude. Sämtliche SolistInnen sind ihren anspruchsvollen Rollen nicht nur gewachsen, sie füllen sie auch mit Hingabe an die Schönheit der Musik aus.



Georg Henkel



Trackliste
CD 1: 69:08
CD 2: 71:44
Besetzung

Marco Beasley: Alter Seemann
Anders Larsson: Junger Seemann
Ildiko Komlosi: Leben-im-Tod
Eberhard Francesco Lorenz: Tod
Woo-Kyung Kim: Seemann
Laure Delcampe: Page / 3. Hochzeitsgast
Donal J. Byrne: 1. Hochzeitsgast
Stephan Loges: 2. Hochzeitsgast
Susanne Schimmack: Mond
Silvia Weiss: 1. Sirene

Orchestre Symphonique et Choeurs de la Monnaie

Kazushi Ono: Leitung



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