Musik an sich


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Balinesische Musik (Diverse)

The Music of Bali


Info
Musikrichtung: Traditionelle Musik

VÖ: 01.02.2001

(Celestial Harmonies / Naxos / 3 CD / DDD / 1997 / Best. Nr. 19905-2)

Gesamtspielzeit: 206:14



FREMDE SCHÖNHEIT

Die Musik Balis auf 3 CDs – angesichts der vielfältigen und vielschichtigen Kultur dieser kleinen Inselwelt kann man hier natürlich nur einen ersten Eindruck gewinnen. David Parsons hat für das Label Celestial Harmonies mehrere musikalische Exkursionen unternommen und Kult- und Fest-Musiken berühmter balinesischer Ensembles porträtiert. Dass dabei vieles gar nicht so uralt und traditionell ist, wie man meinen könnte, sondern seine Gestalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Berührung mit der westlichen Kultur erhalten hat, mag man aus ethnologischer Sicht bedauern. Diese Entwicklung spricht aber für die Vitalität der balinesischen Musikkultur. Und Berührung bedeutet nicht automatisch Verzerrung oder gar Zerstörung. Auf der CD Nr. 3 z. B. sind zwei musikalische Rituale dokumentiert, die in relativ authentischer Länge (rund 30 und 40 Minuten) dargeboten werden: Der Kecak-Tanz und Tektekan. Kecak (ke-chok gesprochen) ist ein Austreibungsritual, das von Männern gesungen wird. In wilder polyrhythmischer Kreuzung werden die erregten Chok-Rufe in- und übereinandergeschichtet, so dass sich kunstvolle Muster ergeben, die durch nicht minder kunstvolle Verrenkungen der im Kreis sitzenden, halbnackten Körper der Sänger unterstrichen werden. Das Ganze hat einen ursprünglich kultischen Sinn, wurde aber auf Wunsch des ausgebürgerten deutschen Künstlers Walter Spies in den 1930er in eine präsentable Aufführungsfassung gebracht und in Darbietungen des aus Indien stammenden Ramayana-Epos integriert. Das aber ändert nichts daran, dass es sich um eine erregende und packende Performance handelt, bei der das hintergründige Zirpen der Grillen die Hitze der Aufführung nur noch weiter in die Höhe treibt. Solistische Gesänge bzw. „Rezitationen“, die offenbar eine Episode aus dem Epos vorstellen, verschmelzen mit den unablässigen Ruf-Kaskaden zu einem dämonischen Wirbel.

Ähnlich gespannt ist das Ritual Tektekan, bei der gleichbleibend hoher rhythmischer Puls von Bambusschlitztrommeln und Gongs das Geschehen unablässig anfeuert. Dabei passiert bei diesem ursprünglich exorzistischen Ritual erst einmal gar nicht viel mehr, als das Zymbeln und tiefe Trommeln in uregelmäßigen Abständen in dieses strenge Geschehen mit gewaltigem Lärm hereinbrechen. Dies ist keine Musik nach westlichem Muster, bei der etwas "gemacht" oder "entwickelt" wird. Vielmehr dienen die klanglichen Markierungen dazu, einen numinosen Klangraum zu eröffnen, in dem sich etwas überirdisches ereignen kann.

So muss man bei dieser Musik ständig „umhören“ und seine Rezeption neu einstellen. Gleich auf der 1. CD kann man unter dem Titel Jegog die faszinierende Welt der hochvirtuosen und basssatten Bambus-Marimbas kennenlernen. Auf den „Begrüßungs-Tanz“ folgt das „Treiben des Wasserbüffels“. In beiden Fällen – im ersten durchgängig – sind ein Streichinstrument oder eine Bambusflöte mit durchdringendem Ton beteiligt. Das ist schon gewöhnungsbedürftig, zeigt aber auch, wie sehr die Vorstellungen von harmonisch oder schön kulturell individuell codiert sind.
Die bekannteste Musik von Bali ist das Gamelan-Spiel mit gestimmten Gongs, Trommeln und weiteren Instrumenten, z. B. Flöten und Fiedel, die für die Auszierung der melodischen Hauptstimme zuständig sind. Auf der 2. CD bietet das Ensemble Tirta Sari in großer Besetzung ein opulent klingendes Gamelan-Konzert in der Tradition des Gamelan Semar Pegulingan mit sieben Tonstufen (pelong genannt). Da jedes Set von Gamelan-Instrumenten genau aufeinander abgestimmt wird, um einen harmonischen Gesamtklang zu erreichen, gibt es kein Ensemble, das genau gleich temperiert ist. Der dichte, virbrierende Sound der Musiker von Tirta Sari erreicht schnell einen hohen Erregungspegel, ist wendig und virtuos. Statt konstanter metallisch-blitzender Mandalas folgen hier rasche Temperamentswechsel aufeinander. Die Anschlagsfrequenz ist so hoch, dass man schon genau hinhören muss, sonst rauscht manches wie in einem gepixelten Wirbelsturm an den Ohren vorüber. Da es sich um Tanzmusik handelt, würde man gerne eimal sehen, wie die Tänzerinnen diese Klänge in Bewegungen umsetzten.

Die Musik Balis ist ein faszinierendes, in den Beiheften in englischer Sprache gut kommentiertes Porträt von fremder Schönheit. Nicht umsonst hat Bali auch westliche Komponisten von Claude Debussy über Olivier Messiaen bis hin zu Steve Reich und Claude Vivier immer wieder zu neuer Musik inspiriert.



Georg Henkel



Trackliste
CD 1: Swara Cipta Priyanti – Jegog 68:30
CD 2: Tirta Sari – Legong Gamelan 69:30
CD 3: Tojan – Kecak & Rama Budaya – Tektekan 68:14
Besetzung

Diverse Ensembles:
Swara Cipta Priyanti
Tirta Sari
Tojan
Rama Budaya



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