Händel. G. F. (Christie, W.)

L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato


Info
Musikrichtung: Barock / Oratorium

VÖ: 23.06.2023

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / 2 CD / DDD / 2022 / HAF 8905359.60)

Gesamtspielzeit: 102:00



"DIESE WONNEN ..." - HÄNDELS SPIEL DER TEMPERAMENTE

Händels „L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato“ von 1740, eine Mischung aus Ode, Serenade und Oratorium, gehört zu den Lieblingsstücken des Dirigenten William Christie – und das hört man bei seiner über die Jahre ausgereiften Interpretation in jedem Moment. Sie ist auch die Frucht einer Konzerttournee mit Sieger:innen des von Christie initiierten „Jardin des Voix“-Wettbewerbs und anderer Nachwuchsprogramme des Ensembles.

In dem eigenartigen Werk agieren nicht Personen im Rahmen einer dramatischen Handlung, sondern die Solist:innen, Chor und Orchester verkörpern in wechselnden Rollen zunächst zwei gegensätzliche Temperamente, nämlich „Frohsinn“ und „Melancholie“, sowie zum Schluss als ausgleichende Kraft die „Mäßigung“.
Händel hat die Vorlage, die auf John Milton zurückgeht, durchweg inspiriert: Es gibt zahlreiche eloquente Accompagnati; die anschließenden Arien sind voller sublimer Melodik, außerdem prägnant und bündig. Und wenn sie es ausnahmsweise nicht sind wie im Fall des wahrlich ausladenden Sopransolos „Sweet bird, that shun’st the noise of folly“, steht die Zeit glücklich still.

Zumindest beinahe: Das Jubilieren, mit dem Serge Saitta den "vogelzwitschernden" Flötenpart darbietet, wirkt doch sehr erfrischend. Wie überhaupt die lebhafte musikalische Umsetzung durch Les Arts Florissants ausgesprochen facettenreich und auf einnehmende Art theatralisch ist: Hier eine kleine Temporückung, dort eine sensibel ausgehaltene Dissonanz, da eine artikulatorische Varianz bei den Streichern oder eine dynamisch genau bemessene Kolorierung durch die Holzbläser… Ob es um Waldeinsamkeit oder Nachtstimmungen geht, ob bukolische Freuden, prunkende Feste oder Naturidyllen besungen werden, alles wirkt sehr stimmig und eloquent.

Bei den schlank gestalteten Chorsätzen kommt erst gar keine marmorhafte Statik auf. Lustvoll stürzt sich der Tenor James Way ins Getümmel. Manchmal kreiert er Figuren wie aus der Feder von William Hogarth, wenn er mit Charakterstimme Affekte aus der Musik buchstäblich „herauslacht“ („Haste thee, nymph, and brith with thee“).
Der häufig geforderte jugendlich blühende Sopran von Rachel Redmond schafft immer wieder berührende Inseln des Innehaltens, während Leo Jemisons reifes und differenziertes Knabentimbre Stücken wie der mit Glockenklang begleiteten Arie „Or let the merry bells ring around“ Glanzlichter aufsetzt.
Sreten Manojlović schließlich steuert mit markanter Bass-Baritonstimme vor allem im dritten Teil zur "Mäßigung" mahnende Töne bei, bevor Sopran und Tenor im berühmten, sanft tänzerisch genommenen Duett „As steals the morn upon the night“ noch einmal für einen wahrhaft ergreifenden Moment sorgen.

Mit dieser sehr schönen Produktion besetzten Les Arts Florissants und William Christie einen bemerkenwerten Platz neben den klassischen Referenzeinspielungen (z. B. der ausgewogenen, doch vergleichsweise nüchternen Pioniertat von John Eliot Gardiner (Erato/Virgin) oder der getragen-opernhaften Fassung von Robert King (Hyperion)). Die Neueinspielung bietet übrigens die Erstfassung des Werkes, ohne Händels spätere Ergänzungen bzw. Streichungen bei diversen Wiederaufnahmen in den folgenden Jahren.



Georg Henkel



Besetzung

Rachel Redmond, Leo Jemison, James Way, Sreten Manojlović

Les Arts Florissants

William Christie, Leitung


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