Drei Jahrzehnte The Seer - Ein (kleines) Albumportrait geht weiter...
Die bayerische Fuggerstadt Augsburg ist nicht gerade eine Musikmetropole von Welt. Wirklich große Namen findet man woanders. Wer etwas leichtere Unterhaltung bevorzugt, dem fällt vielleicht Roy Black ein (obwohl kein direkter Augsburger) oder auch Andreas Bourani. Im Indiebereich haben sich Anajo und Nova International einen Namen gemacht. Doch die einen gibt es schon einige Jahre nicht mehr und die anderen befinden sich seit über einem Jahrzehnt in der "Babypause". Dann muss man langsam überlegen. Bands/Künstler die über viele Jahre hinweg professionell unterwegs sind, findet man nicht gerade viele. Im Endeffekt ist es nur wirklich ein Act: The Seer. Jenes Quintett feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Bestehen und hat über die Jahre hinweg konstant gute Alben veröffentlicht. Nur für den großflächigen Durchbruch hat es immer noch nicht gereicht, selbst wenn man 1998 mit der Radiohitsingle „Please“ kurz davor stand. Trotzdem ist der runde Geburtstag eine super Gelegenheit mal einen Streifzug durch die Diskografie der folkig angehauchten (Pop-)Rocker zu wagen. Das haben wir uns vor zehn Jahren auch bereits gedacht damit bereits begonnen. Schaut doch da mal rein! Jetzt setzen wir genau dort wieder an und schauen, was seitdem passiert ist. Wir befinden uns im Jahr 2010. Die Band The Seer gab es nun schon zwei Jahrzehnte. Fünf Studioalben, zwei Live-CDs, eine Live-DVD und zwei Raritätensammlungen ging zu dem Zeitpunkt bereits auf ihr Konto. Das sollte es aber noch nicht gewesen sein. Die Fans wollten natürlich mehr von dem teils folkig, teils poppig angehauchten Rocksound des Fünfers. Die Musiker selbst auch. Und sie hielt man sich nicht lange mit großen Jubiläumsfeierlichkeiten auf, sondern veröffentliche einfach ein neues Studioalbum. Zudem eines ihrer besten. HEADING FOR THE SUN (2010) Für sein damals neues Baby taten sich die fünf Herren mit dem renommierten Produzenten Chris Wolff zusammen (u.a. Rage, Sub7even, 4Lyn) und nahm wechselnd in verschiedenen Studios auf. Zum Beispiel im heimischen Augsburg und an der Ostsee. Die Beziehung The Seer / Wolff schien recht fruchtbar verlaufen zu sein. Denn Heading For The Sun präsentiert eine recht lebendige Band, die es hörbar noch einmal wissen möchte. Der Mann hinter dem Mischpult lässt die Songs glänzen und hat sie etwas aufgepumpt, was alte Fans vielleicht ein wenig stören könnte. Dafür kommen sie mit reichlich Druck und Leben um die Ecke. „What We Are“ und „Where Do We Go“ ist gleich ein mitreißendes Eröffnungsdoppel. Auch „The Borderline“ und „Wasted“ ist ein ebenso famoses Duo. Letzteres erinnert mit ein wenig Elektronikeinsatz an die experimentellere Phase der Band. Angenehme Balladen haben The Seer natürlich auch wieder an Bord. Kandidaten für einen Abend zu zweit hören auf die Namen „Setting Sails“ und „Rain Down On Me“. Absolut urtypisch sind dagegen Titel wie das ebenso gute „Wishful Thinking“ oder „Dive In To The Blue Sky“ – melodieverliebt und leicht genießbar. Besonders hervor sticht insgesamt Sänger Shook. Seine angenehme Stimme, seit jeher Kennzeichen der Band, klingt besser als je zuvor. Ein anderes Merkmal hat man allerdings größtenteils der Studiotür verwiesen: Multiintrumentalist Jo Corda ließ seine Geige zu Hause, griff lieber wieder zu Mandoline, Bouzouki und elektrischer Sitar. Und auch sonst erkennt man die Folkeinflüsse mit Ausnahme der sparsamen, akustischen Ballade „Rain Down On Me“ eher dezent im Hintergrund. Am Ende gefällt das Album einfach mit seinem zeitlosen und perfekt auf den Punkt gebrachten Songwriting. Für den Redakteur ein großes Highlight der Seer-Disografie! Wir bereits gesagt, verlief das restliche Jahr relativ ruhig. Der zweite runde Geburtstag der Band wurde nicht allzu groß gewürdigt. Weder eine besondere Veröffentlichung, noch ein größeres Konzert gab. In der Heimatstadt trat man zudem nur einmal als Abschluss des gut gelaufenen Jahrs auf. WIDE EYED WALKER (2012) Im September 2012 stand dann eine neue CD in den Läden. Veröffentlicht durch dasselbe Label, eingespielt in derselben Konstellation mit Chris Wolff. Man scheint die gemeinsame Arbeit beim letzten Mal wohl genossen zu haben. Wide Eyed Walker ist ein helles Stück Musik das die düsteren Wolken des anrollenden Herbsts für eine Zeitlang zur Seite schob. Dabei ist es kein wirkliches Partyalbum, sondern eines das mit feinen, nicht allzu aufdringlichen Melodien überzeugt, die sich sehr schnell in die Ohren schlängeln. Vom Klangbild ist es seinem Vorgänger sehr ähnlich, klingt aber im Ganzen zurückhaltender, strotz aber immer wieder vor positiver Kraft, wie bei der Eröffnungsnummer „The Evidence“. Genau so muss poppiger Rock wohl klingen. Am Ende neigt man fast zu denken, Wide Eyed Walker ist das Album geworden, welches Rise hätte zehn Jahre zuvor werden sollen. Denn die Platte ist so melodienverliebt und fokussiert wie nur wenige vorher, was insbesondere das an eine weiche Songwriter-Nummer erinnernde „A Man’s Coming Home“, die federnde Ballade „Parallel World“ oder „Losing My Head“ zeigen. Dazwischen stehen flotte Poprock-Songs, die das Album vorantreiben, wie das absolut bandtypische „Your Song“ oder das den Rest überstrahlende „Gone Forever“. Möchte man am Ende wirklich ein Haar in der Suppe finden, könnte man vielleicht bemängeln, dass sich viele Songs auf der CD etwas ähneln. Klein Haken sind zum Beispiel der effektive Mandolineneinsatz bei „The Answer“ oder die melancholischen Dudelsack-Sounds von Dauergast Konrad Stock in „Sirens“. Wide Eyed Walker ist am Ende ein äußerst durchdachtes und erwachsenes, aber auch leichtgängig klingendes Album geworden, das für ein angenehmes Gefühl sorgt. Auch in der Folgezeit ließ man es sich in Sachen Konzerten eher ruhig angehen, spielte nur immer wieder ein paar Einzelshows, die nach wie vor Garant für ausgelassene Stimmung waren. Also nichts Neues unter der Sonne… THE BEST OF (2014) Nicht allzu viel Neues gab es auch kurz vor dem halbrunden 25. Geburtstag der Band. Jener Umstand wurde mit der Doppel-CD The Best Of The Seer“ gewürdigt. Auf zwei randvollen CDs bekommt man 30 bekannte und beliebte sowie drei brandneue Songs des Quintetts zu hören. Damit deckt man nicht nur über zwei Jahrzehnte Bandgeschichte, sondern auch alle sieben Studio- und beide Livealben ab. Die Songs wurden chronologisch angeordnet, so dass man die Entwicklung der Band vom etwas ungestümen Debüt Across The Border bis zum Edel-Poprock-Album Wide Eyed Walker sehr gut nachvollziehen kann. Der Fan mag sich fragen, welchen Mehrwert er von der Veröffentlichung hat. Da wäre zum einen der alte Livefavorit „The First One In The Row“, der erstmals seinen Weg auf ein CD fand (wenn man es genau nimmt, war diese Version aber bereits auf der Live-DVD von 2007). Zudem drei brandneue Songs, welche die Line der letzten beiden Alben weiter führen. „Leave A Light“ ist urtypischer Poprock der Band, während es „We Are“ etwas hymnischer angehen lässt. „Nothing“ beginnt dafür leicht balladesk und gefällt mit einer feinen Dynamiksteigerung. Klassiker dürften die Nummern nicht werden. Trotzdem freute man sich, ein bisschen was Neues zu hören. Auch danach ging man geradlinig seinen Weg weiter, spielte hin und wieder ein paar Konzerte, hielt sich ansonsten aber weitestgehend zurück, was zur längsten Pause zwischen zwei Studioalben führte. Ganze sechs Jahre waren vergangen, bis der nächste abendfüllende Gruß aus dem Studio in den Läden erworben werden konnte. MESSAGES FROM THE BLACK LAB (2018) Die lange Pause zwischen Wide Eyed Walker und Messages From The Black Lab liegt sicher auch darin begründet, dass man dieses Mal alles komplett selbst in die Hände nahm. Der Albumtitel bezog sich auf den eigenen Proberaum, welcher einfach zum vollständigen Studio umfunktioniert wurde. Zum großen Teil erledigte man auch die Aufnahmen und die Produktion ohne weitere Hilfe. Für den Feinschliff sorgte allerdings der alte Weggefährte Peter Walsh. Am Ende kam ein Album heraus das zu 100 % The Seer enthält, aber doch etwas anders als seine Vorgänger wirkt. Anno 2018 klingt die Band etwas luftiger, klarer, flächiger, ja, auch leichter und poppiger. Allerdings ohne in Beliebigkeit abzurutschen. Der Start mit „Every Step“ und seinen Oh-Oh-Chören ist vielleicht ob seiner Unauffälligkeit etwas unglücklich gewählt. Aber mit dem zweiten, aufwühlenderen Song „Dawning Of The Day“ ist man dann wieder drin im The-Seer-Feeling. Und mit „Counting Cars“ kommt dann schon der erste ruhigere Moment. Von den 14 Titeln sind viele recht gut gelungen. Die Ohrwürmer offenbaren sich allerdings erst nach mehrmaligem Hören. Zum Beispiel das von Cello-Tönen begleitete, heimelige „Deep Dark Water“ oder das warme „Into The Fire“. Am meisten reist die Band allerdings mit ihren rockigeren Stücken mit („Pieces“, „Ride The Avalanche“). Auch die folkigen Wurzeln hat mich nicht komplett vergessen. Dafür sorgt spätestens Konrad Stock im wirklich schönen „Love A Diamond“ und bei „The Black And The Blue“. Auch wenn die CD gerne etwas kraftvoller klingen könnte, ist Messages From The Black Lab doch gelungen. Ob es die Zeit überdauert muss man sehen. 2020 sollte eigentlich das große Jubiläumsjahr für The Seer werden. Man feilte lange an seinem Jubiläumsprogramm und es standen zahlreiche Konzerte auf dem Programm. Die Corona-Krise machte dem aber erst einmal einen Strich durch die Rechnung. Selbst die beiden Jubiläums-Shows im Augsburger Spectrum, welche im Oktober stattfinden und abermals aufgezeichnet werden sollten, wurden mittlerweile um ein Jahr verschoben. Aber aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. Aber man muss nicht ganz traurig sein. Der geneigte Fan kann sich zwei neue Tonträger ins Haus holen: Rewind und Across The Border 25. Zu bestellen direkt im Webshop auf der Homepage der Band. ACROSS THE BORDER 25 (2020) Man feiert 2020 nicht nur sein 30-jähriges Bestehen, auch das Debütalbum erschien vor einem Vierteljahrhundert. Letzteres würdigt man mit einer Maxi-Single, welche sechs verschiedene Versionen des Titeltracks enthält. Zum einen die bekannte Albumversion von 1995, dann die beiden Liveversionen von 1998 und 2006, eine raue Demo-Version von früher sowie eine komplette, aktuelle Neuaufnahme. Wirklich verändert hat man den Song dabei nicht, man spielte ihn aber kraftvoll im modernen Sound ein und erweiterte ihn um ein paar neue Effekte. Hat was. Interessanter ist allerdings „Pasar La Frontera“. Eine Neuaufnahme in Spanisch. Klingt wie Calexico-meets-Western-Soundtrack. Ein kleines Kuriosum, bei dem sich die Band komplett austobte. Irgendwie lustig und unerwartet. REWIND (2020) Rewind ist dagegen eine Veröffentlichung im Geiste der beiden Retrospective-CDs. Eine Raritätenscheibe, welche alte Aufnahmen aus den Jahren 1990 bis 1995 enthält. Zeug der alten Kassetten-Veröffentlichungen TIR und Land Of Legend sowie bisher unveröffentlichte Demos. Als Hardcore-Fan mag man etwas enttäuscht sein, dass man dabei zahlreiche Songs zu hören bekommt, die man bereits auf den ersten beiden Rückblick-CDs gepackt hat. Aber da jene schon lange nicht mehr zu kaufen sind und die Songs im Rahmen eines Remastering klangtechnisch aufgepeppt wurden, ist das zu verschmerzen. Für Nachgewachsene wäre es wirklich schade Songs wie „Letter To Ireland“, „Fire In My Heart“ oder „Irish Summer“ nicht wieder hören zu können. Daneben gibt es aber immer noch genug Unbekanntes. Die Aufmachung im einfach aufklappbaren Digipack ohne Booklet ist zum Thema passend spartanisch. Als Ganzes eine nette Veröffentlichung. Wie es weitergeht bleibt spannend. Für die Zukunft halten Shook, Peter, Jo, Mike und Jürgen sicher noch den einen oder anderen schönen Song in petto! The Seer im Internet: http://www.theseer.de https://www.facebook.com/TheSeerMusic Mario Karl |
|
|
|