In Soundgewittern: Die Bert Stephan Group improvisiert in der Leipziger Moritzbastei
20 Uhr soll das Konzert der Bert Stephan Group auf der Terrasse der Moritzbastei, deren Haupträumlichkeiten bekanntlich in den Tiefen einer ehemaligen Befestigungsanlage an der Südostecke des mittelalterlichen Leipziger Stadtzentrums liegen und an deren Sanierung und Umbau zum Studentenclub in den späteren DDR-Jahrzehnten übrigens eine gewisse Angela Merkel beteiligt war, beginnen – der Rezensent ist etwas zu spät dran, findet aber 20.10 Uhr eine große, indes leere Bühne auf der Terrasse vor. Ein Hinweisschild weist nach unten in die Katakomben – eine Gewitterfront ist für diesen Abend angesagt, die ersten Vorboten in Gestalt von dunklen Wolken machen sich am Himmel auch schon bemerkbar, und so haben sich die Verantwortlichen sicherheitshalber entschieden, das Konzert nach unten in die große Veranstaltungstonne zu verlegen, deren Rückfront zu einem der Innenhöfe hin komplett geöffnet wird, so dass man das Konzert auch von dort aus und nicht nur von der bestuhlten bzw. mit Stehtischen ausgestatteten Tonnenzone aus verfolgen kann. 20.15 Uhr geht es dann tatsächlich los. Für die grundsätzliche Beschreibung zitiert der Rezensent zunächst die Ankündigung auf der Homepage der Moritzbastei: „In der Bert Stephan Group improvisieren die Musiker ohne Absprachen und Vorgaben. Das Konzert wird so zur einmaligen und nicht reproduzierbaren Performance. Mit den Jahren hat sich aber schon ein gewisser musikalischer Style entwickelt – und diesen kann man als kraftvollen Psychedelic Rock bezeichnen, immer mal wieder durchbrochen von freien, teils jazzigen Passagen.“ Nun ist das mit dem Fehlen von Absprachen und Vorgaben natürlich so eine Sache: Drei Viertel der Gruppe spielen auch bei DEKAdance zusammen, und selbst wenn Drummer Claas Lausen dort erst seit 2016 mitwirkt und seit 2018 fest dabei ist (als er 1993 geboren wurde, lag die Gründung von DEKAdance schon fast ein Jahrzehnt zurück), so kann man zumindest von einer gewissen Eingespieltheit ausgehen und vermuten, dass da ein gewisses Grundverständnis, was der jeweils andere in der nächsten Sekunde spielen wird, vorhanden ist. Diese Vermutung bestätigt sich dann auch: Wenn sie wollen, gehen die vier Mitglieder aufeinander ein – andererseits müssen sie das aber nicht, wenn sie nicht wollen, und so kommt es durchaus ab und an mal vor, dass einer der Musiker ein dynamisches Exzelsior anheben läßt, die anderen ihm auf diesem Pfad aber nicht folgen. Das macht die Musik einerseits anstrengend, aber andererseits auch interessant, und wenn sich das Ohr erstmal ans analytische Hören gewöhnt hat, findet man so manche Perle vor. Die Aufgabenverteilung ist trotz des improvisatorischen Charakters grundsätzlich festgelegt: Es gibt eine Rhythmusgruppe aus Bassist Mario Noll und dem erwähnten Drummer Claas Lausen, wobei sich erstgenannter zwar keineswegs auf reine Rhythmusgruppenaufgaben beschränkt, sondern durchaus auch eigenständige Linien fährt, aber sich bisweilen mit Lausen auch tatsächlich zu „richtigen“ Grooves zusammenfindet. Das Gros der Leads aber spielen die beiden anderen – da wäre zunächst Geiger Hansi Noack, der aus dem Freejazz kommt und diverse Effektgeräte vor sich hat, mit denen er beispielsweise typische Sounds erzeugen kann, die in Science-Fiction-Streifen für die Untermalung von Szenen, welche die Weite des Weltraumes verdeutlichen sollen, eingesetzt werden, wobei die Geige bisweilen aber natürlich auch wie eine solche klingen darf. Den anderen Leadbereich beackert der optisch ein wenig an den Midnight-Oil-Sänger erinnernde Stephan selbst, zunächst mit einem Flügelhorn, dann an eine Gitarre wechselnd und schließlich wieder zum Flügelhorn zurückkehrend, wobei auffällt, dass die Passagen mit der Gitarre deutlich stärker an klassische Rockstrukturen gemahnen und die erwähnten „richtigen“ Grooves dort in höherer Dichte auftreten als sonst. Beim Flügelhorn nutzt er hingegen stärker die Loopstation, um vielschichtige Klangwelten zu erzeugen, die bedarfsweise gleichfalls noch durch das eine oder andere Effektgerät gejagt werden können. Die bläserischen Passagen hört man im Gesamtsound auch recht gut durch, während die Gitarre bisweilen recht weit im Hintergrund steht – der Mix ist allgemein zwar recht gut ausbalanciert, aber die Drums agieren generell ein wenig zu vorschmeckend, wenn Lausen nicht gerade mit gefilzten Paukenschlägeln spielt und dadurch gedämpfter herüberkommt als in den sonstigen Soundgewittern, die allerdings durchgängig in angenehmer Lautstärke verbleiben. Im Gegensatz zu den anderen Musikern, die bisweilen Pausen einlegen, spielt der Drummer übrigens durch und hat erst kurz vor Ende des Hauptsets, als er mal nur mit den Füßen arbeitet, die Hände frei, um zur Flasche zu greifen, so dass man angesichts der Temperaturen samt entsprechender Transpiration geradezu Mitleid mit ihm empfindet. Eine Setlist gibt es logischerweise nicht, und der nächste Gig der Formation kann schon wieder ganz anders klingen – an diesem Abend jedenfalls fällt auf, dass gleich zweimal ein nicht Ton in Ton übernommenes, aber möglicherweise nicht zufälliges Motiv aus Led Zeppelins „Kashmir“ aufscheint. Von der Struktur her spielt die Bert Stephan Group (keine Ahnung, ob sie auch mal als Nonett agiert hat oder die Homepage-URL lediglich ein purer Witz mit leicht nachvollziehbarem politischem Hintergrund ist) einen einstündigen Hauptset und hängt dann noch eine zehnminütige Zugabe an, bevor sie sich unter reichlich Applaus des aus einer überschaubaren Anzahl Musikgourmets bestehenden Publikums zurückzieht. Die Gewitterfront ist da übrigens gerade dabei, Leipzig zu überqueren, regnet sich aber erst jenseits des Zentrums ab. Roland Ludwig |
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